Es gibt Meisterwerke, die sind für deren Schöpfer gleichermaßen Segen wie auch Fluch. Einerseits bilden sie die Grundlage für unsterblichen Weltruhm und Erfolg, andererseits definieren sie einen Standard, mit dem sich fortan jedes neue Werk des Künstlers messen lassen muss, oder – und das ist der schlimmste Fall – auf das sein Schaffen bis in alle Ewigkeit hin reduziert werden wird. Man denke nur an die Mona Lisa. Oder Smells Like Teen Spirit. Oder Rocky. Rocky? Na gut, da war auch noch Rambo. Aber auf jeden Fall Monkey Island! Der Adventure-Klassiker von anno 1990 gilt bis heute als einer der Meilensteine der Videospielgeschichte und wird vielerorts als Opus magnum von Lucasarts, vor allem aber der verantwortlichen Spieldesigner Tim Schafer und Ron Gilbert angesehen. Wann immer die beiden ein Spiel unter der Flagge ihres aktuellen Entwicklerstudios Double Fine Productions auf den Markt bringen, lechzen Redakteure weltweit bereits nach der Gelegenheit, mindestens einmal pro Artikel auf die glorreiche Vergangenheit der Point-and-Click-Adventures zu verweisen. Selbst der Autor dieses Textes kann diese journalistische Klippe nur ganz knapp durch billige mediale Selbstreflexion umschiffen. Schade!

Dabei ist der Vergleich diesmal doch naheliegender denn je. The Cave, so der Name der neuen unter der Leitung Ron Gilberts entstandenen Kreation, versucht nämlich, anders als bisherige Spiele von Double Fine, traditionelle Adventure-Tugenden mit modernen Spielmechaniken zu verknüpfen. Bevor ihr euer Abenteuer beginnt, müsst ihr jedoch wie schon bei Maniac Mansion ein dreiköpfiges Team aus den insgesamt sieben zur Verfügung stehenden Figuren zusammenstellen. Der Clou: Da alle Charaktere nicht nur über eine einzigartige Spezialfähigkeit verfügen, sondern zudem ein eigens auf sie zugeschneidertes Level mit sich bringen, bestimmt die Wahl eurer Helden auch den weiteren Spielverlauf. Jemand, der sich für den Hillbilly, die Wissenschaftlerin und den Mönch entscheidet, wird also ein anderes Spiel erleben als jemand, der mit der Abenteurerin, den Zwillingen und dem Ritter auf Höhlenforschung geht. Dadurch lohnt es sich auch, das Spiel ein zweites Mal durchzuspielen, denn die persönlichen Rätselabschnitte der Figuren sind das eigentliche Herzstück dieses Spiels.

Drei gewinnt

Habt ihr nach reiflicher Überlegung endlich eine Truppe zusammengestellt, steht dem Unternehmen Höhlentour nichts mehr im Wege. Mit Maus, Tastatur oder Gamepad (die komfortabelste Variante) hüpft und rätselt ihr euch durch die in comicartiger 3D-Optik gehaltenen Level, die größtenteils auch originell und abwechslungsreich gestaltet worden sind. Von Pyramiden bis hin zu einsamen Karibikinseln ist hier so ziemlich alles vertreten, was man wohl niemals so tief unter der Erde vermuten würde. Dabei könnt ihr jederzeit ganz einfach zwischen euren auserwählten Helden hin und her wechseln. Das ist natürlich nicht nur netter Bonus, sondern auch dringend notwendig, denn viele Rätsel erfordern geschicktes Teamwork. Umso ärgerlicher ist es da, dass das Manövrieren aller Figuren oft bedeutet, viele Wege doppelt zu laufen, was besonders dann zur Last wird, wenn man ein Rätsel nicht auf Anhieb versteht und zur Sicherheit auch jede noch so absurde Idee ausprobieren möchte. Das automatische Aufschließen der restlichen Gruppe gibt es leider nur nach Abschluss eines Levels. Wünschenswert wäre außerdem eine Auszoom-Funktion, um die oft verzweigten Höhlenkomplexe in Ruhe aus der Distanz betrachten zu können. Gerade nach einigen Tagen Spielpause kann es so nämlich schwierig werden, wieder in ein Rätsel reinzukommen. Abgesehen von diesen Kleinigkeiten ist der Spielfluss aber gut durchdacht und sorgt für wenig Frustration, erst recht, da das sowieso nur seltene Ableben einer Figur lediglich in der Teleportation zum letzten Checkpoint resultiert – doch Vorsicht: Wer sich nur von Screenshots zum Kauf verleiten lässt und ein actionlastiges Gameplay wie bei Trine erwartet, wird möglicherweise enttäuscht. Die „Action“ beschränkt sich hier auf das Springen und gelegentliche Bewegen von Objekten. Kämpfe, geschweige denn Gegner sucht man in The Cave vergeblich.

Das gilt ebenfalls für den Inhalt. Was die einzelnen Charaktere eigentlich zur Expedition in die rätselhaften Tiefen bewegt, bleibt mangels wirklicher Story und Dialogen ungeklärt. Mehr als ein gelegentliches Ächzen oder Stöhnen bekommt man von den drei Protagonisten nicht zu hören. Den in aller Regel düsteren Hintergrund eurer Figuren lernt ihr nur über die im ganzen Spiel versteckten Sammelbilder kennen, die, untertitelt mit kurzen Einzeilern, alle einen Teil aus deren Vergangenheit erzählen. Die Zeichnungen sind Geschmackssache, doch das System motiviert. Vielschichtig werden die Figuren dank des fehlenden Dialogs dadurch zwar trotzdem nicht, aber das ist halb so wild. Der eigentliche Star des Spiels ist schließlich sowieso die Höhle selbst. Im Gegensatz zur Mehrheit aller Videospiele, in denen Höhlen nicht mehr sind als bloßer Schauplatz mit Gegnerhorden im Überfluss, hat die Höhle in The Cave nämlich eigene Gedanken, Gefühle und selbstverständlich auch eine Stimme, um eben diesen Ausdruck zu verleihen. Als allwissender, omnipräsenter Erzähler kommentiert sie dabei das Treiben eurer Helden ähnlich wie schon GlaDOS in Portal oder Rucks im Indie-Hit Bastion. Die Dosis an Kommentaren ist dabei genau richtig und bleibt auf Dauer (fast immer) witzig. Das gilt ebenfalls für den allgemeinen Stil des Spiels, der sich durch seinen zumeist schwarzen Humor auszeichnet und mitunter auch gängige Klischees auf die Schippe nimmt. Der Ritter beispielsweise muss in seinem persönlichen Abschnitt Gold aus den Fängen eines Drachen stibitzen, um das Herz der Prinzessin zu erobern. So weit, so klassisch. The Cave treibt es aber noch einen Schritt weiter und zeigt, was passiert, wenn der tapfere Ritter seine Aufgabe schafft, vor lauter Euphorie aber vergisst, das Tor zum Drachenhort wieder zu verschließen. So viel sei verraten: Nichts Gutes.

Kopfnusslevel: Pistazie

Auch sonst sind die Rätsel sehr unterhaltsam. Ein weiteres Beispiel: Um einen ungeliebten Kollegen der Zeitreisenden zu beseitigen, können und müssen eure Helden per Zeitmaschine durch insgesamt drei Zeitebenen reisen und Ereignisse dabei so verändern, dass sich die Handlungen gewinnbringend auf die Zukunft auswirken. Das macht Spaß und erfordert Köpfchen, doch die Tatsache, dass jeder Charakter höchstens einen Gegenstand mit sich führen kann und Items nicht miteinander kombiniert werden können, entschärft den Anspruch an die grauen Zellen. Erfahrene Rätselfreunde dürften die meisten Herausforderungen von daher relativ zügig meistern, für weniger erprobte Spieler ist aber mit Sicherheit die eine oder andere Kopfnuss dabei. Die verschenkte Komplexität zeigt sich außerdem in der Umsetzung der Spezialfertigkeiten. Außerhalb der charakterspezifischen Levels finden diese nämlich kaum bis gar keine Verwendung mehr. Zugegeben, angesichts der möglichen Team-Kombinationen ist es wahrscheinlich unmöglich, ausgeglichene Rätsel zu gestalten, die wirklich alle Figuren und deren Fähigkeiten potentiell mit einbeziehen. Schade ist es aber irgendwie schon.

Dennoch ist The Cave ein ideales Spiel für zwischendurch, das ein paar Tage viel Spaß macht und seinen Preis von etwa 15 Euro auf jeden Fall wert ist. Das Design ist liebevoll, die Rätsel machen Spaß und das Gameplay geht locker von der Hand. Einen Multiplayer-Modus für bis zu drei Spieler am selben Gerät gibt es übrigens auch. Ob und wie gut der funktioniert, müsst ihr aber an anderer Stelle nachlesen. Fakt ist jedenfalls: The Cave ist nicht Monkey Island – und das ist auch gut so. Wer sich dessen bewusst ist, kann unbesorgt zugreifen. Wer lieber ein klassisches Point-and-Click-Adventure spielen möchte, der sollte einen Blick auf das Double Fine Adventure werfen. Das neue Projekt von Tim Schafer, Ron Gilbert und dem Rest von Double Fine sollte hoffentlich auch den letzten Nostalgiker glücklich machen.

Erhältlich ist The Cave ausschließlich per Download auf Steam sowie im Playstation Network, auf Xbox Live oder im Wii U eShop.