Von Wüstenschätzen und der Weltenseele

Ein vergrabener Goldschatz, Bandenkriege zwischen Wüstenvölkern und eine geheimnisvolle Fremde, in die sich der Protagonist natürlich schon beim ersten Treffen Hals über Kopf verliebt – eigentlich hätte Paulo Coelhos „Der Alchimist“ ein Musterexemplar eines spannenden Abenteuerromans werden können.

Und doch ist dieses Buch weit davon entfernt, dem Leser vor Spannung den Atem stocken zu lassen.  Denn was dieses Buch von anderen unterscheidet, ist nicht die eigentliche Handlung. In Zitaten oder Gleichnissen wird der Leser mit ganz verschiedenen philosophischen Fragen konfrontiert, die das Abenteuer des „Helden“ Santiago von Beginn an in den Hintergrund treten lassen: Der nach Glück, Träumen oder dem persönlichen Lebensweg.

Dabei gehen die Charaktere ganz unterschiedlich mit ihren Träumen und Wünschen um. Während der Kristallwarenhändler befürchtet, mit der Erfüllung seines großen Traumes auch den Lebenssinn zu verlieren,  kehrt  Santiago, ein andalusischer Schafhirte, seinem gewohnten Leben komplett den Rücken, nur weil er einen Traum vom Schatz in der Wüste nicht vergessen kann. Auch wenn man Santiagos Naivität zuerst noch belächelt- der Leser beginnt im Laufe der Geschichte, Respekt, fast schon Bewunderung für diesen Jungen zu empfinden, der mit so viel Entschlossenheit einem Traum nachjagt, der in unserer heutigen Gesellschaft wohl eher in die Kategorie „ Hirngespinst“ fällt. Dabei muss sich auch der Leser früher oder später selbst damit auseinander setzen, für welche Träume er so weit gehen würde wie Santiago. Das Abenteuer des Hirten wird nicht nur für die Menschen der Romanwelt eine Reise in das Innerste der Seele.

Die einfache Sprache und die lehrreichen Geschichten innerhalb der Handlung haben mich sehr an eine Fabel erinnert, deren Moral schon zu Beginn des Buches klar wird:

„ » Welches ist denn die größte Lüge der Welt?» fragte der Jüngling überrascht.

»Es ist diese: In einem bestimmten Moment unserer Existenz verlieren wir die Macht über unser Leben, und es wird dann vom Schicksal gelenkt. Das ist die größte Lüge der Welt!»“

Jeder Mensch kann alles erreichen, solange er es nur fest genug wünscht. Diese, dem “American way of life” doch sehr ähnliche Idee, zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Erzählung und entscheidet maßgeblich darüber, ob Leser den „Alchimisten“ als ihren philosophischen Lebensberater im Alltag feiern oder das Buch aufgrund der unrealistischen Naivität des Protagonisten im nächsten Papiermüll entsorgen. Ich persönlich finde Santiago durch seine etwas kindliche Lebensansicht erfrischend optimistisch.  Mit der Hilfe des Alchimisten schafft er deshalb auch das, was vielen Anderen verwehrt bleibt: Er schafft es, in die Weltenseele einzutauchen und damit die Welt mit dem Herzen zu sehen.

Mein Fazit also: Ein wunderbares Buch für alle, die sich nicht an der einfachen Sprache stören und gerne auch mal über das Gelesene philosophieren wollen; ein grauenhaftes Buch für alle Action-Süchtigen, denn zugegeben – eines ist dieses Buch nicht wirklich: Spannend