Ein persönliches Gutachten zu Caligula (1979, Regie: Tinto Brass)

Ich sollte endlich damit beginnen, zu schreiben, was geschrieben werden muss: die Wahrheit.

Was nun folgt, ist ein persönlicher Leidensbericht, ein Liveticker. Ich werde auf Play drücken und versuchen, alles, was ich sehe, in Worte zu fassen. Caligula. Dieser Film ist nicht nur eine Herausforderung, er ist eine universelle Kriegserklärung. Caligula ist Blitzkrieg im Zerebrum. Zumindest hatte ich diesen Eindruck, als ich das erste mal auf dieses Machwerk gestoßen bin. Vor etwa vier Jahren erfuhr ich durch einen Freund erstmals davon:  Kennst du Caligula? Ist aus den Siebzigern, der Produzent war der Meinung, dass sich der Film so nicht verkaufen würde und hat deshalb einfach Hardcore-Pornoszenen mit reingeschnitten. Meine Aufmerksamkeit war geweckt. Am nächsten Tag überreichte er mir einen USB-Stick. Damals, 2009, hab ich nur zu den wichtigen Stellen vorgespult, bemerkt, wie bizarr der Film ist und dass dieser Typ von Clockwork Orange auch mitspielt.

Jetzt ist es 2013 und ich drücke auf Play. Heute weiß ich, dass dieser Kerl Malcom McDowell heißt und die Hauptrolle, den Jüngling Caligula, besetzt. In der Eröffnungsszene tollt selbiger mit einer halbnackten Frau im Wald, das Bild wird schwarz, und nach einem kurzen Monolog ertönt Prokofjews Tanz der Ritter. Pathos und Porno, der Film könnte ja doch ganz cool werden. Meine Euphorie schwindet relativ schnell, als das Intro vorbei ist. Caligula liegt mit seiner Schwester im Bett, sie schmusen und flüstern sich Dinge ins Ohr. Als ob das nicht schon seltsam genug wäre, leiden die Schamteile der Schwester an chronischer Entblößung. Warum durfte ich schon innerhalb der ersten 5 Minuten mehrmals haarige weibliche Intimbereiche erblicken? Ach ja, der Regisseur ist Italiener. Und es waren die Siebziger. Szenenwechsel. Mehrere nackte Männer schlagen mit Spitzhacken in Felswände, am Horizont ragen riesige steinerne Phallussymbole gen Himmel. Caligula, selbst ein Prinz, wurde gebeten, den Cäsar zu besuchen. In dessen Palast angekommen, springt er zwischen den Säulen umher, während man im Hintergrund Peitschenhiebe und Frauenschreie hört. Nackte Dienerinnen laufen durch das Bild. So langsam verstehe ich, man will wohl die perverse Dekadenz des spätrömischen Reichs darstellen? Es wird immer skurriler. Caligula trifft den Kaiser in der Therme, umringt von etlichen nackten Frauen, die ihre Babies stillen. Nach einer kurzen Tanzeinlage, vielen Penissen und Brüsten erklärt der Kaiser von Rom, dass er bald sterben wird und einen Nachfolger sucht.

Der Cäsar führt Caligula durch eine Art Freudenhaus, in dem sich allerlei missgestaltete oder körperlich behinderte Menschen tummeln. Der Film läuft nun seit ungefähr 15 Minuten. Einem Soldaten wird, da er im Dienst getrunken hat, der Penis mit einem Draht abgetrennt. Das reicht so natürlich nicht. Außerdem wird ihm per Trichter gewaltsam Wein eingeflößt und eine masturbierende Frau beobachtet vergnügt das Geschehen. Was folgt, sind die vom Produzenten im Nachhinein eingespielten (aber an den Originalsets gedrehten) pornographischen Szenen. Ein Potpourri aus Blut und Sperma neben Frauen mit Riesenpenissen, siamesischen Zwillingen, kleinwüchsigen beim Oralverkehr, einem Typ mit drei Augen und einem mit vier Händen.

Etwas stirbt in mir. Ich habe einmal davon gehört, dass Menschen nach dem Tod eines Geliebten fünf Trauerphasen durchleben. Verneinung, Zorn, Verhandeln, Depression und schlussendlich Akzeptanz. Umgemünzt auf die Beobachtung dieses Films stecke ich noch mitten in der Verneinung.

All the people in my state are wicked beasts, erklärt der Cäsar. Oh, was für eine originelle, verborgene Metaphorik! Ich glaube, so langsam hab ich’s verstanden, diese Römer waren damals ganz schön dekadent und pervers! Wie auch immer, Caligula strebt die Nachfolge des Cäsars an und eine typische Geschichte voller Intrigen scheint sich zu entfalten. Währenddessen liegt er wieder mit seiner Schwester im Bett. Gerade als ich dachte, dass ein Plot entstehen (Caligula lässt den Kaiser töten und krönt sich selbst) und es ruhiger würde, ejakulieren mehrere Männer in einen Kelch für die an Caligula versprochene Frau, die sich gerade eine Maniküre leistet. Ich frage mich wutentbrannt, was der Unsinn eigentlich soll und bin damit wohl beim Zorn angekommen. Caligula pinkelt währenddessen in einen Pool. Danach lässt er die Frau umbringen, denn er will seine Schwester heiraten. You can’t, we are not egypts!, argumentiert diese darauf einleuchtend und führt ihn zu einem Brunnen voller Nymphen, die sich miteinander vergnügen. Er soll sich eine Ehefrau aussuchen und entscheidet sich für Drusilla, beide küssen sich, beginnen mit dem Liebesspiel und – was? Die Kamera schwenkt prüde zur Seite? Welch Ironie!

Als Cäsar treibt Caligula nun allerlei Schabernack mit seinen Untertanen, lässt Männer von einer gigantischen, sich bewegenden Todeswand köpfen, feiert Orgien und tanzt nackt im Regen. Dass dabei immer wieder die vom Produzenten Bob Guccione frech eingefügten Pornoszenen zu sehen sind, muss nicht weiter erwähnt werden. Der selbsternannte Cäsar besucht später die Hochzeit eines Untertanen. Dort überrascht er das Ehepaar, vergewaltigt die Braut und fistet den Bräutigam. Noch nicht genug gedemütigt, wird dieser daraufhin umgebracht. Zwei Frauen spielen mit seiner Leiche, eine von beiden pinkelt auf ihn, danach wird dem Leichnam der Penis abgeschnitten und Hunden zum Fraß vorgeworfen. Oh man, die spinnen, die Römer!

Caligula hat nun nach und nach mit einigen Schicksalsschlägen zu kämpfen – sein Erstgeborenes ist ein Mädchen und seine geliebte Schwester stirbt. Wie man nach dem Tod eines geliebten Menschen eben so reagiert, beginnt er auch gleich damit den leblosen Körper der Schwester von oben bis unten ab zu lecken. Moment mal, er leckt sie ab? Vielleicht verstehe ich diesen Film einfach falsch. Vielleicht liegt es an mir? Vielleicht gibt es einen Weg, das Gesehene dann besser zu verstehen? Gibt es nicht. Caligula lässt nicht mit sich verhandeln. Dieser Film ist eine degenerierte, brutale Bestie, die versucht, Kunst zu sein. Mit knapp zweieinhalb Stunden Gewalt, Sex, Blut und Sperma macht der Film aber keine Kunst, sondern eher traurig. Ich verfalle so langsam der Depression.

Geplagt von den letzten Geschehnissen mischt sich Caligula unter das Volk und landet kurzweilig im Knast. Dort findet er einen Freund, der sein Leibwächter wird. Zurück im Palast angekommen lässt er sich von den Senatoren zur Gottheit erklären und bringt alle Anwesenden dazu wie Schafe zu blöken. Schon wieder diese geschickte, unterschwellige Metaphorik! Später lässt er ein riesiges Bordell in Form eines Schiffes bauen, wo er die Frauen der Senatoren prostituiert. Dass der Senat ihn spätestens jetzt loswerden will, ist nicht verwunderlich. Und dass eine zehnminütige Pornoparty beginnt, auch nicht. Ich überspringe mal die restlichen Details und komme zum Ende: Der Senat verschwört sich gegen den Cäsar, lässt ihn und seine Frau umbringen, den Knastbruder köpfen und das Neugeborene erschlagen. Caligula bleibt noch einige Zeit mit blutverschmiertem Körper stehen und schreit den Mördern entgegen, dass er unsterblich sei. Ich bin sicher, McDowell hätte einen tollen Tony Montana abgegeben.

Der Abspann läuft. Es ist irgendwie leer in mir. Verödet, trocken, verbrannte Erde. Mit der Streitmacht Roms hat Caligula mein mentales Karthago zerstört und Salz auf die Felder gestreut. Ich weiß nicht, ob jemals wieder etwas wachsen wird. Es ist leer in mir. Ich bin weder wütend, noch schockiert oder deprimiert. Das alles war sehr absurd. Die Schauspieler, die Bühnenbilder, die gesamte Inszenierung war absurd und mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als dies zu akzeptieren.

Ich bin froh, dass es vorbei ist.