Vor etwa einem Jahrzehnt kündigte mir meine Cousine an, dass sie mir nun eine Folge ihrer Lieblingsserie zeigen würde. Nach nur wenigen Folgen war klar, dass auch ich ab sofort eine Lieblingsserie haben würde. Auch heute, zehn Jahre und unzählige Seriendurchgänge später, hat sich daran nichts geändert: Gilmore Girls ist und bleibt die Nummer eins an meinem ganz persönlichen Serienhimmel. So viele Stunden (einer groben Rechnung nach etwa 500) wie ich mit Lorelai und Rory Gilmore gelacht, geweint und mitgefiebert habe, verbrachte ich bisher ansonsten nur mit real existierenden Personen.

Wie ist es möglich, dass ich mir auch heute noch an manchen Abenden vornehme Gilmore Girls einzuschalten, obwohl ich wahrscheinlich jede Folge schon fünf Mal gesehen habe? Warum sieht man sich Serien überhaupt mehrmals an und warum begeistert mich gerade Gilmore Girls so sehr?

Für Dr. Kathrin Rothemund, Medienwissenschaftlerin an der Universität Bayreuth, geht es bei „Comfort Binge“ um eine „langfristige, emotionale Bindung an Charaktere”. Doch was muss eine Serie mitbringen, um „Comfort Binge“ geeignet zu sein? Hier spielt laut ihr Erwartbarkeit eine große Rolle, das Wissen, dass am Ende alles gut ausgeht, die Erfüllung eines Harmoniebedürfnisses. Die Handlung der Serie sollte außerdem nicht zu komplex oder anstrengend sein.

Nach Aussage von Kathrin Rothemund eignen sich klassische Episodenerzählungen besonders gut für „Comfort Binge“, also wenn die Handlung innerhalb jeder Folge abgeschlossen wird. „Es geht weniger darum eine große Erzählung zu machen, als einfach Zeit mit den Charakteren zu verbringen.“ Wichtig hierbei ist vor allem, „dass auch die Figuren eine gewisse Form von Alltag erleben.“ „Comfort Binge“ Serien fänden auch häufig in einem Zuhause statt, was kein Zufall sei. Wenn beispielsweise die Gilmore Girls einen Filmeabend machen „ist das ja eigentlich eine Spiegelung der Situation, in der wir uns als Zuschauer befinden.“ Und genau das vermittelt das Gefühl, dass man hier auf Menschen trifft, die man gut kennt und die so sind wie man selbst.

Natürlich gibt es aber auch Serien, die kaum für „Comfort Binge“ geeignet sind. Beispielsweise Game of Thrones ist zwar bingeable, aber es fehlt eben der Komfort. Hier wollen die Serienmacher den Zuschauer vor allem in die Handlung ziehen, sodass dieser auf jeden Fall wieder einschalten wird. Es geht weniger darum, ob man sich wohlfühlt. Laut Kathrin  Rothemund ist das aber eine Genrefrage: „Welches Genre bedient welche Bedürfnisse? Wenn es um Komfort und Gemütlichkeit geht, würden beispielsweise die wenigstens Menschen einen Horrorfilm ansehen.“

Sie widerspricht jedoch, dass es bei „Comfort Binge“ um Faulheit geht, oder den Unwillen die eigene Komfortzone zu verlassen. Vielmehr gehe es hier um ein „Abschalten Können“, also um ein entspannendes Ritual. „Comfort Binge“ erweitert  das Zuhause, den eigenen Wohlfühlraum, ist eine Art Alltagsbegleitung.

Versteht man „Comfort Binge“ in diesem Sinne als Entspannung, scheint es gar nicht mehr so abwegig, dass ich an manchen Abenden zum 500. Mal Gilmore Girls einplane und mich darauf unter Umständen mehr freue, als auf einen Kinogang. Doch eine letzte Frage bleibt: Warum Gilmore Girls? Auch Serien wie Friends oder The Office erfüllen viele der angesprochenen Punkte vorbildlich, konnten bei mir jedoch nie mehr als ein höfliches Interesse hervorrufen.

Auf Nachfrage, was sie für das Besondere bei Gilmore Girls hält, führt Kathrin Rothemund an, dass die Serie einfach sehr viel anbiete: Beispielsweise sehr progressive Frauenfiguren, die durch die Abwesenheit von zentralen Männerfiguren noch mehr ins Licht gerückt werden. Gleichzeitig „wird auch die Frage von Bildung und sozialer Klasse diskutiert und das auf eine sehr romantische Weise.“ Und dann wäre da noch die Tatsache, dass bei den Gilmore Girls sehr viel über Popkultur gesprochen wird: „Das ist auch etwas was die Serie prägt und was man in der Form nicht so oft findet.“

Auf der Suche nach einer Antwort für meine Gilmore Girls Begeisterung bin ich auch auf Kristi Carlson, die Autorin des Buches Eat like a Gilmore, dem (in-)offiziellen Kochbuch zur Serie, gestoßen. Ich fragte zunächst mich und dann auch sie, warum ausgerechnet Gilmore Girls sie dazu bewogen hatte, so viel Zeit und Energie in ein Projekt zu stecken. Sie antwortete, dass Gilmore Girls seit der Erstausstrahlung ihre Lieblingsserie sei, da sie sich mit Lorelai identifizieren könne:„Nicht als Mutter, da ich selbst keine Kinder habe, sondern als Tochter, als Single, als arbeitende Frau, die Dating, Freundschaften, Arbeit, Mode und Finanzen koordinieren muss. Ich denke viele mögen Gilmore Girls, weil man sich damit identifizieren kann. Jeder sieht sich in Lorelai oder Rory, oder vielleicht in Paris, Sookie oder Luke. Die Serie zeigt menschliche Eigenarten, Marotten und auch Unvollkommenheit. Sie zeigt, dass es okay ist auch mal unsympathisch zu sein. Das ist das echte Leben. Eigentlich sagt Gilmore Girls jedem der zuhört: Du bist gut so wie du bist und deine Leute sind irgendwo da draußen.”

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Gilmore Girls eine sehr vielfältige Serie mit hohem Identifikationspotential ist, was ich nur bestätigen kann. Während ich beim ersten Seriendurchlauf vor allem Rory in der Highschool spannend fand, identifiziere ich mich heute hauptsächlich mit Rory während ihrer Unizeit. Wir sind ein Stück weit gemeinsam erwachsen geworden, womit wir wieder bei “Comfort Binge” und der zugehörigen emotionalen Bindung an Charaktere angelangt wären – eben wie bei alten Freunden. Und deswegen setze ich mich jetzt zur Entspannung auf das Sofa, schalte Gilmore Girls ein, freue mich auf ein Wiedersehen mit genau diesen  und feier damit ein klein wenig die Menschlichkeit.