Die Klausurenphase ist vorbei und damit auch die Zeit der exorbitant hohen Screentime. Im Komfort der heimatlichen Umgebung, in der scheinbar alle wieder zu ihren 15-jährigen Ichs retournieren, kann ich nun den stressigen Studierenden-Alltag ausblenden. Skript-Zusammenfassungen und Deadlines ersetze ich jetzt gegen diverse Bildschirme und den Hörsaal gegen das Bett, beziehungsweise das Sofa. Und diesmal sogar ohne schlechtes Gewissen!
Zurück in der Heimatstadt wartet dann auch schon meine ellenlange Freizeit-To-Do-Liste, die ich in der stressigen End-Semester-Zeit erstellt habe. Ganz oben auf der Liste: Die Bücher lesen, die mit gutem Vorsatz ins Elternhaus geschleppt wurden. Zumal ich während der Klausurenphase TikToks übers Bücherlesen geguckt habe. Viele neue Empfehlungen von Book-Tok haben sich in der Zeit im Screenshot-Ordner auf meinem Handy angesammelt. Das Goodreads-Goal von 24 Büchern in 2023 habe ich eh nicht geschafft. Vielleicht klappt es ja 2024?
Aber was ist eigentlich BookTok? Videos auf TikTok können mit verschiedenen Hashtags und dem Inhalt, den sie zeigen, verschiedenen Kategorien zugeordnet werden. Auf BookTok zeigen Creators ihre aktuelle Leseliste oder Bücher, die sie in letzter Zeit gelesen haben. Dabei werden die empfohlenen Bücher meist passend gruppiert, beispielsweise unter dem Titel “Books that will make your skin crawl” oder “Books to read to fall in love” oder ähnlichem. Des Weiteren werden die Bücher dann auf Skalen von 1 – 10 bewertet. Die Bewertung bleibt nicht unkommentiert, denn die BookToker machen stichpunktartige Angaben zur Bewertung, die andere zum Lesen animieren sollen.
Animiert wurde ich. Und so startete mein Lese-Abenteuer. Der Vorsatz lautet: Ab-Arbeiten der Screenshot Ansammlung von Book-Tok Empfehlungen. Dabei sollen alle Bücher in einer gewissen Weise Unbehagen oder Ekel in mir hervorrufen. Warum ich genau dieses Genre an Büchern ausgesucht habe? Zum einen, weil ich bereits Bücher wie The Nest oder Slugs gelesen habe, und mich die unbehaglichen Erzählungen bei Laune gehalten haben. Wahrscheinlichkeit, dass ich die Bücher zu Ende lese wird damit um einiges höher. Außerdem hat mir der Algorithmus genau diese Art von Büchern vorgeschlagen. Meine Liste enthält: Helpmeet, A Short Stay in Hell, und Lapvona. Kein Colleen Hoover Buch. Man kann auch Ansprüche haben.
In diesem Artikel maße ich mir an, trotz fehlendem Referenzsystem zu anderen Book-Tok Empfehlungen sowie minimaler Erfahrung bei der angemessenen Bewertung von Belletristik, die Bücher auf einer Skala von 1 bis 10 zu beurteilen. Ähnlich wie meine Vorbilder, die BookToker, werde ich meine Bewertung begründen. Coole Bilder vor ästhetischen Hintergründen kann ich leider nicht bieten.
Beim Lesen von diesen Büchern sind mir dabei folgende fünf Kriterien besonders wichtig:
Main Themes: Was sind die Main Themes und werden sie sinnvoll eingesetzt?
Pacing: Wie empfinde ich die Erzählgeschwindigkeit, also wird mir langweilig oder geht alles zu schnell? Oder ist das Pacing absichtlich komisch und wie finde ich das?
Character-Building: Entwickeln sich die Charaktere bzw. sind sie facettenreich genug und wie relatable sind sie?
World-Building: Ist die Welt in sich kohärent und kann ich mich in sie hineinversetzen?
Ekel bzw. Unbehagen während dem Lesen: Schockieren mich die Vorkommnisse tatsächlich oder sind sie übertrieben dargestellt, dass es schon wieder absurd ist?
Books that will keep you on your toes
Helpmeet 10/10
- Main Themes: Liebe, Krankheit, Tod. Das Buch wird dabei allen dreien gerecht. Die Hauptperson Louise muss dabei mit allen drei fertig werden und ihren Todkranken Mann pflegen.
- Pacing: 90 perfekte Seiten.
- Character-Building: Louise hat ein komplexes, aber nachvollziehbares Innenleben. Man bekommt einen tiefen Einblick in ihr Verständnis von Liebe. Man begleitet sie und ihren Mann jedoch nur für einen sehr kurzen Zeitraum.
- World-Building: Die Geschichte spielt im 1900 Jahrhundert in Amerika und man kann sich anhand der Beschreibungen des Autors gut in diese Zeit hineinversetzen.
- Ekel bzw. Unbehagen: Louise, eine gelernte Krankenschwester, begleitet ihren an einer mysteriösen Krankheit erkrankten Mann in den letzten Zügen seines Lebens. Seine Krankheit lässt seinen Körper verfallen und die Beschreibungen der voranschreitenden Verwesung rufen Unbehagen und Ekel hervor. Louise kommt bald hinter den wahren Grund der vermeintlichen Erkrankung ihres Mannes.
A Short Stay in Hell 8/10
- Main Themes: Hölle, Religion, Liebe und soziale Organisation. Aufgrund der Kapitelunterteilung und dem schnellen Pacing des Buches werden alle Main Themes angeschnitten, jedoch werden besonders die verschiedenen Facetten der sozialen Organisation und das Miteinander stark aufgegriffen. Die anderen Main Themes kommen teilweise zu kurz und berührten mich persönlich weniger.
- Pacing: Soren findet sich nach seinem Tod in der Hölle, genauer der Bibliothek von Babel, wieder und muss einen schier endlosen Auftrag erfüllen. Man begleitet ihn über mehrere tausend Jahre hinweg, bekommt jedoch immer nur kurze und intensive Einblicke in seine Zeit dort. Insgesamt hat es das Buch geschafft, zu schnell und gleichzeitig zu langsam zu sein.
- Character-Building: Soren entwickeln sich während seiner Zeit in der Hölle kaum weiter, jedoch ist dies in der Bibliothek von Babel auch kaum möglich. Die “Bewohner*innen” der Hölle haben zwar alle ein scheinbar unerreichbares Ziel, jedoch keine Möglichkeit der Weiterentwicklung oder Abwechslung. Seine Verzweiflung, die ihn am Ende kaum nachvollziehbar handeln lässt, gibt ihm als Charakter Tiefe.
- World-Building: Die Bibliothek von Babel wird ähnlich der Erzählung, auf der sie beruht, beschrieben. Stockwerke um Stockwerke mit schier endlosen Gängen, die mit Büchern gefüllt sind, die kaum Sinn ergeben.
- Ekel bzw. Unbehagen: Die Vorstellung, selbst in der Bibliothek von Babel gefangen zu sein, ist unbehaglich. Die Langeweile, gefühlte Ziellosigkeit und die unvorhergesehene Gewaltbereitschaft, wie die von dem falschen Propheten “Dire Dan” geben der Geschichte mehr Schrecken.
Lapvona 4/10
- Main Themes: Klasse, Krankheit, Tod und Religion.
- Pacing: Am Anfang war die Geschichte von Marek interessant erzählt. Man lernte viel über das Dorf Lapvona, die Bewohner*innen und deren Beziehung zu Marek und seinem Vater, die beide als Außenseiter galten. Als Marek jedoch über Umstände Teil des von Intrigen geplagten Fürstenhauses wird und der Ausnahmezustand im Dorf ausbricht, kippt das Pacing. Eine noch schlimmere Offenbarung oder Ereignis musste das vorherige übertrumpfen, weshalb die letzten zwei Drittel des Buches nicht nur verstörend waren, sondern sich auch extrem gezogen haben.
- Character-Building: Keiner der Charaktere im Buch hatte meiner Meinung nach ein interessantes Innenleben. Alle waren auf ihre eigene Art brutal, gemein und egoistisch. Auch wenn dies von der Autorin so intendiert war, hat es für mich nicht funktioniert.
- World-Building: Am Ende des Buches hatte ich wie eine kleine In-Game Map von Lapvona in meinem Kopf. Orte wurden ausführlich beschrieben, dennoch war genug Spielraum für die eigene Fantasie übrig.
- Ekel bzw. Unbehagen: Ekel und Unbehagen zu erzeugen, durch das Zeigen von menschlicher Brutalität und Monsteriösiät, stand für dieses Buch an erster Stelle. Meist in einem solchen Ausmaße, dass ich mein durchs Lesen erlangtes Leid teilen musste.
Insgesamt hat sich mein Lese-Abenteuer gelohnt. Helpmeet und A Short Stay in Hell waren beide recht kurz und somit auch eine gute Übung für meine Konzentrationsspanne, um Lapvona durchzuhalten. Insgesamt haben mich die unbehaglichen Aspekte tatsächlich bei Laune gehalten, ich kann mir jedoch vorstellen, dass die Strategie für andere Leser*innen eher den gegenteiligen Effekt hat. Dennoch lohnt es sich, mal auf BookTok vorbeizuschauen und eine eigene kleine Leseliste für die restlichen Semesterferien anzulegen!
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