Oh boy.

Zeit für ein bisschen Fantasie.

Stellt euch vor, ihr seid ein Held. Vielleicht kein unglaublich toller Held, doch zumindest einer, der klare Ansprüche stellt: Keine Rettung von Prinzessinnen mit einer Körbchengröße unter D, Punkt. Stellt euch vor, an jeder Ecke wartet nun ein Bauer auf euch und fordert, dass ihr schleunigst seine Tochter rettet. Stellt euch vor, die Töchter sind undankbar und lassen euch noch nicht einmal ran. Und jetzt stellt euch vor, dass euch auch noch ein unverschämter Erzähler im Nacken sitzt, der keine Gelegenheit auslässt, sich über euch lustig zu machen und ständig den Moralapostel spielen muss.
Ihr würdet auch arschig und sarkastisch werden.

Jedenfalls geht es dem Barden aus „The Bard’s Tale“ so. Wir alle kennen die klassischen Fantasygeschichten aus Tamriel, Faerun, Khorinis und wie die zahlreichen Spielplätze für Helden noch so heißen. Doch die Welt des Barden ist alles andere als genretypisch – sie ist bösartig, einzigartig und urkomisch. Sie wiegt den Spieler immer wieder in Sicherheit, nur um ihn dann wieder mit Wahnsinn zu überschütten. Zum Beispiel wird der Barde wie in so vielen anderen Rollenspielen damit beauftragt, den Keller einer Taverne von einer Rattenplage zu befreien. Die Belohnung: Endlich eine warme Mahlzeit im Bauch und eine kuschelige Nacht mit der drallen Schankwirtin.

Bard: „Rats, you say? In the cellar… how cliché of you, love, but I’ll forgive you this once.“

Eine simple, klischeebeladene Einstiegsquest? Denkste! Es stellt sich heraus, dass die Ratte viermal so groß ist wie der Barde und Feuer speit. Das ist das Pech des Barden, das ihn auf Schritt und Tritt verfolgt und ihn lichterloh wie eine Fackel brennend aus dem Keller fliehen lässt. Der Barde ist ein absoluter Antiheld und wir gönnen es ihm, ein wenig zu leiden. Wenn er etwa panisch seinen Gefangenen loschneidet und sich von ihm Hilfe beim kommenden Kampf erhofft, sucht der schleunigst das Weite. Verdammt! Der Barde flucht, der Spieler lacht Tränen – willkommen im wohl lustigsten aller Computerspiele. Nur der Barde, der hat selten was zu lachen.

Die Story handelt von einer Prinzessin in Nöten und von dem Barden, der sie auf der Suche nach coin and cleavage retten möchte. Wichtigste Hilfsmittel bei dem epischen Abenteuer sind eine Laute, mit deren Hilfe der Barde magische Helferlein beschwören kann und die magischen Pin-up Fotos der Prinzessin, die kreuz und quer in seinem Geist umherschwirren. Der Barde ist jedoch nicht der einzige, der besonders auf cleavage aus ist – immer wieder fallen Waisenkinder und Bauernsöhne vor seine Füße, die als große Auserwählte damit gescheitert sind, die Prinzessin zu retten. Wie sooft in Computerspielen ist die Geschichte aber auch eher nebensächlich und nur durch ihre eigene Parodie herausragend – was zählt, ist der herrliche Humor. An jeder Ecke finden sich Anspielungen auf die typischen Rollenspiel-Klischees, die dann auch sogleich durch den Kakao gezogen werden. Man liegt gar nicht mal so falsch, wenn man „The Bard’s Tale“ als die „Nackte Kanone“ unter den Rollenspielen bezeichnet. Als der Erzähler zum Beispiel den namenlosen Helden dafür kritisiert, in Häuser einzudringen und die Bewohner um sämtliche Wertgegenstände zu erleichtern, kommt von ihm nur die ziemlich knappe Antwort, dass die Schatztruhen ohne seine tatkräftige Hilfe doch bald völlig überfüllt sein würden. Wer das Rollenspiel-Genre mag, der wird mit einem  grenzdebilen Grinsen das Abenteuer des Barden verfolgen. Vielleicht jedoch sind wir beide einfach nur seltsame Menschen. Eines ist jedoch klar: Die stärksten und witzigsten Momente hat das Spiel, wenn der Barde die vierte Wand durchbricht und sich mit dem omnipräsenten Erzähler streitet.

Narrator: „Despite the Bard’s warm and shining personality, people continued to run from him like the plague. Perhaps he would one day learn that in order to keep friends near, a man such as himself needed to keep them tied up.“
Bard: „If only I could find a sock big enough to put in that mouth of yours.“
Narrator: „Where were we… The Bard was making an ass of himself… and then… ah yes here it is…“

Sicher, „The Bard’s Tale“ ist alles andere als perfekt. Die Grafik galt schon bei seiner Erscheinung 2004 als angestaubt, bietet heutzutage jedoch eine schöne Retro-Atmosphäre. Kleinere Bugs lauern an jeder Ecke, manche Aufträge wirken arg in die Länge gezogen und auch das Beschwören von Verbündeten durch Tastenkombinationen gerät im weiteren Spielverlauf zu einem gigantischen Chaos. Der Barde rennt dabei wild von einem Ende des Bildschirms zum anderen und spielt verzweifelt seine schiefen Melodien, während wir fluchen und uns ein ums andere Mal vertippen. Hinzu kommt der teilweise frustrierend hohe Schwierigkeitsgrad. Bis man genug Helferlein beschwören und funktionierende Taktiken basteln kann, wird man von zahlreichen Wölfen, Ebern und dem schottischen Äquivalent von Goblins mies verprügelt – sehr zur Freude des Erzählers, aber zum Frust des Spielers. Es kann nämlich ganz schön ätzend werden, sich durch die immer gleichen Gegnerhorden zu prügeln. Abgesehen von der Wahl der unterschiedlichen Begleitern ist man nämlich sehr unflexibel. Kein Wunder, dass wir oft ins Gras beißen – Barden haben es echt nicht leicht. Der sarkastische Erzähler und die gelungenen Parodien treiben den Spieler jedoch auch durch die Tiefpunkte des Spiels, etwa einer einstündigen, tierisch langweiligen Eskortmission.

Oliver Kalkofe gibt sich zwar in der deutschen Sprachausgabe große Mühe, doch reicht nichts an die geniale englische Vertonung heran, die als Krönung zahlreiche Charaktere mit  irischem oder schottischem Akzent bietet. Einfach herrlich! Besonders skurril wird es schon am Anfang des Spiels, als in der Taverne das irische Trinklied „Charlie Mopps“ über den Erfinder des Bieres geschmettert wird. Hätte der Barde mal ein Ohr dafür gehabt statt nur Augen für die Schankwirtin, dann hätte ihn die Feuer speiende Ratte im Kellergewölbe auch nicht mehr besonders überraschen können.

Bei der großen Rolle, die Musik spielt, ist es überraschend, dass der Barde niemals singt. Er beschwört seine Begleiter zwar durch einige Akkorde auf seiner Laute, aber scheint ansonsten völlig unmusikalisch zu sein. Dank der herrlichen Karaokefunktion konnten wir es dem Barden aber nochmal so richtig zeigen, wenn wir schunkelnd die nächste Gesangseinlage mitsingen. „The Bard’s Tale“ punktet trotzdem am meisten mit seinem feinen, sarkastischen Humor. Dadurch sticht es aus der großen Masse der Rollenspiele heraus und gerade Fans des Genres sollten es unbedingt einmal ausprobieren, denn es ist innovativ und herrlich abgedreht. Sein unvergleichlicher Charme ist nach fast 10 Jahren wie ein guter Wein gereift und keineswegs verflogen, die Pointen zünden noch immer und wir hatten einen Heidenspaß mit dem Spiel. Interesse? Derzeit gibt es „The Bard’s Tale“ im Humble Bundle – Prinzessinnen mit Körbchengröße D warten auf euch.

Ein Hoch auf Charlie Mopps!
(So say we all)

Valle und Jannik