Sherlock Holmes im weißen Kittel

Angefangen hat alles sehr vielversprechend.
2004 startet die medizinische Krimiserie um den genialen Arzt. Woche für Woche befindet sich Dr. Gregory House auf der Spur rätselhafter Krankheiten, an denen Patienten mit merkwürdigen, ekelerregenden oder faszinierenden Symptomen leiden. Schauplatz ist das fiktive Princeton Plainsboro Hospital in New Jersey. Im Wettlauf mit der Zeit müssen dort Diagnosen gestellt, Komplikationen abgewendet und erfolgreiche Behandlungsmethoden gefunden werden.
Am Ende jeder Folge ist der Täter entlarvt; der bis dahin schon recht gebeutelte Patient wird, falls möglich, geheilt. Ja, das ist ein wiederkehrendes Schema, aber wie bei allen Krimiserien ist auch bei [H]OUSE das Koma-Schauen die falsche Taktik.

Brain tumor, she’s gonna die, boring.
Dr. Gregory House

Sehenswert ist vor allem die geniale Darstellung des Dr. House durch den Briten Hugh Laurie. Der misanthropische Arzt geht wegen einer Fehldiagnose am Stock und ist schmerzmittelabhängig, dadurch ist seine Sicht auf das Leben und die Welt zynisch. Menschen, vor allem Patienten, sind ihm völlig egal. Ihn interessiert, neben Musik und Motorrädern, allein die Lösung des Rätsels. Dafür greift er zu fragwürdigen und unmoralischen Methoden, weshalb er regelmäßig mit seinem jungen Ärzte-Team aneinandergerät. Das sind Dr. Eric Foreman (Omar Epps), eingestellt wegen seiner ‚Street Skills‘, Dr. Robert Chase (Jesse Spencer), eingestellt wegen seines berühmten Vaters, und Dr. Allison Cameron (Jennifer Morrison), eingestellt wegen ihres guten Aussehens.
Mit seiner Chefin Dr. Lisa Cuddy (Lisa Edelstein) pflegt House ein eher angespanntes Verhältnis, sowohl in beruflicher als auch in sexueller Hinsicht. Und weil jeder Holmes einen Watson braucht, hat House Dr. James Wilson (Robert Sean Leonard vom Club der toten Dichter), seinen besten und einzigen Freund. Wilson schafft es als Einziger, House auch mal in seine Schranken zu weisen; ist für ihn da, obwohl dieser seine Geduld mehr als einmal überstrapaziert.
Für viele Zuschauer ist diese Freundschaft das eigentliche Herzstück der Serie.

Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten. Die sarkastischen Sprüche und unangepassten Ansichten von House, in den USA als ‚Houseisms‘ bekannt, werden auf T-Shirts gedruckt und erreichen bald Kultstatus (siehe hierzu zahllose Best-Ofs auf YouTube). Das klappt auch in Deutschland trotz teils grausiger Synchronisation. Für viele reale Ärzte ist House ein Held, weil er sich traut, was sie nicht dürfen: Idiotischen Patienten die eigene Dummheit schonungslos an den Kopf zu werfen. Zahlreiche Auszeichnungen und hohe Einschaltquoten sprechen für sich.

Doch mit dem Erfolg wachsen auch die Erwartungen. Die Autoren müssen kreativer werden, neue Wege gehen. Und irgendwann muss auch der leidenschaftlichste Fan zähneknirschend feststellen, dass seine Lieblingsserie zu kränkeln begonnen hat.

Wann sprang House über den Hai?

Aus den USA stammt die Metapher „Jumping the Shark“, die den Moment bezeichnet, in dem eine TV-Serie ihren kreativen Zenit überschreitet und das Publikum das Interesse verliert. Entwickelt hat sie sich aus einer Episode der 1950er Serie Happy Days, in der die Hauptfigur Fonzie auf Skiern über einen aus dem Wasser springenden Hai hüpft. Die schiere Lächerlichkeit dieser Szene bedeutete aus Sicht vieler Zuschauer das Todesurteil für die Serie, die aber noch weitere sechs Staffeln andauerte.
Typische Vorzeichen des Jump the Shark-Effekts sind zum Beispiel Babys, plötzliche romantische Gefühle, Musicalfolgen, die Rückkehr ausgeschiedener Charaktere und das überraschende Auftreten neuer Figuren.

[H]OUSE zeigt die meisten dieser Symptome in der fünften Staffel. Das ehemalige Team, gefeuert in Staffel drei, zurückgekehrt in Staffel vier auf andere Positionen im Krankenhaus, ist immer schwieriger sinnvoll ins Geschehen einzubinden. Gleichzeitig gelingt es nicht, den Ärzten des neuen Teams (u.a. Olivia Wilde) genügend Charakter einzuhauchen, um sie für das Publikum interessant zu machen.
Das Verhältnis zur Chefin wird durch einen Kuss verkompliziert. Diese adoptiert außerdem aus dem Stand heraus ein Baby in der wohl kitschigsten Episode der Serie überhaupt.
Die anderen Figuren werden ebenfalls in liebestechnischen Dingen aktiv, sogar der Absurditätsgrad der sonderlichen Erkrankungen wird noch ein wenig hochgeschraubt. Die Staffel endet mit einem unerwarteten Selbstmord, für den weder House noch die Autoren plausible Motive finden können, während gleichzeitig anderswo die Hochzeitsglocken läuten. Das ist schon etwas lächerlich.

Vergebliche Reanimierung

Jetzt gilt es, zu entscheiden: Dranbleiben oder abschalten?
Einerseits hat man die Charaktere liebgewonnen, möchte wissen, wie es mit ihnen weitergeht. Andererseits macht es traurig, mitanzusehen, wie die heißgeliebten Figuren auseinanderfallen. Das Publikum schwankt zwischen Hoffnung und Trotz. Es kann vorkommen, dass sich eine Serie vom Haisprung erholt. Viele andere kehren ihr enttäuscht den Rücken zu.

Im Fall von [H]OUSE haben die Produzenten kein Einsehen und halten die Serie für drei weitere Staffeln künstlich am Leben. Dafür fischen die Autoren dann jedes übriggebliebene Staubkörnchen vom Boden der leeren Trickkiste: Monster-Trucks, plötzlich aus dem Nichts auftauchende (angebliche) Kinder, eine ukrainische Green Card-Ehefrau für House. Und selbstverständlich ist auch an die noch ausstehende Musicalfolge gedacht. Die Charaktere werden einander immer ähnlicher, sind austauschbar, ihre Motivationen und Ansichten nicht mehr nachzuvollziehen.
Das macht niemandem mehr Spaß und im Mai 2012 wird das Ende angekündigt.

Erst jetzt, im allerletzten Akt, konzentriert man sich wieder auf das, was die Serie von Anfang an ausgemacht und zum Erfolg geführt hat: Auf House‘ Charakter, seinen Humor, seine Wünsche und Ängste. Was passiert, soll hier nicht verraten werden, doch es rundet ab, versöhnt ein wenig.
Wäre der Vorhang von [H]OUSE allerdings drei Jahre früher gefallen, wäre man auch ohne üblen Nachgeschmack davon gekommen.

[H]OUSE M.D., geschrieben von David Shore;
mit Hugh Laurie, Lisa Edelstein, Omar Epps, Robert Sean Leonard, Jennifer Morrison, Jesse Spencer, Peter Jacobson, Kal Penn, Olivia Wilde, Amber Tamblyn, Odette Annable und Charlyne Yi