Vor dem Release lief das Marketing auf Hochtouren und umwarb die Thematik des Titels mit Begriffen wie „Mechanical Apartheid“ oder „Augs Lives Matter“. Sollten derart große Themen in einem Videospiel überhaupt behandelt werden? Und haben die Entwickler die beiden Themen mit Verständnis und Respekt umsetzen können?

Gute drei Monate ist es her, seit das futuristische Sci-Fi-Rollenspiel „Deus Ex, Mankind Divided“ erschienen ist. Die Geschichte ist in der nahen Zukunft angesiedelt: Biotechnische Prothesen, sogenannte Augmentierungen, ermöglichen der Menschheit, organische durch mechanische Körperteile zu ersetzen. Die großen Firmen und Pharmazie Konzerne feiern diese Technologie als die nächste Evolutionsstufe des Menschen. Die Gesellschaft hingegen ist gespalten: Viele sind vom Fortschritt und dem Nutzen – zum Beispiel für Verwundete – überzeugt, während riesige Menschenmassen gewaltsam gegen den Transhumanismus demonstrieren. Doch aufgrund eines fürchterlichen Defekts verlieren Millionen an Augmentierten weltweit kurzzeitig die Kontrolle über ihren Körper. Sie werden verrückt, attackieren Mitmenschen, stürzen sich in den Tod. Millionen sterben. Dieser Tag, der „Aug Incident“, geht als schrecklichstes Ereignis in der Geschichte der Menschheit ein.

Zwei Jahre später setzt nun die Handlung von Mankind Divided an:
Die Ursache des Defekts ist der Bevölkerung nie bekannt gewesen, also werden augmentierte Menschen, vorher normale Bürger, als Kollektiv gefürchtet und verstoßen. Augmentierte werden von der Gesellschaft verachtet, leben größtenteils in Armut und sind regelmäßig Opfer willkürlicher bürgerlicher und polizeilicher Gewalt. An jeder Ecke müssen sich augmentierte Personen ausweisen, sonst droht die Deportation in menschen-unwürdige Ghettos, in der die Ausgestoßenen in Armut und ohne jegliche Perspektiven hausen müssen.

„Mechanical Apartheid“

So weit, so klar die Anspielung auf „Mechanical Apartheid“.  Die echte Apartheid geht auf die Rassentrennung von schwarzen und weißen Menschen im 20.Jahrhundert zurück. Das Thema „Rassismus“ an sich wird in Mankind Divided im Prinzip nicht aufgegriffen, von daher steht der Begriff „Mechanical Apartheid“ tatsächlich nur für die nüchterne Trennung von Augmentierten und Nicht-Augmentierten. In diesem Kontext hätte man sich zwar ruhig eines anderen Begriffes bedienen können, trotzdem ergibt das in diesem Universum Sinn.

„Augs Lives Matter“

Doch was haben sich die Verantwortlichen mit „Augs Lives Matter“ gedacht? Die offensichtliche Referenz zu „Black Lives Matter“, der afro-amerikanischen Aktivisten-Bewegung gegen Gewalt gegen Schwarze, ist zwar laut dem Entwickler Eidos Montreal schon vor dem Entstehen der Bewegung im Jahr 2013 durch Zufall entstanden. Angesichts der frappierenden Ähnlichkeit der Slogans und der enormen Bekanntheit von „Black Lives Matter“ („BLM“) darf das allerdings stark bezweifelt werden.

Wo ist also das Problem? Sollten Videospiele solche Thematiken zukünftig etwa ganz umgehen und sich nicht mit realen, gesellschaftskritischen Themen wie Rassismus auseinandersetzen?

Doch, sollten sie!

Videospiele sind schon lange nicht mehr nur reiner Zeitvertreib für Kinder. Das gerade erschienene „Mafia 3“ thematisiert ganz offen und deutlich Themen wie Rassismus, jedes „Grand Theft Auto“ zeichnet mit größter Expertise eine zutiefst satirische amerikanische Gesellschaft, zahlreiche Indie-Titel wie „Papers Please“ versetzen den Spieler in moralische Dilemma, Spiele wie „Journey“ sind so minutiös und ästhetisch durchinszeniert, dass sie im Prinzip ein spielbares Gemälde darstellen und jedes „Uncharted“ ist ein interaktiver Action Film der Spitzenklasse.
Diese Beispiele zeigen ganz deutlich, dass das Medium dazu befähigt, Themen deutlich interaktiver und teils sogar vielschichtiger als mancher Film zu behandeln. Und genau da steckt das Problem: In einer Industrie, die immer erwachsener wird und sich immer mehr ernsteren Themen annimmt, darf es für stümperhafte Reflektion einfach kein Verständnis mehr geben.

Nett gemeint – schlecht umgesetzt

Das Setting von Mankind Divided ist schlicht nicht fähig, eine Thematik wie „Black Lives Matter“ zu tragen. Es ist an sich schon problematisch, sich so dreist bei einer echten Aktivisten-Bewegung zu bedienen. Immerhin steht „BLM“ auch für schwarze Identität, für Gleichberechtigung, für afro-amerikanischen Stolz. Das so auf eine Gruppe auszuweiten, deren Merkmal nicht die Hautfarbe, sondern maschinelle Prothesen sind, ist schon absurd, da die Gründe der Verfolgung komplett unterschiedlich nachvollziehbar und gravierend sind. Doch wenn das verantwortliche Marketing-Team mit solchen Themen Werbung macht, darf man auch erwarten, dass diese anständig umgesetzt werden, und das wurden sie nicht. Der Spieler erlebt, wie oben erklärt, zwar durchaus all die Unterdrückung und Diskriminierung, allerdings in einem zu offensichtlichen, pathetischen Kontext. Der Hass auf Augmentierte ist weder verschleiert, noch in irgendeiner Weise subtil angedeutet. Stattdessen wird die Abneigung der „Augs“ brachial in Szene gesetzt und so dermaßen überdreht, dass es schon fast wieder absurd ist.
In Bezug auf „Black Lives Matter“ wäre es wichtig gewesen, den Rassismus (oder im Falle des Spiels der Hass auf „Unnaturals“) sowohl vielschichtiger als auch glaubwürdiger zu inszenieren. Es ist schlicht nicht nachvollziehbar, dass maschinelle Menschen auf offener Straße umgebracht oder in fürchterliche Ghettos abgeschoben werden. Warum sollte ein Großteil der Gesellschaft so einen Hass auf diese Menschen haben, wenn sie doch vor zwei Jahren noch völlig normal in die Gesellschaft integriert waren? Und wenn auch klar ist, dass die Ursache wohl ein mechanischer Defekt gewesen sein muss, warum wird dann dieses Versagen auf die Menschen, die Leidtragenden projiziert?  Eidos Montreal übernimmt sich hier hoffnungslos an einer viel zu komplexen Thematik, die auf Biegen und Brechen in eine Story gepresst werden soll, in die sie schlicht nicht passt.

Vertane Chance

Videospiele bieten, wie bereits erwähnt, ein immenses Potential. Das liegt nicht nur in der Darstellung und dem Storytelling begründet, sondern ist vor allem der Interaktivität geschuldet. Videospiele können wie kein anderes Medium den Spieler in bestimmte Lagen versetzen und das spielerisch für sich ausnutzen. Hätte „Deus Ex Mankind Divided“ die Thematik des Rassismus um „Black Lives Matter“ vielschichtiger und erwachsener behandelt, wäre nicht nur die Bewegung, sondern auch das Verständnis von Rassismus an sich näher an den Mainstream gerückt und hätte somit mehr Leute erreicht. Verdammt schade!