Die Neuen Medien. Ein Phänomen, dass unsere Gesellschaft geprägt hat wie die Erfindung des Buchdrucks, die Konstruktion der Dampfmaschine oder die Entwicklung des Schießpulvers. Oft stehen technologische Neuerungen auch im Zentrum eines kulturellen Umbruchs. Die neuen Medien haben unsere Welt schneller gemacht, sie haben Kommunikation revolutioniert und sind der Antrieb für neue Formen der Kunst. Aber wie so oft muss dem neuen kulturellen Gut ein Altes weichen. Im Falle der Neuen Medien ist das – meiner Meinung nach – die Religion.

Religion ist eine der ältesten gesellschaftlichen Konstanten. Schon weit vor dem angeblichen Kommen von Jesus Christus verehrten die Menschen Götter und Propheten. Warum beginnt diese uralte Tradition dann gerade jetzt zu bröckeln? Und warum betrifft dies nicht Institutionen wie z.B. die Kirche sondern das Konzept des Glaubens an sich?

Entwicklung des Glaubens im 20. Jahrhundert

Zunächst einmal eine Statistik:

Im „Oxford Handbook of Atheism“ (Stephen Bullivant & Michael Ruse, 2013 – S. 232) vergleicht Geschichtsprofessor Callum Brown die Anzahl von Personen ohne Glauben mit der Gesamtbevölkerung in den Ländern Neu Seeland, Australien, Kanada, den USA, Irland und dem Vereinigten Königreich. Im Laufe des 20. Jahrhunderts ist hier vor allem zwischen 1960 und 1980 ein massiver Bruch auffällig. Während die Zahlen von 1900 – 1960 weitestgehend stabil blieben, gibt es von 1960 auf 1980 einen starken Anstieg der Nichtgläubigen. In Australien erhöht sich die Zahl der Nichtgläubigen sogar um mehr als das 20-fache.

Dies ist insofern auffällig, als dies der Zeitraum ist, in dem sich der Fernseher verbreitet hat. Jedoch ist das Fernsehen nicht die einzige technologische Neuerung, die die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts prägt. Fliegen wird immer billiger, Telekommunikation immer leichter zugänglich und der allgemeine Wohlstand erreicht in den Industrieländern neue Maßstäbe. Warum sollen dann ausgerechnet die Neuen Medien für den Rückgang der Religion verantwortlich sein? Und wichtiger: Warum begann der Rückgang der Religion nicht bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts, mit der Erfindung des Radios und der Verbreitung der Kinos?

Letztere Frage ist definitiv einfacher zu beantworten. Die Weltkriege waren im Weg und die Verfügbarkeit von Radio und Kino war, im Vergleich zur Verfügbarkeit des Fernsehens ab 1980, trotzdem eher gering. Im Krieg, einer Zeit völliger Ungewissheit, sehnt der Mensch sich nach Konstanten. Diese konnte die Religion den Menschen geben, die Medien konnten das, aufgrund ihrer Neuheit, noch nicht. Deswegen ging die Zahl der Nichtgläubigen von 1920 – 1940 in Kanada und Australien sogar etwas zurück.

Dies beantwortet zwar die Frage, warum die Religion während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht zurückging, aber nicht die Frage, warum die neuen Medien für den Rückgang der Religion verantwortlich sind.

Religion und Bedürfnisse

Um diese Frage beantworten zu können, will ich mir zunächst die Frage stellen, was Religion dem Menschen gibt. Um das auf einer grundlegenden Ebene einordnen zu können, benutze ich Abraham Maslows „Hierarchy of Needs“. Der Psychologe definiert hierbei fünf Ebenen menschlicher Bedürfnisse. Diese sind hierarchisch aufgebaut, sodass jeder Mensch danach strebt zunächst die Bedürfnisse am unteren Ende der Pyramide zu befriedigen. Demnach gibt es folgende Hierarchie: Physiologische Bedürfnisse > Sicherheit > Liebe & Zugehörigkeit > Ansehen > Selbstverwirklichung. Die Religion gibt dem Menschen hauptsächlich das Gefühl der Zugehörigkeit und unter entsprechenden Voraussetzungen auch ein Gefühl der Sicherheit. Dadurch, dass man weiß, dass mehr Menschen als nur man selbst der Gemeinschaft an Glaubenden angehören, fühlt man sich dieser Gemeinschaft zugehörig. Das Gefühl der Sicherheit kommt von der Angst vor dem Tod und der vermeintlichen Antwort, die der Glauben darauf liefert. Letzteres hat zur Voraussetzung, dass man den Tod fürchtet, und dies geschieht selbstverständlich nur, wenn man sein Leben bedroht sieht. Dabei gibt es das Problem der Vergänglichkeit und des Alters und im Prinzip ist das Leben jedes Menschen immer bedroht. Hierbei gilt: Je mehr Zeit man zum Nachdenken hat, desto geringer muss die akute Gefahr sein, da die Frage nach dem Tod bei geringerer Gefahr des eigenen Todes weniger gegenwärtig ist (also banal gesagt: Glauben = Akute Gefahr * Übrige Zeit).

Medien  vs. Religion

Die neuen Medien zerstören entweder die Voraussetzungen, oder befriedigen die gleichen Bedürfnisse, wie die Religion. Das Gefühl der Zugehörigkeit entsteht beim Konsum von Medien genauso wie beim Glauben. Beispielsweise ist man sich beim Ansehen von „Wetten Dass…?“ bewusst, dass es viele andere Personen gibt, die am selben Thema interessiert sind. Dies passiert v.a. auch dadurch, dass ein Studio Publikum vorhanden ist. Ob dieses Gefühl im Einzelfall stärker ist als das Gemeinschaftsgefühl in einer Glaubensgemeinschaft, kann ich an dieser Stelle nicht beurteilen, aber es ist vorhanden und – laut Statistik – auch signifikant.

Die andere Sache ist die, dass die neuen Medien die Zeit füllen, die man normalerweise zum Nachdenken über den Tod hat. Und da dies die zentrale Frage ist, um das Bedürfnis nach Sicherheit zu erwecken, das die Religion befriedigen will, können die neuen Medien die Religion so auch ersetzten. Das Ansehen eines Films oder das Spielen eines Spiels lässt wenig Zeit, um sich Gedanken über den Tod zu machen. Das besondere ist, dass die neuen Medien mit einer nie dagewesenen Regelmäßigkeit Ablenkung verschaffen können. Vor allem, weil sie auch im heimischen Wohnzimmer zugänglich sind. Deswegen ist auch nicht der größere Wohlstand für den Rückgang der Religion verantwortlich. Denn Wohlstand an sich verschafft zwar mehr Sicherheit, aber löst nicht die Frage nach dem Tod. Medien lösen die Frage selbstverständlich auch nicht, aber sie lenken davon ab. Das heißt in der Formel: Glauben = Akute Gefahr * Übrige Zeit verringert Wohlstand zwar den einen Faktor, erhöht jedoch den anderen, während Medien nur den „Übrige Zeit“ Faktor verringern.

Fazit

Dadurch, dass Religion aufgrund der neuen Medien keine Bedürfnisse mehr befriedigen kann, wird sie durch diese verdrängt. Dabei ist zu beachten, dass die Institutionen, die hinter dem Glauben stehen, diesen Prozess verlangsamen wollen. Es ist jedoch wichtig, dass die Medien nicht in Konkurrenz zu den Institutionen stehen, sondern lediglich das Konzept des Glaubens an sich überflüssig machen (ob die Institutionen dadurch überflüssig werden ist eine andere Frage). Die Medien bieten also eine Alternative zur Religion und können in einer Zeit mit geringer akuter Gefahr die übrige Zeit besser füllen als die Religion, wobei diese Einschätzung im Endeffekt sehr subjektiv ist. Aber deswegen ist dies ja auch ein Blogeintrag 🙂