Aiaiai. Jetzt steh ich hier, ich armer Tor und sie sind so klug als wie zuvor. Die sehr ausgeprägte Liga der Gamer in unserer Redaktion musste leider passen, als ich fragte, ob irgendjemand Planescape: Torment, Baldur’s Gate oder irgendeinen der alten AD&D Black Isle Klassiker gespielt hat. Also bleibt es an mir, als selbsterkorenen Bildungsbeauftragten und Geschmacksimperialist, Aufklärung zu leisten und tatsächlich mal über Computerspiele zu schreiben.

Oder zumindest über die paar, die ich tatsächlich gespielt habe.
Angefangen mit dem großartigen Planescape: Torment.

Ah, was für eine herrliche Geliebte du doch warst. Ich erinnere mich daran, mich süße Nächte lang mit dir eingesperrt den Göttern Nerdos‘ gehuldigt zu haben. Zu schade, dass es nach dir niemanden mehr gab, der mich so verschlungen hat, den ich so verschlungen habe, den ich so bedingungslos geliebt habe, und so einfach Fehler verzeihen konnte. Im Rückblick glaube ich, dass du der Grund dafür bist, dass ich nie wieder eine Bindung zu einem anderen Spiel aufbauen konnte, und nach meiner frühen Jugend die Liebe zu euch mehr und mehr vergessen habe. Du bist das Firefly unter den Computerspielen!
Mir kommen Tränen in die Augen, denke ich an die, vier, fünf, oder waren es sechs Male, die ich dich durchgespielt habe?

Wie mache ich meine Liebe zu dir begreiflich? Wie können die anderen verstehen, wie deine 2D Rendergrafik mein Blut so in Wallung bringen konnte, und wie ich in den Tiefen deiner dreizehn Jahre alten, rostigen Infinity Engine verschwinden konnte?

Die Wahrheit ist, dass Planescape: Torment ein ganz schlechtes Spiel ist. Die Ludologen fänden wohl nicht viel Gefallen daran. Für ein Rollenspiel gibt es verdammt wenig Auswahl. Der Hauptcharakter kann Schurke, Magier oder Kämpfer werden und mit ein bisschen rumprobieren merkt man schnell, dass der Magier sowieso in Allem überlegen ist. An allen Ecken fehlt es an balancing und Optionen. Es gibt zwar einen Inventarslot für „Rüstung“, aber der Hauptcharakter kriegt nie eine ab.
Man sieht auch immer gleich scheiße aus.

Mit scheiße meine ich natürlich sehnig wie ein durchgekauter Lederriemen, vernarbt, fertig und unglaublich cool mit einer schicken Knochenschüssel um den nackten Körper. Ihr seht das Bild ja selbst. Das ist der Namenlose.

Der Typ ist total durch. Schaut ihn euch halt einfach an. Er wacht in einer Leichenhalle auf und wird von einem fliegenden Totenschädel angeplappert, der ihm die merkwürdigen Tätowierungen auf seinem Rücken vorliest. Kryptische Anweisungen, ein Journal und einen Mann namens Pharod zu finden.

Der Weg dahin erscheint wie eine großherrliche Ewigkeit, und wenn man beides gefunden hat, fängt das Spiel gerade erst an. Eine groteske Geschichte, die im AD&D Setting Planescape spielt, in einer sich immer wandelnden Stadt, die in der Innenseite eines Ringes gebaut ist, der auf der Spitze eines unendlich hohen Berges schwebt, regiert von der undurchschaubaren Dame der Schmerzen, die keine Götter, keinen Glauben, keine Gebete zulässt. Die Stadt der Tore, mit Portalen in jede nur erdenkliche Ebene. Der Namenlose erwacht und findet sich als Unsterblicher ohne Gedächtnis wieder. Der Protagonist ist einsam und verloren in seiner Identitätslosigkeit – so sehr, dass er tatsächlich alle Passanten nach seinem Journal, oder diesem Pharod fragt. Parallel dazu ist der Spieler von der herrlich grausamen, skurrilen, abstoßend-anziehenden Welt entfremdet. Zusammen versucht man die Welt zu verstehen, die Identität zu finden und den Grund für diesen merkwürdigen Zustand der Unsterblichkeit zu erfahren. Begleitet von einem fliegenden Schädel, einer brennenden Leiche, einer laufenden Rüstung, einem würfelförmigen Roboter, einem gefallenem Sukkubus und anderen skurrilen Charakteren, alle nur durch den einen Unsterblichen verbunden. Bis zu fünf Begleiter kann man mitnehmen, wie es bei Black Isle üblich ist.

Auserwählte in Computerspielen gibt es tausende. Ein Thema mit dem sich unser Chefredakteur höchstselbst hoffentlich bald auseinandersetzt. Der Namenlose ist kein Auserwählter. Er ist einfach nur der Typ, der am gründlichsten durch den Wolf gedreht wurde, in einer Welt von Gequälten, wo niemand das Konzept des „Glücks“ zu kennen scheint. Was ihn auszeichnet ist nur, dass er am meisten Pech von allen zu haben scheint. Er ist nicht der große Auserwählte. Er ist der gewaltig Gefickte.

All das wäre gar nichts wert, wenn es nicht kunstvoll dargeboten wäre. Planescape: Torment zeichnet sich dadurch aus, dass es genau drei Kämpfe im Spiel gibt, die sich nicht vermeiden lassen. Und wir reden hier von einem Spiel mit gewaltiger Spielzeit und hohem Wiederspielwert. (Inzwischen müsste ich das spiel viermal komplett und konsequent durchgespielt haben, und erst beim letzten Mal habe ich den Eindruck gehabt, alles entdeckt zu haben, jede Geschichte gelesen zu haben und tatsächlich die Identität des Namenlosen erkannt zu haben. All das funktioniert eigentlich nur, wenn man auf soziale und geistige Attribute setzt. Für viele mag das ein Makel sein, aber ein Spiel wie Torment gewinnt man nicht mit einem gewaltigen Hammer, sondern mit einem scharfen Verstand und einer geschickten Zunge.
Die Möglichkeit, alles nieder zu schlagen, bis hin zum Endgegner, den man übrigens auch zum Aufgeben überreden kann – oder er dich – hat man trotzdem und das macht schon auch eine gehörige Portion Freude. Aber wenn man mit den Menschen tatsächlich spricht und ihnen durchaus zuhört, dann kann man des Pudels Kern ergründen und erkennen, was die Welt im innersten zusammenhält. Torment wird von vielen als interaktiver Roman betrachtet, weil er nicht nur eine großartige Geschichte hat, sondern auch eine philosophische Abhandlung ist, ein herrlich gemaltes Portrait, zusammengehalten durch die großartigste Stimmung, die man in der isometrischen Darstellung von 640×480 Pixel haben kann (Das ist die selbe Größe wie unsere Dispositivslider. Ich habe erwähnt, dass das Spiel dreizehn Jahre alt ist?). Und sogar durch diese technischen Einschränkungen schlägt es alles, was heute noch so kommt, um Meilen.
Und jeder, der es gespielt hat, war der gleichen Meinung. Keiner konnte bisher klären, warum.
Kommerziell ist wie jedes großartige Produkt, das aus des Reihe fällt, Torment leider gefloppt. Vor allem wohl wegen extrem schlechtem Marketing. Trotzdem wurde es von Fans schnell in diesen Kultstatus erhoben, konnte aber nie mit dem ein Jahr älteren Baldur’s Gate mithalten.

Die von euch, die ihr Leben lieben und sich nicht zu geizig für die zehn Dollar, die es bei gog.com kostet, sind, kriegen jetzt noch ein paar Tipps. Der Rest soll sich trollen und über ihr glückloses Leben nachdenken.

Wenn ihr des Angelsächsischen mächtig seid, dann bitte englisch spielen. „Grace, die Gefallene“ ist keine adäquate Übersetzung für „Fall-from-Grace“.
Spielt mit viel Weisheit, Charisma und Intelligenz.
Gebt niemals die Bronzesphäre her. Nie.
Dakkon ist die coolste Sau im Multiversum.
There cannot be two skies.
What can change the nature of a man?

So say we all.