200. So viele Kerzen dürfen die Gebrüder Grimm und ihre Märchensammlung im Dezember 2012 auf der Geburtstagstorte zählen. Denn vor eben zwei Jahrhunderten ist der erste Band der Kinder- und Hausmärchensammlung von Jacob und Wilhelm Grimm erschienen. Seither ist es eines der am häufigsten übersetzten Werke der deutschen Literatur und die Märchen wurden nicht nur unzählige Male an den Kinderbetten vorgelesen, sondern mindestens eben so oft verfilmt, adaptiert und neu interpretiert.
So wundert es eigentlich nicht, dass zum Anlass der Feier gleich zwei Interpretationen des 53. Märchen der Autoren,Schneewittchen, das Kino stürmen, welche unterschiedlicher nicht sein könnten. Bei dem einen handelt es sich um eine komödiantische Fassung von Regisseur Tarsem Singh namens Spieglein, Spieglein – die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen unter anderen mit Julia Roberts. Hier wird der alte Märchenstoff aufpoliert, indem Stiefmutter und – tochter sich wegen Liebesangelegenheiten in die Haare kriegen. Die andere Interpretation wurde noch sehnlicher erwartet, denn diese schien mit ihrem  Titel Snow White and the Huntsman und der düsteren Aufmachung ganz klar in die Ecke Epos geschoben zu werden. Eine ganz neue Interpretation Schneewittchens, endlich ein düsteres Schneewittchen – so dachte man.

Durch das große Anpreisen des Filmes als Blockbuster und Epos und durch den durchaus ansprechenden Trailer ging ich mit großen Erwartungen ins Kino und leider wurden diese … nicht unbedingt enttäuscht aber auf jeden Fall nicht erfüllt. Dem Film fehlt es zwar nicht an fantastischen, stilistisch überhöhten und beeindruckenden Bildern, wie sie der Trailer schon versprochen hatte, und auch nicht an guter Unterhaltung. Doch es entstand schnell der Eindruck, dass sich der Regisseur und sein Team vor lauter Setgestaltung und szenisch-in-Perfektion-setzen (So stieß man schon mal während des Filmes über bekannt anmutende Bilder, welche an Herr der Ringe und Alice im Wunderland erinnern ließen) in eine Richtung verlaufen haben und damit das Wesentliche eines guten Filmes, nämlich Handlung und Figuren, vernachlässigt haben beziehungsweiße das Defizit dann durch erzwungen wirkende Handlungsschritte oder Figurenhandlungen decken wollten.

Die Handlung war flach, da erwartete ich von einer neuen Schneewittchen-Interpretation mehr und schon alleine der Grimmsche Stoff gibt meines Erachtens mehr her, als das Drehbuch zu Snow White and the Huntsman. Doch macht euch selbst ein Bild: Snow Whites Mutter stirbt als die Prinzessin noch ein Kind war und der Vater verliebt sich in eine Frau, welche er scheinbar aus den Klauen einer ominösen dunklen Armee befreit hat. Was er nicht wusste: Die Frau ist eine Hexe und stürzt mit ihrer Schönheit, ihrem getreuen Bruder Finn und einer dunklen Armee Königreiche. Ebendiese Hexe Ravenna, von Snow Whites Vater zur Königin gekönt, tötet ihn noch in der Hochzeitsnacht und besetzt mit ihrer Armee das Königreich. Snow White, welche sie aufgrund ihrer Schönheit und ihrer Anziehungskraft auf die Bevölkerung ihres Reiches verachtet, sperrt sie für Jahre in den Turm. Die Zeit zieht durch das Land und die Königin treibt ihr Unwesen im Reich. Eines Tages erklärt ihr der Zauberspiegel, dass eine Frau herangewachsen sei, welche ihr an Schönheit weit überlegen und außerdem in der Lage ist, Ravenna von ihrem Fluch – immer schön zu sein und schön sein zu müssen – befreien kann: Snow White. Bevor die Königin nach ihrem Leben trachten kann, entkommt Snow White aus ihrem Gefängnis und flieht in den Dunklen Wald. Die Königin erpresst daraufhin den Huntsman mit dem Versprechen, ihm seine verstorbene Frau wiederzubeleben, damit er Snow White zurück bringt, da nur er bereits im Dunklen Wald gewesen ist und sie dort ausfindig machen kann. Dies tut der Huntsman dann auch, doch als er merkt, dass die Königin dazu nicht fähig ist, stellt er sich auf Snow Whites Seite und begleitet sie auf ihrem Weg zu einem alten Freund der königlichen Familie Herzog Hammond, auf welchen sie auf die acht Zwerge treffen und weiterhin von dem Bruder der Königin gejagt werden. Als ihr Bruder scheitert, überreicht die Königin Snow White durch einen Trick den vergifteten Apfel. Ihre treuen Begleiter halten Snow White für tot. In der Burg des Herzogs aufgebarrt, trauert der Huntsman um Snow White und durch seinen Kuss wird diese scheinbar wiederbelebt. Nach einer feurigen Rede der Auferstandenen machen sich die Rebellen auf, um gegen die Königin zu kämpfen und Snow White den Weg zu bereiten, die Königin zu töten. Die Schlacht beginnt…

Was am anfang ganz vielversprechend beginnt und was ganz ordentlich endet, erleidet im zweiten Akt doch einen Dämpfer. In der Mitte des Filmes geht es eigentlich nur darum zum Herzog zu gelangen. Hierfür passieren Snow White und ihr Beschützer verschiedene Schauplätze, so ein Fischerdorf, welches nur verwitwete Frauen und Kinder bewohnen, den Elfenwald in welchen sie auf die 8 Zwerge treffen, und immer wieder tauchen Finn und seine Männer auf und veranlassen die Truppe zur Flucht. Die Schauplätze, die aufgemacht werden, haben im Nachhinein keine Bedeutung mehr. Das Motiv der drei Mordversuche wurde komplett vernachlässigt und eine Konfrontation mit den während des Filmes immer wieder eindrucksvoll gezeigten Zauberkräften der Königin wird von vornherein vermieden, indem man eben mal sagt, dass sie außerhalb ihres Reiches keinen Einfluss mehr hat. Ihre Macht wird somit nur in den Mauern des Schlosses demonstriert und die Bedrohung gegenüber Snow White personifiziert sich in dem wiederholten Auftauchen und Angriffen von Finn und seinen Soldaten. Ein paar Pfeile fliegen, die Gruppe flieht, ein neuer Schauplatz und schon geht es wieder von vorne los – ganz nett, aber auch nur wegen den guten Bildern und den profanen Witzen der Zwerge und des Huntsman. Da hätte man sich doch mehr Aktion der großen Hexe Ravenna gewünscht, welche man dann aber erst in der Apfelszene bekommt, in welcher die Königin nach dem Ableben ihres Bruders dann scheinbar endlich auf die Idee kommt, selbst mal einzugreifen – dafür ist diese Szene wirklich gut und listig gemacht. Ebenso wie Orte einfach betreten werden, welche nicht mehr wichtig sind, werden handlungsgebende Motive, wie dieses, das Snow White eine große Anziehungskraft auf Tiere hat (welches man vor allem aus dem Disney-Film kennt), zwar immer wieder eingeführt, aber nicht ausgeführt. So scheint zum Beispiel der ominöse Elch, welcher im Elfenwald erscheint, nur ein weiteres Mittel zu sein, zu zeigen, was man stilistisch drauf hat. Diese wunderbare Möglichkeit der Handlung Aktion zu geben, versumpft irgendwo zwischen der aufwendigen Stilisierung des Films und den Versuch die Handlung in eine Richtung zu lenken.

Über ihre Figuren scheinen die Filmemacher dabei regelrecht gestolpert zu sein. Ebenso wie Orte, werden immer wieder neue Figuren eingeführt, die eigentlich keinen Sinn haben. Den Sohn des Herzogs, William, welcher aufbricht um Snow White nach ihrer Flucht zu finden und sich hierfür undercover in Finns Truppe bewegt, könnte man eigentlich gleich von vorneherein weglassen. Er spielt für die Handlung keine Rolle. Wie ihr oben seht, funktioniert diese auch ohne ihn. Er erscheint wie ein erzwungenes Element, um der Handlung Fahrt zu geben und die Verantwortlichen scheinen sich wohl gedacht zu haben, ein Schneewittchen braucht doch einen „Prinzen“. Dabei haben sie anscheinend vergessen, dass Snow White schon einen Beschützer, nämlich den Huntsman, hat, für welchen sie sich, wenn man den Schluss richtig deutet, ja auch entscheidet. Die Szene mit dem Apfel, an welcher William die Schlüsselfigur ist, hätte man ohne diesen genauso gestalten können und somit vielleicht eher dem Huntsman und der Beziehung zwischen ihm und Snow White eine Chance geben können, sich weiter zu entfalten. Genauso fragwürdig erscheint die Einführung eines achten Zwergs, mit welcher man entweder das Motiv der sieben zwanghaft brechen wollte oder es erhalten wollte, nachdem man den achten Zwerg soeben mal hops gehen lässt (ebenfalls ein erzwungen wirkender Schritt um die Handlung anzureichern). Nicht nur das Figuren kommen und gehen, die, die bleiben, waren dafür leider auch nicht perfekt. Das für mich Störendste am ganzen Film: Snow White ist ein schrecklich flacher Charakter. Ihr Dialogumfang im ganzen Film umfasst höchstens gefühlte 15 Minuten. Und auch hier glaubt man einen gewissen Zwang der Filmemacher zu spüren, denn um die Figur Snow Whites doch noch einer Wandlung zu unterziehen, werden kleine Momente eingebaut, in denen eine Wandlung von einem hilflosen Kind zur mutigen Amazone angedeutet werden soll. Dies gelingt aber meiner Meinung nicht, denn wie glauben, dass Snow White nicht mit einem Dolch umgehen kann, wo sie vorher eine spektakuläre Flucht aus dem Schloss hingelegt hat und sich nicht scheute den Huntsman mit eben diesen Dolch zu bedrohen, welchen er dann wieder an sich nimmt, damit sie sich ja nicht verletzt, und ihr erst mal Kampfübungen zeigt?! Und wie die feurige Rede nach der Auferstehung der Totgeglaubten als den Höhepunkt der Wandlung des Snow Whites in das Kampfschneewittchen ernst nehmen, wenn Snow White selbt im ganzen Film stets betonte, dass nur sie die Königin besiegen könne und eigentlich nie einen Zweifel an ihrem Mut hatte?! Folglich findet man im Nachhinein, dass der Titel des Films Snow White and the Huntsman unglücklich gewählt war (denn auch einer Beziehung zwischen den beiden Figuren war nur in willkürlich gesetzten Momenten angedeutet; also nichts für die romantische Ader).

Man hätte den Film eher „The Huntsman“ oder „Ravenna“ nennen sollen, denn so sehr wie die Filmcrew über Snow Whites Charakter gestolpert ist, desto besser haben sie es schon bei der Königin und dem Huntsman gemacht. Diese waren die eigentlichen Hauptpersonen, da deren Charaktere wesentlich tiefgründiger gestaltet waren. Immer wieder erfuhr man während des Verlaufs des Filmes etwas von ihren Hintergründen, Gedanken, Sorgen, Ängsten und Beweggründen. Snow White, deren leidender Gesichtausdruck (typisch Kristen Stewart eben) und die Vorgeschichte, welche man am Anfang des Filmes mitbekommt, doch erahnen lassen, dass dieses Mädchen mit ihren jungen Jahren viel zu erzählen hätte, gerät dabei völlig in den Hintergrund. Schön Ausschauen und wenig Reden, scheint ihre Devise zu sein. Sie ist nur die Amazone, welche man beschützen, in Sicherheit bringen muss und welche dazu bestimmt ist die Königin zu stürzen. Dem gegenüber erscheint die Figur der Königin, deren psychologische Ebene gut ausgearbeitet und aufgezeigt wurde, als der eigentliche Protagonist des Filmes, zumal sie auch die Moral der Geschichte, Streben nach Schönheit und deren Preis, trägt.

Die Defizite der Handlung und Figuren ist übrigens laut anderen Filmkritiken auf den Regisseur Rupert Sanders zurückzuführen, welcher aus der Werbebranche kommt und mit Snow White and the Huntsman sein Spielfilmdebüt feiert. So wundert es nicht, dass der Film schnell an einen Werbespot erinnert und man wäre wohl auch nicht überrascht, wenn im nächsten Moment ein sexy Männermodel mit aufgeknöpften Hemd und Sixpack aus dem Zauberspiegel kommen würde und Werbung für ein Duftwässerchen Namens Snow White machen würde oder Charlize Theron in der nächsten Einstellung in die Kamera lächelt und eine Hautpflegeserie anpreisen würde.

Nach all den vielen Worten, alles nochmal in Kürze: Snow White and the Huntsman ist bestimmt kein schlechter Film, wenn man mal eine düstere Version des Märchens sehen und vor allem den Märchenstoff mal aus einer anderen Perspektive, nämlich der der Stiefmutter, betrachten will, sich von düsteren Bildern hinreisen lassen möchte und einfach gute Unterhaltung wünscht. Und immerhin sind Märchen ja, wenn man mal über die ganze Moral-Didaktik etc. hinweg sieht, vorwiegend nur das: gute Unterhaltung.

[ Hier noch ein kleines Extra, was ein Teil der Redaktion unbedingt am Ende dieses Artikels sehen wollte (Anmerkung des Chefredakteurs)]