Das Wort „Dispositiv“ beweist es: je abstrakter und schwammiger ein Begriff, desto mehr wird darüber diskutiert. Hinter dem Dispositiv steckt nicht nur der Medienblog der Uni Bayreuth. Den könnte man schließlich klar umreißen. Wo wäre da die Herausforderung? Über dreißig Jahre aktive Diskussion in unterschiedlichen Disziplinen – darunter auch der Medienwissenschaft – hat dieser Begriff ausgelöst. Dabei fängt alles mit einem kleinen Wörtchen an.
„dispositio“ ist lateinisch für „Anordnung“. Ursprünglich wurde der Begriff in der Rhetorik verwendet und bezeichnete die zweckmäßige Anordnung einer Rede.
Anordnungen kann man in vielen Bereichen finden. Viele Dinge und Sachverhalte sind auf irgendeine Art und Weise angeordnet und stehen in Beziehung zu anderen Dingen und Sachverhalten. Das hat in den 70ern auch der französische Philosoph Michel Foucault (1926 – 1984) festgestellt und darüber ein Buch geschrieben (Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit, 1978). Foucault definiert den Begriff „Dispositiv“
„als ein entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebenso wohl wie Ungesagtes umfasst. Soweit die Elemente des Dispositivs. Das Dispositiv selbst ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann.“
Das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Aber was hat das Ganze jetzt mit Kino zu tun? Denn schließlich steht im Titel dieses Artikels etwas von Kinophilosophie. An diesem Punkt kommt ein Zahnarzt ins Spiel. Wieder mal ein Franzose. Jean-Louis Baudry hatte ebenfalls in der Dispositiv-Diskussion mitgemischt und noch vor Foucault ein Werk („Le dispositif“, 1975) dazu veröffentlicht, in dem er das Dispositiv auf die Wahrnehmungsbedingungen des Kinos bezieht. Für ihn stellt das Kinodispositiv ein Netzwerk aus sozialen Konventionen, technischen Voraussetzungen und der Einbildungskraft des Kinogängers dar.
Aber zunächst mal von vorne. Gehen wir etwa 2400 Jahre zurück: Baudry hat für seine Erklärung des Kinodispositivs das Höhlengleichnis von Platon als Vergleich herangezogen. Mehrere Gefangene sind von Geburt an so an eine Höhlenwand gefesselt, dass sie nur diese eine Wand vor sich betrachten können. Hinter ihnen brennt ein Feuer, das die Schatten der Vorbeigehenden und der von ihnen transportierten Gegenstände an besagte Wand wirft. Da die Gefangenen nichts anderes kennen, halten sie die Schatten für die Realität.
Die Übertragung auf das Kino lautet bei Baudry folgendermaßen: die Gefangenen sind die Kinobesucher, die vom Film gefesselt auf ihren Sesseln sitzen. Sie haben in ihren Polstern nur eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten und können – laut Baudry – wie die Gefangenen keine Realitätsprüfung unternehmen. Wie die Höhle stellt der Kinosaal einen abgegrenzten und abgedunkelten Raum dar. Die Projektionsquelle (Feuer, bzw. Projektor) befindet sich jeweils hinter den Personen. Die Höhlenwand entspricht der Leinwand, auf der die Bilder reflektiert werden. Die Wahrnehmung der Menschen ist auf Sehen und Hören beschränkt.
An dieser Darstellung wurde teils bereits Kritik geübt: schließlich gehen wir ja freiwillig in die dunkle Höhle, die wir gegensätzlicherweise auch noch Lichtspielhaus nennen.
Auch den Traum arbeitet Baudry in seine Theorie ein. Mit Hilfe einer Untersuchung des Realitätseindrucks im Traum will er zu einer Erklärung des Realitätseindrucks im Film gelangen. Er definiert die kinematographische Projektion als „Beinahe-Traum“. Der Kinogänger ist also ein Träumender, einmal mehr in einer beschränkten Bewegungssituation, wieder gibt es den abgedunkelten Raum. Der Platz des Zuschauers ist von der Kamera eingenommen. Er bekommt den Eindruck vermittelt, die zentrale Perspektive zu haben. Dennoch bestimmt er nicht darüber. Weder der Träumende noch der Zuschauer können ins Geschehen eingreifen. Aber auch hier lässt nicht jeder den Vergleich ziehen: schließlich teilen wir so manchen Kinofilm mit zigtausenden oder sogar Millionen weiteren Zuschauern. Unsere Träume (glücklicherweise?) nicht.
Soweit ein kleiner Abriss zum (Kino-)Dispositivbegriff. Möglicherweise heißt der Medienblog der Uni Bayreuth nicht umsonst „Dispositiv“. Betrachten wir uns doch mal als ein solches: Eine Anordnung von Redakteuren und kommentierenden Lesern, verbunden durch eine technisch erstellte Internetseite mit den Gedanken und Ideen der Redakteure und Leser als Inhalt.
Hey.
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