Netflix Empfehlungen sind doch was tolles. Letzten hat mir Netflix eine neue Miniserie mit dem Titel All the light we cannot see vorgeschlagen. Sofort kamen weit vergrabene Erinnerungen an ein Buch mit demselben Titel hervor, welches ich vergangenes Jahr gelesen habe und in der Tat handelt es sich bei dieser Netflix-Serie um eine Adaption des Romans von Anthony Doerr.
Der Roman ist bereits 2014 veröffentlicht worden und wurde von vielen Kritiken hoch gelobt worden. Ich war durch Booktok auf den Roman aufmerksam geworden, da er auch hier viele positive Reviews hatte.
Tatsächlich habe ich den gesamten 544 Seiten langen Roman zur Gänze gelesen, obwohl mir relativ früh aufgefallen ist, dass ich das Lob, welches das Buch bekommen hat, nicht teilen kann.
Doerr selbst sagt, dass seine Inspirationen für den Roman auf einer U-Bahnfahrt, auf der der Verbindungsabbruch des Telefonats seiner Sitznachbarin ihn dazu angeregt hat, über das Wunder der Langstreckenkommunikation nachzudenken.
Insbesondere das Radio spielt in seinem Roman eine entscheidende Rolle, denn einer der beiden Protagonisten ist der Deutsche Soldat Werner Pfennig. Dieser hat in dem Kinderhaus, in dem er aufgewachsen ist, zufällig eine Affinität zum Zusammenbauen, Reparieren und Nutzen von Radios entdeckt. Ebenso hat er zufällig durch das Hören einer französischen Radiosendung über wissenschaftliche Themen Französisch verstehen und sprechen gelernt.
Auf Umwegen und durch mehrere Zufälle wird Werner während des zweiten Weltkriegs nach Saintes-Malo in Frankreich geschickt.
Hier liegt bereits der erste Kritikpunkt meinerseits an dem Buch. Nicht nur Werner, sondern alle Charaktere besitzen nur eine Charaktereigenschaft, die ihre gesamte Persönlichkeit ausmacht. Werner verkörpert im Buch den liebenswerten Soldaten, der nur durch eine Aneinanderreihung von Zufällen, gegen die er sich nicht wehren konnte, zu den Nationalsozialisten kam. Während des gesamten Buches lässt er alles über sich ergehen und ergreift nur ein einziges Mal Initiative. Doerr hat mit Werners Charakter den einfachen Mittelweg gewählt, da Werner sich während des Buches nie gegenüber den Nationalsozialisten und ihren Taten positionierte. Weder unterstützt er öffentlich die Taten noch stellt er sich dagegen. Ein Ablehnen der Taten hätte mehr Komplexität in der Story verlangt und eine Positionierung für die Nazis hätte dafür gesorgt, dass die Leser*innen nicht mit Werner mitgefühlt hätten. Außerdem hätte Doerr dann einen Prozess des Hinterfragen und Umdenkens in Werner Handlungsablauf einbauen müssen.
Auch Marie-Laure, die zweite Protagonistin des Buches, hat einen unfassbar eindimensionalen Charakter. Marie-Laure ist blind, liest gerne und lebt mit ihrem Vater, der in einem Naturkundemuseum arbeitet, in Paris. Als die Nationalsozialisten drohen, Frankreich zu erreichen, fliehen Marie-Laure und ihr Vater zu ihrem Onkel Etienne nach Saint Malo. Marie-Laure ist ebenfalls während des gesamten Buches sehr passiv und ergreift die Initiative nie. Die Handlung der beiden wird lediglich durch äußere Einflüsse vorangetrieben, da beide Charaktere keinen eigenen Ansporn haben, etwas an ihren Situationen zu verändern. Vorangetrieben wird alles durch einen verfluchten Edelstein aus dem Museum, in dem Marie-Laures Vater arbeitet. Vor der Flucht wird ihr Vater damit beauftragt, diesen Edelstein mitzunehmen, um diesen vor den Nationalsozialisten zu schützen. Natürlich ist der Antagonist ein skrupelloser Nazi, der um jeden Preis diesen Edelstein haben will.
Neben den eindimensionalen Charakteren hat sich Doerr ebenfalls für die ausgelutschesten Handlungsstränge entschieden. Das Buch liest sich so, als ob Doerr es innerhalb einer Zugfahrt geschrieben hätte und nicht mehrere Jahre allein für die Recherche gebraucht hätte. In seiner ausgedehnten Recherche hätte er gerne mehr Zeit mit der Ausarbeitung seiner Figuren verbringen können.
An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass der Roman nicht in chronologischer Reihenfolge geschrieben ist, sondern immer wieder zwischen 1944 und der Kindheit von Werner und Marie-Laure hin und her springt. Auch springt der Roman nach jedem Kapitel zwischen Werners und Marie-Laures Perspektive. Besonders ist, dass die 177 Kapitel jeweils nur wenige Seiten lang sind. Mich haben die ständigen Zeitsprünge in Verbindung mit den kurzen Kapiteln extrem gestört beim Lesen, da ich andauernd verwirrt war, wann und wo das Buch gerade spielt und es mir schwierig fiel in die Geschichte eintauchen zu können.
Viele der Kapitel in der Kindheit der Charaktere, aber auch einige in der Gegenwart sind irrelevant für die Geschichte und sorgen dafür, dass sich das Buch sehr schleppend liest. Wirklich wütend beim Lesen bin ich geworden, als Werner und Marie-Laure sich endlich treffen und dann nur vier Kapitel miteinander verbringen. Ich habe auf große, mitreißende Gefühle gehofft, da das Buch darauf aufbaut, dass die beiden sich an einem Punkt der Geschichte treffen und dann essen sie nur Dosenpfirsich zusammen.
Kommen wir nun zur Netflix Adaption, wobei Adaption übertrieben ist, da sich die Serie und das Buch nur in wenigen Punkten ähneln. Die Mini-Serie besteht aus 4 Folgen, die jeweils in etwa eine Stunde lang sind. Alle Folgen wurden von Stevens Knight geschrieben und unter der Regie von Shawn Levy umgesetzt.
Die Serie spielt größtenteils in Saint-Malo, dennoch gibt es auch hier einige, sehr komisch platzierte Zeitsprünge in die Kindheit der Charaktere. Es wurden allerdings nur für die Rückblicke in die frühe Kindheit Kinderschauspieler*innen gewählt. In den Szenen, wo die Figuren Jugendliche sind, spielen die selben Schauspieler*innen wie in der Gegenwart, was dafür sorgt, dass die Rückblicke noch komischer wirken und nicht sehr authentisch.
Bei der Handlung gibt es große Differenzen zum Buch, so treten zwar dieselben Figuren auf, aber die Handlung entwickelt sich in eine andere Richtung.
Beide haben in ihrer Kindheit eine französische Wissensradiosendung gehört, die Frequenz der Sendung bringt die beiden zusammen. Werners Aufgabe in Saint-Malo ist es, Frequenzen zu finden, die genutzt werden, um den Amerikanern Informationen zukommen zu lassen. Marie-Laure tut genau dies, da sie die Frequenz der Wissenssendung nutzt, um für den Widerstand verschlüsselte Informationen weiterzugeben. Werner entdeckt Marie-Laures Übertragung und anstatt dies zu melden, beschützt er sie aufgrund seiner Nostalgie wegen der Wissenssendung. Anders als im Buch wird er hier aktiv und hat einen persönlichen Ansporn Marie-Laure zu beschützen. Auch Marie-Laure ist um einiges aktiver und weiß, wie sie sich wehren kann, denn den Handlungsstrang mit dem verfluchten Edelstein gibt es auch in der Serie. Allerdings kommt es zu mehreren direkten Auseinandersetzungen zwischen Marie-Laure und von Rumpel, der den Edelstein für die Nazis finden soll. Gemeinsam besiegen sie ihn und essen ebenfalls eine Dose Pfirsiche, während sie in Erinnerungen von der Wissenssendung schwelgen, bevor es zu einer Kussszene kommt. Es bleibt offen, wie die Geschichte der beiden nach dem Krieg weitergeht.
Was den Verlauf der Handlung in der Serie angeht, war diese sehr vorhersehbar und nicht besonders tiefgehend. Als Zuschauer*in bekommt man nicht viele Szenen zu sehen, in den man mit den Figuren mitfühlt. Erschwert wird dies durch die fehlende Authentizität in den Rückblicken, aber auch in der Gegenwart. Dem Schauspiel aller Figuren fehlt es an Emotionen und es wirkt eher so, als ob einfach der Text runtergerattert wird. Dies ist mir besonders in Marie-Laures anfänglichem Monolog aufgefallen. In diesem spricht sie sehr emotional ihren Onkel und Vater an, sie weiß nicht wo diese sind und ist alleine, während um sie herum Bomben einschlagen; leider werden diese Emotionen nicht an die Zuschauer*innen weitergegeben.
Abschließend kann ich nur sagen, dass die Serie nicht gut war, aber das Buch war schlechter. Also spart euch eure Zeit und wenn euch doch nach einem Film oder einer Serie ist, die während des Zweiten Weltkriegs spielt, hat die Dispositiv-Redaktion eine ganze Liste an Vorschlägen für euch.
- Charité Staffel 2 (Serie)
- Unsere Mütter, unsere Väter (Film)
- Jojo Rabbit (Film)
- Hitlerjunge Salomon (Film)
- The Man in the High Castle (Serie)
- Band of Brothers – Wir waren wie Brüder (Serie)
- The Pacific (Miniserie)
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