Ich habe am Lenkrad nichts verloren. Der Gedanke kommt mir immer dann, wenn ich mich an meine katastrophalen Versuche mit Rennspielen wie Gran Turismo oder selbst dem arcadigen Crash Team Racing erinnere. Wenn es ein Schadensmodell gibt, rolle ich mit einem qualmenden Schrotthaufen ins Ziel. Wenn es keines gibt, lande ich mit meinem funkelnden Flitzer auf dem letzten Platz. Selten waren sich Spiel und Realität so nahe – ich bin zwar in Bayreuth noch nie die Streckenbegrenzungen entlang geschrammt, aber nur, weil das in Echt einfach nicht möglich ist. Okay, und wahrscheinlich, weil ich in der Realität nicht rase, sondern gurke. Aber wer will schon bei einem Rennspiel gurken? Wer bremst, verliert! Und das ist eigentlich eines der größten Probleme meines Lebens, mein Entweder-Oder des Autofahrens: Wenn ich nicht gurke, dann rutsche ich von Wand zu Wand. Aber dieses teuflische XG3 – Xtreme G Racing (2001, Playstation 2 und Gamecube) aus dem Hause Acclaim schaffte es sogar, dass ich beides gleichzeitig tat. Die Aufarbeitung eines Traumas.

Um eines gleich am Anfang klarzustellen und mich ein wenig zu verteidigen: Für heutige Verhältnisse gurkt man mit 300 km/h keineswegs. Für heutige Verhältnisse bin ich mit meinem Motorrad atemberaubend schnell geflitzt. Doch im 23. Jahrhundert sieht die Sache ganz anders aus. Da sind 300 km/h Schneckentempo und wahrscheinlich wird man damit von der Polizei angehalten und gefragt, warum man die ältere Dame hinter einem denn so ausbremst. In dieser Höllenzeit spielt XG3. Zwölf Fahrer treten hier auf zehn exotischen Strecken gegeneinander an, treibende Techno-Beats von Ministry of Sound und zahlreiche Waffen inklusive. Das Gefühl für Geschwindigkeit wurde selten so gut umgesetzt wie bei diesem Spiel und trotz seines Alters und einiger matschiger Texturen verstärken die immer noch beeindruckenden Sound- und Grafikeffekte diesen Effekt. Daher bekam ich bei 1000 km/h so langsam einen Tunnelblick, während links und rechts grüne Funken sprangen, da ich nicht mehr wirklich lenken konnte. Im Klartext: Ich fuhr nicht die Strecke – die Strecke fuhr mich. Stellt euch einen kleinen (ergo jungen) zehnjährigen Jungen vor, der sich fragt, warum das Schild seines Motorrads nach wenigen Runden immer zerschellt, bevor das liebevoll getunte Gefährt schließlich explodiert. Traurige Katzenbabys sind nichts dagegen. Wer den Verlauf der Strecke nicht auswendig kennt, muss an den Wänden rutschen. XG3 ist hammerhart und es hilft auch nur bedingt, dass man zunächst in der etwas ruhigeren 250-G-Division antritt und weiter aufsteigt, bis man am Ende schließlich die 1000-G-Liga bestreitet, denn der Schwierigkeitsgrad steigt extrem rasant an.

Obwohl XG3 als Arcade-Racer der alten Schule keinen Story-Modus bietet, wird für viel Langzeitspielspaß gesorgt, da man erstens sein Preisgeld ins Tuning oder in neue Waffen investieren und zweitens auch im Multiplayer-Modus auf Höllenmaschinen Wände küssen kann. Eine Kombination dieser beiden Features sorgte für eine der größten Frustrationen meiner Videospiel-Geschichte. Es war der 27. Juli 2002 (so ungefähr), als ich bei einer Session mit meinem Bruder merkte, wie ich plötzlich alles richtig machte. 1. Platz, keine grünen Funken. Ich war der König der Rennpiste, der beste Rennfahrer des 23. Jahrhunderts. Für anderthalb Minuten. Dann ertönte ein penetrantes, lauter werdendes Piepen und mit einem lauten Knall explodierte mein Motorrad in tausend Teile. Mein Bruder hatte sich in weiser Voraussicht und aus purer Boshaftigkeit eine Railgun gekauft und mich vernichtet. Das Rennen war für mich gelaufen, kein zweites Leben, kein Preisgeld. Nur die Möglichkeit, als Zuschauer mitzuerleben, wie mein Bruder triumphierte. Bevor ich von einer Railgun massakriert werde, lasse ich mich dann doch lieber von Chefredakteurin Nadja durch die Bayreuther Innenstadt fahren. Herrlich entspannend und nur ab und zu wie ein Rennspiel.