In den beliebtesten Online-Computerspielen werden täglich eine Menge Güter gehandelt. Waffen, Rüstungen, ganze Charaktere oder auch Hilfe bei den Quests – alles was das SpielerInnenherz begehrt ist gegen Geld zu bekommen. Einige der größten Wirtschaftsräume liegen bereits in virtuellen Welten und werden von Computerspielkonzernen kontrolliert – zumindest im aktuellen Roman des kanadischen Science-Fiction Autors Cory Doctorow „For the Win“, der jetzt in deutscher Übersetzung erschienen ist und dem diese Vorstellung als Grundlage für eine spannende Geschichte dient.

Den Schüler Wei-Dong aus Los Angeles, den Chinesen Matthew und das indische Slum-Mädchen Yasmin eint eine Sache: sie sind Goldfarmer, also Menschen, die gegen Geld Computer spielen und in den virtuellen Welten Items erstreiten oder Dienstleistungen anbieten. Wei-Dong ist mit Matthew in einem Clan und eher aus Spaß Goldfarmer, zumindest bis er von seinen Eltern, die ihn auf ein Militärinternat schicken wollen, wegläuft. Er verdient sich den Lebensunterhalt von da an als „Mechanischer Türke„, einem von den Spielefirmen bezahlten Menschen, der gegen Minimalbeträge einfache Rollen und Aufgaben im Spiel übernimmt, wo die künstliche Intelligenz an ihre Grenzen trifft. Für Matthew ist die Sache schon ernster. Er wird gezwungen für einen Boss zu arbeiten, der den Großteil seiner Gewinne einstreicht. Nach einem Ausflug in die Unabhängigkeit zerstören die Handlanger des Bosses seine Computer und schlagen ihn brutal zusammen. Er und seine Freunde müssen schließlich zurück in die Goldfarming-Fabrik. Yasmin arbeitet derweil in der Armee von Mala „General Robotwallah“ und zunächst sieht es für sie nach einem Traumjob aus. Sie muss nicht mehr Müll sortieren gehen und verdient sogar etwas mehr. Doch den Großteil der Gewinne der Armee streicht Mala ein und auch sie muss an einen Boss Abgaben machen. Derweil werden Goldfarmer, sofern sie nicht wie Wei-Dong für das Spiel arbeiten, von den Spielekonzernen verfolgt, da diese von ihnen die Wirtschaft ihrer virtuellen Welten gefährdet sehen.

Eines Tages treffen die Goldfarmer auf Schwester Nor aus Singapur. Sie will die alten Probleme in den neuen Welten mit einer alten Idee lösen: Einer Gewerkschaft von Goldfarmern, die mit weltweiter Solidarität unter den ArbeiterInnen gegen die Bosse und die Spielekonzerne kämpfen will. Sie nennt diese Gewerkschaft die „Industrial Workers of the World Wide Web“ oder kurz „Webblys“, in Anlehnung an die revolutionären Industrial Workers of the World, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts aktiv waren. Auch wenn sie in der virtuellen Welt an Bedeutung gewinnen, fällt es ihnen offline noch schwer. So wollen die indischen Gewerkschaften nichts von einer Zusammenarbeit wissen, nicht nur weil sie nichts von den Spielen verstehen, sondern auch weil sie durchaus nationalistisch eingestellt sind und in ArbeiterInnen im Ausland eine Bedrohung sehen. Doch dann eskaliert die Situation in China. Ein Aufpasser erschießt einen Goldfarmer, der sich weigert seinen privaten Spiel-Character dem Boss zu überlassen, nachdem er eines der seltensten Items im Spiel erringen konnte. Die anderen Goldfarmer der Fabrik lynchen den Wächter und treten in einen wilden Streik. Der wird zwar niedergeschlagen, doch von da an wird die Bewegung zunehmend erfolgreicher. Die Repressalien gegen die Webblys werden mit zunehmenden Erfolg zwar ausgeweitet, doch sie gewinnen auch wichtige Unterstützung durch die Moderatorin eines illegalen Webradios, die ihre Hörerinnen – vor allem Frauen in den Nähfabriken – für die Sache der Goldminer gewinnen kann. Gemeinsam arbeiten sie auf einen großen Plan hin, der die Wirtschaft der Onlinegames in ihren Grundfesten erschüttern soll, um bei den Spielekonzernen Gehör zu finden. Doch auch die Gegenseite rüstet auf.

Eines der Hauptmerkmale des Romans ist, dass vieles, was er beschreibt, bereits heute in Ansätzen existiert und die Fiktion so gut vorstellbar macht. Auch wenn der Handel in Massive Multiplayer Onlinegames wie „World of Warcraft“ vielleicht nicht so mächtig sein mag, dass er es mit dem einer Industrienation aufnehmen kann, werden dort doch jetzt schon riesige Summen umgesetzt. Der demnächst erscheinende dritte Teil des Rollenspielklassikers „Diablo“ wird erstmals ein Aktionshaus beinhalten, in dem nicht mehr nur gegen virtuelle Währungseinheiten ge- und verkauft werden kann, sondern auch gegen „echte“ Dollars und Euros. Was das für das Goldfarming bedeutet, ist noch nicht ganz abzusehen. Vermutlich versucht die Spieleschmiede Blizzard so Kontrolle über den Markt der virtuellen Güter zu erlangen, wurden diese doch bisher außerhalb von ihrem Einflussbereich gehandelt. Sie wird sich vermutlich auch weiterhin das Recht vorbehalten Goldfarming-Accounts zu schließen und die Farmer werden wie vorher auf einen Schwarzmarkt ausweichen. Doch es lässt die Grenze zwischen legalem und illegalem Handel im Computerspiel weiter verschwimmen. Wann auch wir vom Arbeitsamt Unterstützung für eine Ich-AG als goldfarmender Barbar in Diablo beantragen können, ist allerdings noch nicht absehbar.

Doch es geht dem Roman auch nicht ausschließlich um die virtuelle Welt. Sie ist zwar Arbeitsplatz der meisten Charaktere und Schauplatz einiger Auseinandersetzungen. Die wichtigste Funktion der virtuellen Welt im Roman ist aber, dass sie nicht an Staatsgrenzen orientiert ist und es sich so geradezu aufdrängt, dass so die Webblys als neue Internationale tätig werden. Die Ausbeutungsmechanismen sind derweil fast die gleichen wie die der klassischen ArbeiterInnen. Den SpielerInnen ist ihr Hobby zum Beruf geworden. Sie nehmen naiv die schlechte Bezahlung zunächst als großzügige Geste wahr und merken nur langsam, wie sie um ihren Spaß und in Abhängigkeit der Bosse gebracht werden. Als typisch amerikanisch erscheint, dass es gerade eine Gewerkschaft ist, die die ArbeiterInnen aus dem größten Elend zu retten versucht. Wie könnten deutsche AutorInnen, die den DGB vor Augen haben, auch nur auf so eine Idee kommen, geschweige denn sie umsetzen, ohne dabei peinlich zu sein? Da scheint der Glaube an die Authentizität der Anliegen trotz der zahlenmäßigen Unbedeutenheit auf der anderen Seite des Atlantik ausgeprägter. Die von den ProtagonistInnen vorgetragenen Ausführungen zu Spiel- und Weltökonomie prägen das Buch und sind teilweise recht ausführlich. Doch sie sind auch gut in die Rahmenhandlung und Kämpfe in den verschiedenen Welten integriert, so dass auch LeserInnen, die sich von einem Roman vor allem Spannung und Unterhaltung erwarten, nicht zu kurz kommen dürften.

Die Übersetzung ist derweil gut gelungen, gerade weil sie sich nicht dafür hergibt, jedes englische Wort der Gamersprache einzudeutschen. Ältere Semester finden dafür im Anhang einen Glossar. Ein kleiner aber zu erwähnender Mangel ist in der Übersetzung der Untertitel auf dem Cover „Spiel um dein Leben – sonst tun es Andere“, der in der amerikanischen Ausgabe mit „Online or offline, you’ve got to organize to survive“ doch deutlich klarer die Aussage des Buchs trifft.

„For the Win“ misst 640 Seiten und ist für 16,99 Euro im Heyne-Verlag erschienen.  Die amerikansche Version ist unter einer Creative Commons Lizenz veröffentlicht worden und kann online im Volltext aufgerufen werden. Die Lizenz erlaubt auch ausdrücklich unkommerzielle Adaptionen und Remixe.