Fünf Tage spannender, mitreißender, trauriger und aufschreckender Filme sind vergangenen Sonntag in Bukarest zu Ende gegangen, aber die Botschaft des Dokufilmfestivals „One World Romania“, eine Achtung der Menschenrechte, nehmen die Besucher mit und tragen sie auch weiter. Vor allem als Journalist ist man in der Vermittlerrolle, mit der Aufgabe Informationen weiterzugeben und zu verbreiten. So soll dieser Text nicht nur über ein durchaus gelungenes Festival und ein paar nette Stunden im abgedunkeltem Kino (und dem freiwilligen Verzicht auf strahlenden Sonnenschein) berichten, sondern auch eins der angesprochenen Themen aufgreifen.

Im Rahmen der Präsentation von rumänischen Regisseuren zeigte „One World“ im Kinosaal des Bauernmuseums (MTR) den Film „Școala noastră“ (Unsere Schule) der Regisseurin Mona Nicoară. Die Dokumentation beschäftigt sich mit dem Thema Schulsegregation von Roma-Kindern. In Rumänien ist die Ablehnung und Scheu gegenüber Roma sehr hoch. In einer Studie des europäischen Zentrums für Roma-Rechte (ERRC) aus dem Jahr 2001 sagen fast 40% der rumänischen Teilnehmer, wenn sie die Wahl hätten, würden sie Roma nicht erlauben in Rumänien zu leben. Aus diesem Gedankengut heraus ergeben sich Benachteiligungen für die Volksgruppe wie mangelnde Rechtsgleichheit und Gesundheitsversorgung, Arbeitslosigkeit sowie Schulsegregation. Im Rahmen des bevorstehenden EU-Beitritts legte sich das Land und die Regierung jedoch ins Zeug und arbeitete an der Situation. So wurde 2001 von der rumänischen Regierung eine „Strategie zur Verbesserung der Bedingungen für Roma“ vorgelegt, das zu dieser Zeit vom ERRC als „ambitioniert“ und „umfangreich“ bezeichnet wurde. Allerdings fehlte es, wie so oft, an konkreten Ansätzen und Methoden die Ideen auf dem Papier in die Tat umzusetzen. So ist seit 2001 nicht viel passiert. Besonders mühsam gehen Veränderungen im Bildungssystem voran. Obwohl das rumänische Gesetz Roma-Kindern das gleiche Recht auf Bildung zuspricht, ist ihr Weg zur zustehenden Schulausbildung oft ein steiniger. „Im rumänischen Bildungssystem sind Roma-Kinder Bürger zweiter, wenn nicht sogar dritter Klasse“, formuliert der Theoretiker Aram Schvey 2006 in dem Sammelband „The Children Left Behind: Roma Access to Education in Contemporary Romania“ (Die zurückgelassenen Kinder: Der Zugang zur Bildung für Roma im modernen Rumänien).

2005 haben die Regierungschefs von Bulgarien, Rumänien und weiteren Ländern Mittel- und Osteuropas die „Dekade der Roma-Eingliederung 2005-2015“ ausgerufen und sich mit ihrer Unterschrift dazu verpflichtet einen Plan zur Inklusion der Minderheit auszuarbeiten. Ein erster Rückblick 2007 zeigte in Rumänien folgende Schritte gegen Schulsegregation: Das Bildungsministerium arbeitet an einer Methode für Desegregation und schaut der Schulbehörde genau auf die Finger, ob diese auch präventiv gegen Roma-Segregation arbeiten. Aber auch an diesen Maßnahmen wird das Gleiche kritisiert wie 2001: Es handelt sich mehr um schöne Ideen auf dem Papier als um tatsächliche Taten.

2006 gab es EU-Gelder, die in Rumänien für Desegregation von Roma-Kindern eingesetzt wurden. Mit ihrem Film „Școala noastră“ wollte Mona Nicoară eigentlich eine positives Beispiel für den Einsatz dieser Förderung begleiten. Aus dem Projekt in der Kleinstadt Târgu Lăpuș (Laposch) entwickelte sich jedoch ein Paradebeispiel für unreflektierte Stereotypisierung und den gescheiterten Kampf gegen eingespielte Verfahrensweisen. Die zur Verfügung gestellten EU-Mittel zur Integrierung der Roma-Kinder in seiner Stadt setzt der Bürgermeister in der Dokumentation für eine neue segregierte Roma-Schule ein. Nachdem dieser Bau 2007 durch ein Gerichtsurteil nicht zugelassen wurde, kam die Schule jedoch nie zum Einsatz. Die drei Hauptprotagonisten des Filmes, Alin, Beni und Dana sind während der Bauarbeiten in der allgemeinen Schule der Stadt untergebracht, werden aber dort mit Diskriminierung konfrontiert. Sie werden in gesonderten Klassen unterrichtet, vom Lehrpersonal ignoriert oder nicht ernst genommen. Nur wenige sind bereit auf die Roma-Schüler und ihre Bedürfnisse einzugehen. Am Ende des Filmes hat Dana die Schule abgebrochen, die anderen beiden sind auf eine Sonderschule abgeschoben worden, obwohl sie gerne auf der gemischten Schule geblieben wären, weil dort die Lernbedingungen besser waren und sie Freunde zum Fußballspielen gehabt haben.

Der Fall ist keine Ausnahme. Alin Boga von der NGO TRUST berichtet von ähnlichen Fällen in Craiova, wo es gesonderte Schulen oder gesonderte Klassen für Roma-Kinder gibt. Die Gründe für Schul-Segregation sind vielfältig und komplex. Es fängt damit an, dass einem regelmäßiger Schulbesuch von Roma-Kinder oft schon ganz banale organisatorische Schwierigkeiten im Weg stehen. „Die Familien stehen vor Problemen wie zum Beispiel: Wie kann ich gewaschen und mit sauberer Kleidung zur Schule zu kommen, wenn es kein fließend Wasser und nur ein T-Shirt gibt?“, erklärt Alin Boga. Im Film von Mona Nicoară müssen die Kinder erst mehrere Kilometer jeden Morgen zu Fuß gehen um von ihrem Häusern am Stadtrand zur Schule zu kommen. Auch der Menschenrechtskommisar des Europarats Thomas Hammarberg nennt in seinem Bericht über die Situation der Roma in Europa von Februar 2012 als wesentliche Gründe, aus welchem Roma-Kinder nicht zur Schule gehen fehlende öffentliche Verkehrsmittel und fehlendes Schulmaterial. Er erklärt am Beispiel Moldavien: „Mehr als die Hälfte der Roma in Moldawien leben in einer so extremen Armut, dass sie sich keine anständige Kleidung, kein Mittagessen, keine Schulmaterialen und das Busticket für ihre Kinder nicht leisten können.“

In einigen Fällen in Europa ist der Zugang zu öffentlichen Schule für Roma allein aus dem Grund nicht möglich, da sie nicht über Ausweispapiere verfügen.Eine Sozialarbeiterin in Bukarest, die zum Schutz der von ihr betreuten Kinder lieber anonym bleiben möchte, berichtet von diesem Problem auch in Rumänien. Wenn Kinder nicht im Krankenhaus geboren werden und die Eltern keine Papiere für ihre Kinder besitzen, existieren diese für den Staat nicht. Sie können nicht zum Arzt gehen und auch nicht in einer Schule eingeschrieben werden. Die Zahlen dieser Fälle sind zwar gering, aber umso alarmierender. Diese Hürden zum Zugang zur Schulausbildung werden oft als Unwille zur Bildung interpretiert. Dieses Vorurteil wird dann wiederum als Grund zur Segregation verwendet. Trotz der Schwierigkeiten besteht natürlich trotzdem der Wille und das Recht der Kinder, auf Schulbildung. Von Seiten der Behörden und der Lehrer gibt es aber Bestrebungen, Roma-Kinder separat von anderen Kinder zu unterrichten. Bei einer Diskussionsrunde von UNICEF mit Lehrern waren Argumente zu hören, dass Segregation keine Diskriminierung sei, sondern ein natürliches Phänomen, da Menschen, die sich unterscheiden nun mal nicht miteinander auskommen und so lieber getrennt werden. Im Film „Școala noastră“ wird eine Lehrerin zitiert, die vom „aggressiven Blut der Roma-Kinder“ spricht, welche zu viel Unruhe in die Klasse bringen und eine gesonderte Behandlung benötigen. Basierend auf solchem Gedankengut kommt es zur Schulsegregation.

In einem Bericht aus dem Dezember 2011 zählt UNICEF, dass 56,5 Prozent der Roma-Schüler in segregierten Klassen unterrichtet werden. Segregiert bedeutet hier, dass mehr als die Hälfte der Schüler in der Klasse Roma sind. Vor allem in Grundschulen und in Kindergärten ist der Prozentsatz jedoch höher. Segregierte Schulen sind weniger gut ausgestattet. Schlechte Möbel, keine Laborräume, Büchereien oder Turnhallen, schlechtes oder fehlendes Lehrmaterial, dafür schlecht ausgebildete Lehrer und ein fliegender Wechsel dieser sind Alltag. Die UNICEF hat auch festgestellt, dass die Schulabbruchsrate in segregierten Schulen wesentlich höher ist als in gemischten Schulen.

Besonders prekär beschreibt Daniel Oppermann in seiner Diplomarbeit „Zur Situation der Roma in Rumänien seit 1990“ die Lage:

„Bei einer geglückten Einschulung finden sich Roma-Kinder in vielen Fällen (z.B. auf Druck der Eltern anderer Kinder) in separaten Klassen oder Schulen wieder. Oder sie müssen auf Druck des Lehrers in der letzten Reihe sitzen, in der sich nicht weiter beachtet werden. Selbst verbale rassistische Attacken und physische Übergriffe von Lehrern und Mitschülern sind keine Seltenheit. Der Unterricht in separaten Schulen ist darauf zurückzuführen, dass diese extra in Roma Vierteln und Siedlungen eingerichtet werden, um im Interesse der Eltern anderer Kinder, diese von den Roma getrennt zu halten. Roma-Schulen zeichnen sich oft durch ihre mangelhafte Bausubstanz und Ausstattung aus. Der Unterricht ist nicht kontinuierlich gewährleistet. Dank der geringen Motivation der Lehrer können viele Schüler in Roma-Schulen selbst nach mehrjährigem Schulbesuch noch immer nicht lesen und schreiben. Die ökonomische Notlage der Familien erlaubt vielen Eltern nicht den Erwerb von Unterrichtsmaterialien, um ihren Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen.

Dadurch bekommen die Kinder zwar den Zugang zu einer schulischen Ausbildung, sie werden aber von Gleichaltrigen der restlichen Bevölkerung getrennt und dadurch in der Möglichkeit beschränkt, soziale Kontakte zu ihnen aufzubauen. Gerade diese Kontakte sind aber essentiell notwendig, um dem Ausgrenzungsprozess entgegenzuwirken. Durch die Aufrechterhaltung einer Segregation im Schulbereich wird ein Grundstein für die rassistischen Denkmuster der folgenden Generation gelegt.“

Bei der Diskussionsrunde im Anschluss an das Screening von „Școala noastră“, organisiert vom „One World“-Team erklärte der Bildungsminister Rumäniens, Cătălin Ovidiu Baba, dass sein Ministerium sich der Problematik bewusst ist und dagegen vorgeht. Ob man hoffen darf, dass es im Jahr 2012 nicht nur gute Ideen auf Papier sondern auch konkrete Handlungsansätze gibt, die dann, anders als im Fall Târgu Lăpuș auch funktionieren, ist offen.

„Școala noastră“ ist dieses Jahr für den rumänischen Filmpreis „Gopo“ in der Kategorie „Bester Dokumentarfilm“ nominiert. Am kommenden Montag, dem 26.März ist Preisverleihung. Ein Sieg des Filmes würde der Problematik öffentliche Aufmerksamkeit in Rumänien bescheren und vielleicht so einige Dinge in Gang bringen im Land. Vor allem Initiativen aus dem Land selbst wären dringend nötig, um das nicht das Gerede aufkommen zu lassen, die EU schiebe Rumänien den schwarzen (politisch korrekt: dunkelhäutigen) Roma-Peter zu. Schulsegregation von Roma-Kindern nicht nur ein rumänisches Problem: Das Thema ist, wie viele andere Menschenrechtsverletzungen mit denen Roma-Gemeinschaften kämpfen müssen nicht nur ein rumänisches, sondern ein europäisches Problem. Das Land hat aber die Chance mit positivem Beispiel voran zu gehen. Dazu muss jedoch noch Einiges geschehen.