Alejandro González Iñárritus Film „Biutiful“ erzählt die Geschichte des Kleinkriminellen Uxbal, der vor seinem Tod seine Kinder und seine Seele retten will. Doch die Welt in Barcelonas Viertel El Raval ist nicht gnädig.
Wer erst einmal ganz unten in der Gesellschaft angekommen ist, hat oft nicht mehr viel Hoffnung auf ein besseres Leben. Und manchmal wird jeder Hoffnungsschimmer im Keim erstickt. Aussicht auf Rettung ist nicht mehr. Wer erfährt, dass einem medizinisch nicht mehr geholfen werden kann, dass einem nur wenige Wochen bleiben, um sein Leben in Ordnung zu bringen, steht unter Zeitdruck.
Dieses Schicksal widerfährt Uxbal, der Hauptfigur in „Biutiful.“ Diagnose: Prostatakrebs im fortgeschrittenen Stadium. Seine Tage auf Erden sind gezählt. Wo also anfangen? Wie die verbleibende Zeit füllen? Innehalten, Verzweifeln, Davonlaufen?
Uxbal macht weiter wie bisher: sein täglich Brot verdienen und sich um die Kinder kümmern. Als Menschenschmuggler verdient er an den Deals der Afrikaner mit Drogen, gefälschten Taschen und Uhren. Illegale chinesische Billiglöhner vermittelt er gegen Provision an Großbaustellen und seine übersinnlichen Fähigkeiten lässt er sich von trauernden Hinterbliebenen entlohnen. Er kann mit Toten kommunizieren und verschafft den Angehörigen mit dem Überbringen der letzten Worte Seelenfrieden. Nach dem Tagesgeschäft holt er seine Kinder Ana und Matheo von der Schule ab und versucht eine Art Abendessen auf den Tisch zu bringen. Die zwei wünschen sich Hamburger und Kartoffelbrei, doch Geld und Küche geben nur Haferbrocken mit Zimtzucker und Milch her.
Trotz der ganzen Misere hat Uxbal für alle armen Existenzen ein Ohr und einige Euro: Er setzt sich für den Somalier ein, der abgeschoben werden soll, schmiert die Polizisten, damit sie nicht gegen die illegalen Deals der Straßenhändler vorgehen, gibt seiner psychisch kranken Frau Geld und macht das 10 Quadratmeter-Verlies für die wie Vieh zusammengepferchten Chinesen mit Gasheizstrahlern wärmer. Uxbal, eine Art Mutter Teresa für alle Ethnien des Ghettos.
Doch wer hilft ihm? Niemand kümmert sich um ihn. Er muss sich selbst helfen. Wenn er mal nicht mehr ist, sollen seine Kinder versorgt sein.
Doch wem vertraut man diese an, wenn die Exfrau eine Prostituierte und psychisch Kranke ist, der Bruder ein moralischer Mistkerl, der mit der Mutter seiner Kinder ins Bett steigt, Freunde nicht vorhanden und Bekannte ausnahmslos Kriminelle sind? Wie soll man im Diesseits alles in Ordnung bringen, wenn es Perspektive und Hoffnung nur für das Jenseits gibt?
Uxbal hat allen Grund zum Verzweifeln: Der Somalier wird abgeschoben, Frau und Baby bleiben allein zurück. Die Polizisten nehmen auf brutalste Weise Jagd auf die Afrikaner an den Straßenecken und zerschlagen den Händlerring. Mahambra, seine Exfrau, ist psychisch am Ende und scheidet als Bezugsperson für die Kinder endgültig aus. Die Chinesen sterben an einer Gasvergiftung durch die Billigheizstrahler. Bei Uxbal selbst schreitet der körperliche Verfall fort: Er pinkelt nur noch Blut und muss gegen die immer stärker werdende Inkontinenz Erwachsenenwindeln tragen.
Es scheint, als ob alles entgleist. Das Leben, das Uxbal regeln will, folgt seinen eigenen Gesetzen.
„Biutiful“ ist Sozialdrama, eine Geschichte über Leben und Tod, Schicksal und Erlösung. In zweieinhalb Stunden wird sämtlicher, gesellschaftspolitischer Sprengstoff, vor dem Europa steht – Migration, Armut, Bildung – behandelt. Die Vielfalt und die Schwere der Themen sind beträchtlich; es sind fast zu viele Baustellen und Brennpunkte, die Regisseur Iñárritu bearbeitet.
Nichtsdestotrotz berührt und vereinnahmt der Film: die Handlungen des kranken und schäbigen Uxbals, die Bilder des „kalten Barcelona“, der schonungslose Blick auf eine prekäre Welt, die sonst nicht gesehen oder ignoriert wird.
Der Film lässt die Gedanken nicht zur Ruhe kommen: „Was, wenn der Tod viel zu früh kommt? Man eigentlich noch so viel sehen, hören, riechen und schmecken will – die Zeit dazu aber nicht vergönnt ist? Was, wenn sich die Kinder später nicht mehr an dich erinnern können? Uxbal streift Ana gegen das Vergessen einen Ring über den Finger, mit einem echten Diamanten. Ein Erbstück, das bleibt. Es soll unvergänglich sein.
Der Film ist noch heute, 22.06., um 16:30 Uhr und 19:30 Uhr in der „Delikatessenreihe“ des Cineplex zu sehen.
sehr gute Kritik. beschreibt den Film wirklich so wie er ist 🙂