Eine postapokalyptische Mär, ein komplexes Erzählwerk, schreibt die Kinozeitschrift  „Treffpunkt Kino“, die natürlich bemüht ist ihre Filme möglichst eloquent anzubieten. Die Buchadaption „The road“ lässt sich auch mit simpleren Worten umschreiben: Packend, schmerzhaft, berührend, traurig, … und trotzdem wird daraus kein simpler Film. Im Gegenteil: was Regisseur John Hillcoat („Ghosts of the Civil Dead“, „The proposition“) hier auftischt, ist nichts für schwache Nerven. Aber der Reihe nach.

In Folge nicht näher begründeter Umweltkatastrophen ist die Welt in 10 Jahren ein verödeter, tödlicher Ort. Die Überlebenden spalten sich in zwei Gruppen: Anarchisch gestimmte Banden, die dem Hungertod durch Kanibalismus entgehen, und die, die sich vor ihnen verstecken. Selbstmord ist zur Alltäglichkeit geworden. Es gibt keine festen Standorte mehr, getrieben und ziellos irren die Menschen umher auf der Suche nach Nahrung und Benzin. Unter ihnen ein Mann und ein kleiner Junge, Vater und Sohn (Viggo Mortensen und Kodi Smit-McPhee). Nachdem seine Frau (Charlize Theron) sich umgebracht hat, ist sein kleiner Sohn das Zentrum seines Universums geworden. Ihren täglichen Kampf und sein langsames Ablösen von seiner Vergangenheit hält er in einem Tagebuch fest, ebenso wie die tiefe Liebe zu dem Sohn, dessen Überleben sein einziger Lebensinhalt ist. Dabei ist es nicht nur sein physischer Tod, den er verhindern will, sondern auch das Absterben seiner Menschlichkeit. Jeder Tag ist eine Gratwanderung zwischen Verhungern und Gefressenwerden, wobei die liebevolle Beziehung zwischen Vater und Sohn Momente erschafft, die in eine andere Welt zu gehören scheinen.

Um zu beurteilen inwieweit John Hillcoat die Umsetzung des Romans von Cormac McCarthy gelungen ist, müsste man ihn gelesen haben. Das er das wert sein dürfte, beweisen die Erzählersequenzen, die den Film begleiten, zumindest sofern diese original aus dem Roman entnommen sind. Poetisch, ohne abgehoben, berührend, ohne sentimental zu sein. Karg und einfach, nur das Nötigste preisgebend und dennoch eindringlich.  Die Beschreibung der Sprache definiert im Grunde den ganzen Film, sie verbindet sich mit den Bildern, die zum Teil unaussprechliches Grauen zeigen. Eine Symbiose aus Schönheit und Schrecken.

Es ist definitiv kein klassisches Endzeitwerk à la „I am Legend“. Die augenfälligste Ähnlichkeit ist wohl noch, dass einmal mehr der Mensch als ein Tier auffällt, das den geringsten Anlass zur Hoffnung zu nutzen weiß. Doch „The road“ ist  auch weit davon entfernt ein familienfreundliches Märchen zu sein. Selbst wenn die eine oder andere Szene zwischen Vater und Sohn verschüttete König-der-Löwen-Assoziationen wecken will: sobald etwa eine tiefe Fleischwunde mit einem Tacker zusammengeheftet wird, ist klar, dass hier kein Kitsch präsentiert wird. Dazu trägt auch die Optik des Filmes bei, die grau, braun und trist ebenso gut einen Kriegsschauplatz oder ein Dritte Welt-Land wie eine Endzeitwelt vor Augen führen könnte. Diese Beliebigkeit wird insbesondere dadurch gestützt, weil nie ein Grund für das Sterben der Welt genannt wird. Davon kann man halten was man will, ich finde es gut, weil die Geschichte dadurch nicht stigmatisiert wird: Sie behält Interpretationsraum, und die offenbar bewusst namenlosen Figuren Symbolkraft.

„The road“ trägt dabei Anklänge mehrerer Überbegriffe in sich: Das Sterben der Welt ist allgegenwärtig spürbar, ob nun anhand verwahrloster Städte oder umstürzender Bäume.  Die Körper der Menschen sind von Hunger und Entbehrung gezeichnet und immer wieder stellt sich, unaufdringlich und doch auch unübersehbar, die Frage nach der Menschlichkeit: Wie viel Mitleid ist möglich? Darf man es sich erlauben für andere zu denken, wenn es nur noch ums Überleben geht? Menschen werden zum Teil zum gejagten Wild und auffällig dabei ist, dass die Jäger diesmal keine blutgierigen Zombies sind, sondern Menschen,  rein äußerlich nicht von ihren Opfern zu unterscheiden, denn dreckig und dürr sind sie alle. Wer Freund und wer Feind ist, kann deshalb nie genau gesagt werden, und gerade das macht einen Teil der Spannung des Films aus. Intensiv wird das Ganze zusätzlich, indem man die zum Teil grausigen Szenen durch die Augen eines Kindes sieht: Im Gegensatz zu vielen anderen Filmen findet hier keine Gewöhnung an das Schreckliche statt, es bleibt traumatisch und knüpft an Urängste an, spielt Hillcoat doch stark mit Dunkelheit, furchteinflößenden Geräuschen und Andeutungen, was wirkungsvoller ist als das Geschehen wirklich zu zeigen.

Doch zwischen diesen klaren Lagern „böse Menschenfresser“ und „hilflose Opfer“ finden sich mehrere Schichten subtilerer Unterscheidungen, die Fragen nach Not, Mitleid und Überlebenswille stellen. Eindrucksvoll hierbei ist, wie der Vater, dem immer wichtig war selbst in dieser furchtbaren Welt seinen Sohn zu lehren, wie man liebt und gut von böse unterscheidet, durch die Augen seines Kindes entdecken muss, dass er dabei ist, viel von eben dieser Humanität einzubüßen. Dabei drängt sich die Frage auf, wann der soziale Mensch aufhört, wann man noch von Überlebenskampf sprechen kann und wo der potentielle Menschenfresser beginnt: Schon wenn man anfängt dem Prinzip Auge um Auge, Zahn um Zahn zu folgen oder erst wenn man sich vor Hunger selbst nicht mehr kennt?

Keine einfache, eine sehr komplexe Thematik und wenn man dem Film etwas ankreiden will, dann dass er zwischen Horror, Philosophie und Gefühl schwankt ohne sich klar für eine Seite zu entscheiden,  stattdessen kommt nach einer Zeit das Gefühl auf, es würde formelhaft Szene für Szene zwischen den drei Genres abgewechselt: Erst ein bisschen Ekel, dann Herzschmerz und alles unterlegt mit wohldosiertem Tiefsinn. Ebenso kann das Ende bemängelt werden: Es kommt abrupt und scheint nach den durchstandenen Qualen der Protagonisten zu einfach. Tatsächlich ist aber alles verzeihlich und nur das Ende der einzige wirklich schwerer wiegende Minuspunkt des Filmes: War die Inszenierung zuvor noch darauf ausgelegt sich bei allem Zeit zu lassen, jeden Augenblick tief einsickern zu lassen und so zum Teil die Spannung auf ein Höchstmaß zu steigern, geht es nun überraschend schnell die Spannungsmaus bergab. Da das Ende, gemessen an der Schwere des Gesamtfilms, unerwartet flach ist, lässt es ein minimal schales Gefühl zurück, im Sinne von „Wie, das war’s jetzt?“.  Doch das ist wirklich nur ein winzig kleiner Minuspunkt und wenn man großzügig ist, kann man ihn ignorieren, schließlich bleibt man nichtsdestotrotz mit Tränen in den Augen zurück. Das  ist sicher zum Teil der sehr detailverliebten Inszenierung zu Gute zu halten, die einem die Protagonisten nahe bringt, sowie den gelungenen Bildkompositionen. Javier Aguirresarobes relativ zurückhaltende Kamera fängt gerade so viel ein, um einen Eindruck von der Umwelt zu schaffen und vermeidet es sich in Einzelheiten zu verlieren: Sie bleibt persönlich und wahrt dennoch genug Abstand,  um sich noch immer wie ein anteilnehmender Zuschauer, aber nicht wie ein Teil des Geschehens zu fühlen. Der Spanier ist eine gute Wahl, schließlich ist auch in der Teenie-Vampirsaga  „Twilight“ (Eclipse und New Moon) die Kamera noch eine der stärkeren Seiten. Seine Erfahrung  kommt ihm zu Gute: In „The Others“ erzeugt er beklemmende Bilder, in „Goyas Ghosts“ stellt er das hässliche Gesicht der „Masse Mensch“ in Extremsituationen bloß. Beides ist in „The road“ hervorragend anzuwenden.

Die unaufdringliche Musik von Nick Cave und Warren Ellis leitet zusätzlich das Empfinden subtil. Etwas deutlicher spürbar sind hingegen die Erzählersequenzen, die sich in ihrer sprachlichen Schönheit einbrennen. Doch da die Sprache relativ schlicht bleibt, findet hier kein unangenehmer Bruch statt. Auch die Dialoge sind zwar zum Teil lehrhaft, doch nie gekünstelt.

Aber es gehört noch mehr dazu, denn würde es allein an Inszenierung und Kamera hängen, dann wären  sehr viel schlechtere Filme sehr viel besser angekommen, zum Beispiel der wunderschön gefilmte, aber leider sterbenslangweilige „The assasination of Jesse James by the coward Robert Ford“.

Der eine Faktor ist das Buch. Das ist gut, trotz des nicht so starken Endes, auch wenn ich über die Originalvorlage nichts sagen kann.  Ein wichtiger Vorteil ist etwa, dass den ganzen Film über nicht das geringste Anzeichen Aufschluss gibt, wie der Film wohl endet. Er könnte so oder so ausgehen. Das erhöht natürlich die Spannung und ohne diese Spannung wäre der Film nichts wert. Der andere Faktor sind die Schauspieler. Tatsächlich hängt ein Film wie dieser mehr als viele andere von den Darstellern ab, die ihn tragen, insbesonderen in einem solchen Fall, da er hauptsächlich zwei Charaktere in den Fokus rückt. Es funktioniert: Viggo Mortensen („Herr der Ringe“, „History of Violence“) spielt den aufopfernden Vater zutiefst berührend und ehrlich, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Selbst die Zuschauer, die ihn nur als „Aragorn“ auf dem Radar haben, würden nicht wagen, diese Parallele hier zu ziehen, denn die Figur, die er entwickelt, ist eigenständig und glaubhaft, hinzu kommt, dass er seinen Körper in einen Zustand versetzt hat, der Tom Hanks in „Cast away“ ernstlich  Konkurrenz macht. Doch er würde ins Leere laufen, stünde ihm nicht ein faszinierender Partner zur Seite, der seine väterlichen Gefühle auffängt und angemessen widerspiegelt. Kinderdarsteller sind immer so eine Sache: Manche sind talentiert, oft ist schwer zu sagen, ob sie nicht einfach nur süß sind, und nichts wäre in diesem Fall so tödlich gewesen wie ein blasser Darsteller in der Rolle des Sohns. Doch Andie McPhees Sohn Kodi Smit-McPhee („Unter der Sonne Australiens“) meistert die Herausforderung:  Seine  Enttäuschung beim Anblick des Meeres, das nicht blau ist, wie erhofft, sondern so grau und trüb wie der Rest der Welt, ist beinahe körperlich spürbar, seine Gewissensqualen selbst gegenüber den Menschen, die ihm Übles wollen, absolut echt, und die Unschuld, die er in dieser gottverlassenen Wüste behält, nimmt man ihm deshalb eins zu eins ab. Charlize Theron („Monster“, „Kaltes Land“) hat nicht viel Gelegenheit ihr Talent zu zeigen, doch in den wenigen Szenen, die sie hat, spielt sie solide und überzeugt.

Die Symbiose ist somit gelungen: Wo die äußere Gestaltung Schaudern, Zittern und Ekel spüren lässt, lässt die Kunst der Darsteller Mitleid empfinden, und somit  ist man tatsächlich in der einen Sekunde noch zum Zerreißen angespannt und in der nächsten zu Tränen gerührt. Diese Kombination, sich  einerseits im Horrorfilm, andererseits im schönsten Vater-Sohn-Drama zu wähnen, ist gefährlich, sie kann fürchterlich schief gehen, nichts Halbes und nichts Ganzes sein. Hier gelingt sie:  Dass Bayreuth „The road“ offensichtlich nicht ins reguläre Programm aufzunehmen scheint spricht gegen das Kino, nicht gegen den Film; sicher kein Film für die ganze Familie, ein Film, aus dem man wegen seines schwachen Endes keine wirkliche Botschaft zieht, aber ein spannender, bewegender Film, den man gesehen haben sollte.

Offizieller Kinostart: 07.10.2010