„Einer flog über das Kuckucksnest“ von Ken Kesey. Ein Buch, das eigentlich unverfilmbar ist und das man vielleicht besser nicht schon mit 12 Jahren lesen sollte (denn das habe ich getan). Wie ein paar andere große Werke – etwa George Orwells „1984“ oder Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ – hat mich dieses Buch sehr geprägt, zunächst selbst halb verrückt gemacht und dann mit einem veränderten Weltbild wieder freigegeben. Dale Wassermann hat aus dem Kuckucksnest-Roman ein Theaterstück gemacht, auf dem auch der Film von 1975 mit Jack Nicholson basiert und ebenso die Inszenierung der Bayreuther Studiobühne, die ich vergangene Woche gesehen habe.
Also wo fange ich an? Ich vermute, dass nicht alle die Handlung kennen werden, da das Buch ja schon einige Jährchen alt ist und nicht zu denen gehört, die man normaler Weise in der Schule lesen muss, also folgt hier eine kurze Inhaltsangabe.
Wir befinden uns in einer der psychiatrischen Ambulanzabteilungen einer Nervenheilanstalt der 60er Jahre. Die kühle, berechnende Oberschwester Miss Ratched (in der Studiobühne gespielt von Birgit Franz) hat hier nicht nur das Sagen, sondern auch eine psychische Gewalt über die Patienten. Diese werden mit Medikamenten abgefüllt und von strengen Stationsregeln eingeengt. Der einzige, der dem etwas außen vor bleibt, ist Häuptling Bromden, den alle für taubstumm halten. Es ist ein Konstrukt für die Ewigkeit und würde wahrscheinlich genauso lange halten, wenn nicht eines Tages ein neuer Insasse in die Abteilung käme: Randle McMurphy. Dieser Kerl mit seinem riesen Ego und seinem lockeren Mundwerk will sich nicht unter das Joch beugen und macht es sich zur Aufgabe, die kühle Oberschwester Ratched so zu lange zu reizen, bis sie ausflippt.
Um dieses Reizen, Ausflippen und die Folgen für McMurphy dreht sich der Rest des Stücks/Films/Romans, denn in der Handlung sind sich alle Versionen ähnlich. Worin sich das Buch sehr stark unterscheidet, ist die Erzählperspektive; man erfährt darin nämlich alles aus der Sicht des Häuptlings Bromden. Im Film wird er dagegen erst ab der Hälfte der Erzählung zum ersten Mal wirklich wahrgenommen, da sich alles ganz auf Randle McMurphy konzentriert. Das Stück versucht, einen Mittelweg zu finden: Gleich zu Beginn sieht man Björn Blank als Häuptling vorn an der Rampe stehen und über das Publikum hinaus seinem verstorbenen Vater von den Zuständen auf der Station erzählen. Er benutzt dazu eine ähnliche Sprache wie Ken Kesey im Buch, d.h. man hat zunächst keine Ahnung wovon er da bloß redet, aber da sich diese Monologe wiederholen, merkt man bald, dass seine Worte wichtig sein müssen und nach und nach beginnt man zu verstehen. Ganz ähnlich wie im Buch. Außerhalb seiner Monologe gerät der Häuptling aber wieder in den Hintergrund, ganz ähnlich wie im Film.
Er macht den anderen Schauspielern Platz auf der Bühne, die den Aufenthaltsraum der Station zeigt. Rechts oben, einer Kommandozentrale gleich, befindet sich die Schwesternstation, von der aus Miss Ratched ihre Patienten überwacht.
Die Bühne ist an sich stimmig, dem Blick der Schwester entgeht nichts, sie thront über allem. Allerdings ist der Aufenthaltsraum der Patienten für meinen Geschmack etwas zu offen geraten. Der Häuptling erschafft mit seinen Worten ein beengendes Gefängnis, in dem sogar Zeit und Raum in den Händen der Oberschwester liegen. Die Station selbst spiegelt das aber nicht wieder, sie wirkt durch das verdeckte Fenster und die geschlossenen Türen lediglich etwas verschlossen.
Und es ergibt sich noch ein weiteres Problem: Das Setting ist dem des Films sehr ähnlich – also sehr realistisch und weniger abstrakt – weshalb der Vergleich mit ihm sich allgegenwärtig aufzudrängen scheint. Ein großes Päckchen, das die Schauspieler somit zu tragen haben, aber sie machen ihre Sache dennoch gut. Die Besetzungen der Patienten sind stimmig und ihre Ticks überzeugend, man spürt sehr schön wie sie mit McMurphy zusammen wachsen und sich von ihm begeistern lassen.
Vor lauter Begeisterung auf der Bühne fühlt man sich als Zuschauer allerdings ab und zu etwas ausgeschlossen. Wenn etwa in einer Szene plötzlich alle Insassen dem Publikum den Rücken kehren und auf einen Fernseher starren, bekommt der Zuschauer den Eindruck, dass diese Party ohne ihn stattfindet. In den meisten Fällen kommen die vermittelten Emotionen der Patienten aber sehr deutlich an und sind auch im Publikum zu spüren. Gerade die nächtlichen Gespräche zwischen McMurphy und Häuptling Bromden sind sehr fesselnd.
Aber natürlich lebt das Stück von seinem „Kampf der Titanen“, also Randle McMurphy gegen Oberschwester Ratched.
Diese beiden Rollen sind mit Martin Kelz und Birgit Franz sehr gut besetzt und beide spielen ihren Kampf auf der Bühne überzeugend, bis die Fetzen fliegen. Gerade Schwester Ratched ist für mich eine Paraderolle, die jede Schauspielerin in ihrem Leben einmal spielen sollte. Sie zählt zu diesen mächtigen, kühlen Frauen, die noch über den Femmes fatales stehen, weil sie es schaffen, ihre Welt durch ihren bloßen Willen zu kontrollieren. Vergleichbare Rollen gibt es nur wenige, etwa die hinterhältige Schwester Mathilde von Zahnd in Dürrenmatts „Die Physiker“ und vielleicht auch Dolores Umbridge aus dem fünften Harry Potter. Ich muss sagen, ich liebe solche Frauenrollen und es könnte ruhig mehr davon geben!
Auch das restliche Pflegepersonal zittert vor dieser Schwester. Pfleger Williams (Sascha Retzlaff) lässt seinen Frust über die dominante Ratched gerne an den Patienten aus und Nachtpfleger Turkle (Andreas Teodoru) ertränkt seine Angst in Alkohol.
Ich halte fest: Für mich wird das Kuckucksnest immer ein Stück sein, welches vom Kampf um die persönliche Freiheit handelt. Auch wenn es natürlich viele andere Aspekte darin gibt, etwa die Kritik an den Psychiatriemethoden der 60er Jahre, finde ich McMurphys Freiheitskampf doch den wichtigsten. Das Ende ist eines der schrecklichsten und besten, die ich kenne; und es war in der Studiobühne sehr ergreifend inszeniert. Ich hatte einen schönen Theaterabend und gratuliere der Studiobühne für ihren Mut, dieses Projekt zu realisieren. Es hat sich meiner Meinung nach gelohnt!
Du hast den Character und die Aussage des Buches gut getroffen. Auch mich hat es nachhaltig geprägt. Daraus ein Theaterstück zu machen finde ich einerseits mutig, andererseits auch logisch: Der Schauplatz bietet sich an, es gibt kaum Ortswechsel (ist der im Film gezeigte Bootsausflug auch irgendwie aufgetaucht?). Mit Sicherheit ein Theaterstück, dass ich mir auch ansehen würde.