Wenn von Filmklassikern die Rede ist, werden Horrorfilme meist sträflich übergangen. Dabei lassen sich zahllose Standards heutiger Publikumslieblinge auf die cleveren Gruseltricks vergangener Horror-Dekaden zurückführen. Undenkbar wäre Der Herr der Ringe, hätte Peter Jackson nicht vorher die Arbeit mit Make-Up-Prothesen und Animatronica in seinem Kult-Gorefest Braindead gemeistert. Ihr fandet das Gefühl der existenziellen Paranoia in der Truman Show innovativ? Dann schaut euch mal den Misstrauen weckenden Invasion of the Body Snatchers oder dessen Hippie-Remake von 1978 an. Die skandinavischen Filme der Dogma-Ära werden für ihren unbehaglichen Realismus als Meilensteine gewürdigt – dabei hat Tobe Hooper bereits 24 Jahre zuvor den dokumentarischen Low-Budget-Handkamera-Stil für seinen unheimlich authentischen Slasher The Texas Chainsaw Massacre genutzt.

Horror ist nicht bloß ein Nischengenre für masochistisch veranlagte Freaks, sondern tatsächlich für jeden zugänglich, der auch nur entfernt am Ergründen menschlicher Urängste interessiert ist. Die Vielfalt an Subgenres reicht dabei von Grusel-Komödie bis Giallo, von Science-Fiction-Horror bis Exploitation. Kaum ein anderes Filmgenre funktioniert storytechnisch so gut, weil für den Erfolg der Schockeffekte eine Empathie zu den Hauptfiguren Grundvoraussetzung ist. Und selten beschäftigen sich Filmemacher thematisch so reichlich mit Gender-Fragen wie im Horrorgenre, das in seiner Gesamtheit wahrscheinlich am häufigsten interessanteste Frauenrollen vorzuweisen hat – bei Actionfilmen ist die weibliche Opferrolle noch erduldeter Standard, unter Horrorfans hingegen längst verpöntes Klischee. Um nun an Halloween diese so oft verkannte Filmgattung zu zelebrieren, stelle ich euch eine Filmauswahl vor, bei der garantiert für jeden Geschmack etwas dabei ist.

Für Pflichtbewusste

Psycho, Alien, The Shining – die Listen der besten Horrorfilme werden meist von diesen drei Filmen angeführt, die man einfach kennen muss. Häufig übersehen, aber qualitativ in der gleichen Liga befindet sich John Carpenters The Thing. Das in beißend kalten Farben gehaltene Meisterwerk handelt von einer Antarktis-Crew, die einen außerirdischen Organismus entdeckt. Dieser nistet sich parasitär in Lebewesen ein, um die Eigenschaften seines Wirts zu absorbieren und ihn kurz darauf zu verstümmeln. Der Clou dabei: Durch die Gestaltwandlung kann man sich nie sicher sein, wer und ob man nicht selbst das „Ding“ ist. Carpenter nutzt die Prämisse, um eine paranoide Spannung zu erzeugen, die ohne aufgesetzte Jump Scares auskommt. Wer Horrorfilme wegen ihrer teils billigen Schreckmomente meidet, kommt hier also voll auf seine Gruselkosten, ohne einen Herzinfarkt befürchten zu müssen. The Thing ist unheimlich effektiv, weil die Einsamkeit der Eisstation perfekt eingefangen wird und sich deren Besatzung stets ihrer ausweglosen Lage bewusst ist. Auch wenn der Film an den Kinokassen floppte, war er Anstoß für die sogenannte Apokalypse-Trilogie, in der der Regisseur eine unheilvoll nihilistische Weltsicht präsentiert – voll mit Skepsis vor Autoritäten, Wissenschaft und Religion. Gefolgt von Prince of Darkness und In the Mouth of Madness, haben alle drei ein hevrorragendes Kreaturen-Design gemein, das ohne den Einsatz von Computereffekten richtig schön real-eklig ist. Diese Lovecraft’schen Ungeheuer sind überdeckt mit Schleim, tragen Gliedmaßen an den unnatürlichsten Stellen und sind so glaubwürdig animiert, dass man als Zuschauer wie die Crew vor Ehrfurcht erstarrt.

Wer sich hingegen schnell einen Überblick über die Historie und Funktionsweisen des Genres verschaffen will, sollte sich unbedingt die postmoderne Horrorhommage Cabin in the Woods reinziehen. Der Titel verweist bereits auf den überstrapazierten Hütte-im-Wald-Tropus, doch dieser wird so ironisch-clever unterwandert, dass man das Szenario am liebsten wieder feiern würde – weshalb das so gut klappt, sei an dieser Stelle aber nicht verraten, weil ein entscheidender Twist bereits innerhalb des ersten Aktes stattfindet. Drew Goddard und Co-Autor Joss Whedon haben hier etwas ganz Außergewöhnliches geschaffen: Einen mainstreamtauglichen Essayfilm über die Fragen wie und wieso man Geschichten erzählt – und das so humorvoll wie schon lange nicht mehr!

Für Arthouse-Connaisseure

Dass Horror versnobbten Kunstkino-Liebhabern etwas zu bieten hat, belegen groteske Verwirrspiele aus den 70ern. Dario Argento, der jahrelang Frauen in seinen Giallo-Geschichten ermorden ließ, war der bausteinhaften Erzählweise überdrüssig und hat mit Suspiria ein irres Kunstwerk geschaffen, das vorrangig auf audivisueller Erlebnisebene funktioniert. Textlich-narrativ ergibt es sonst kaum Sinn. Brutal sind hier eher die Farbkontraste, die gemischt mit pervers-doppeldeutiger Bildspache eine verstörende Atmosphäre erzeugen. Unterlegt mit dem hypnotisierenden Progressiv-Rock-Soundtrack der italienischen Band Goblin verewigt sich Argentos Alptraum ebenso in den Gehörgängen und lässt die einzigartige Stimmung lange nicht vergessen.

Nicht weniger Fragen wirft Nobuhiko Ôbayashis Hausu auf. Mit unerklärlichen Schnitten trickst und beschummelt der Japaner traditionelles Story-Verständnis ohne Rücksicht. Wenn hier ein Klavier von körperlosen Fingern bespielt wird, könnte das fast schon lustig sein, würde es nicht stets mit blutigem Gore konterkariert werden. Die scheinbar sinnbefreiten Bilder würden in ernsteren Werken ob ihrer Kunsthaftigkeit wahrscheinlich nerven – in Hausu ist die Mischung aus Komik und Unbehagen aber von Beginn an fesselnd und betörend. Es ist die Art von Film, der einen auch nüchtern in psychedelische Sphären befördert und bei jedem Sehen aufs neue überwältigt.

Für Konsumkritiker

Verschwörungstheorien sind nicht nur in Oldschool-Thrillern fesselnd unterhaltsam, sondern machen vor allem in kultigen B-Movie-Streifen einen Heidenspaß. Larry Cohen ist ein verkannter Meister darin, auf dem Papier alberne Geschichten in abenteuerliche Gesellschaftskritik zu verwandeln. So erzählt er in The Stuff von einem Joghurt, der die Menschheit zum Platzen bringt! Das klingt total trashig und das Wort Feingefühl wirkt fehl am Platz, aber irgendwie gelingt es ihm, das Ganze glaubwürdig zu vermitteln. Vermutlich liegt es daran, dass sich das Konzept nur allmählich ins Abstruse steigert. So beginnt alles mit einem neuen Produkt, „The Stuff“, das so eine starke Gaumenfreude auslöst, dass jeder trotz der schädlichen Wirkung süchtig wird. Wer mal von „Ben & Jerry’s“ abhängig war, dürfte das nicht allzu abwegig finden. Michael Moriarty spielt den Detektiv, der den zwielichtigen Hersteller durchleuchten soll. Das Casting ist eine brillante Wahl, weil der ultralässige Amerikaner mindestens so durchgeknallt wie Nicolas Cage in seinen wahnsinnigen Manierismen ist. Nach dem zynischen Finale fragt man sich dann tatsächlich selbst, wie viel Wahres nicht doch hinter gefährlichen Suchtmitteln in Alltagsprodukten stecken könnte – warum macht man sonst regelmäßig einen Abstecher zu McDonald’s oder kann bei einer offenen Snackpackung einfach nicht aufhören, sich vollzustopfen?

They Live ist ein weiterer John-Carpenter-Film, den ich hier empfehlen möchte. Mit einem der genialsten visuellen Einfälle der Filmgeschichte werden hier die versteckten Botschaften der Werbeindustrie offen gelegt, die mit der Regierung unter eine Decke steckt und einen kapitalistischen, narzisstischen Lifestyle propagiert. Ehemalige Wrestling-Ikone „Rowdy“ Roddy Piper mimt die skeptische Hauptfigur und sorgt für Kampfszenen, die den Film eher im Action-Genre verorten lassen. Aufgrund der omnipräsenten Manipulation fühlt man jedoch stets eine realitätsnahe Bedrohung, deren Schaudereffekt klar dem Horrorgenre zuzuschreiben ist.

Für Spaßvögel

Humor und Grusel sind zwei Elemente, die sich selten erfolgreich vereinen lassen. Zu viel Komik entschärft die Ernsthaftigkeit der Situation und zu viel Grauen erstickt jegliches Lachen. Dennoch ist es talentierten Filmemachern öfter gelungen als man denkt, die zwei Gegensätze in ausgewogener Balance zu vereinen. Da wäre zum einen die Fortsetzung des Independent-Schockers The Evil Dead von Filmschulverweigerer Sam Raimi. Evil Dead II baut auf dem düster-dreckigen Exploitation-Look des ersten Teils auf, aber ergänzt die übernatürlichen Dämonenangriffe mit einer gehörigen Portion blutigen Slapsticks. Obwohl sich die Charaktere nicht gerade in einer wünschenswerten Situation befinden, kann man beim Zusehen nicht anders, als über die wild gewordenen, prügelsüchtigen Haushaltsgegenstände zu lachen. Vor allem Hauptdarsteller Bruce Campbell, der daraufhin zum B-Movie-Star aufstieg, musste augenscheinlich etliche Schläge beim Dreh aushalten.

Ähnlich durch visuelle Gags aber viel mehr dank eines perfide gesponnenen Drehbuchs glänzt auch die Wissenschafts-Satire Re-Animator. Jeffrey Combs verkörpert den Inbegriff des Mad Scientists, der durch Gehirnforschungen versucht, frisch Verstorbene wiederzubeleben. Genre-typisch muss das natürlich schief gehen und die Auswirkungen sind so blutig-spritzig, dass man schon erahnen kann, wie viel Spaß die Akteure beim Dreh gehabt haben mussten. Wie gut das Ganze durchgeplant ist, wird einigen vermutlich erst beim zweiten Sehen auffallen: So ist zu Beginn des Films, wenn man vom bevorstehenden Horror noch gar keine Ahnung haben kann, im Hintergrund kurz ein Poster der Band „Talking Heads“ zu erkennen, auf dessen Ironie erst eine Stunde später verwiesen wird. Gut versteckte (Rück-)Verweise sind über den gesamten Film verteilt und belustigen vor allem aufmerksame Zuschauer.

Die Empfehlungen ließen sich noch endlos weiterführen. Ob Monster-Design-Meilensteine wie An American Werewolf in London oder feministische Meisterwerke wie Rosemary’s Baby – das Horrorgenre hat wirklich für jede Interessengruppe etwas zu bieten. Das macht es schon fast zu Schade, nur an Halloween über sie zu reden. In dem Sinne, viel Spaß beim Entdecken!