Das neue Chic ist nun wohl orange. Doch „neu“ kann man es nicht einmal nennen: Schon seit einem Jahr bereichert die Frauengefängnisserie von Weeds-Macherin Jenji Kohan die amerikanische Serienlandschaft. Seit vorgestern, 6. Juni, gibt es die 2. Staffel exklusiv auf dem VoD-Anbieter Netflix. Und gäbe es Netflix auch schon in Deutschland, so wäre Orange Is The New Black sicher für nicht wenige Serienfans der Grund zum Abo. Denn anders als Hinter Gittern oder ähnlich haarsträubenden Formaten bietet sich uns hier eine liebevoll gemachte Mischung aus Drama und Comedy.

Orange Is The New Black  handelt von der hübschen Anfang-Dreißigerin Piper Chapman (Taylor Schilling), die mit ihrem Verlobten Larry (Jason Biggs) und einem kleinen Seifenunternehmen in New York ein bescheidenes, ehrliches Leben führt – bis sie von ihren wilden Jugendjahren eingeholt wird: Sie muss wegen eines einmaligen, schon 10 Jahre zurückliegenden Drogenkurierdienstes für ihre Collegeliebe Alex (Laura Prepon) für 15 Monate in das Frauengefängnis Litchfield. Dort trifft sie nicht nur auf Alex, die alte Gefühle wieder aufflammen lässt, sondern auch auf andere Insassen aus allen Gesellschaftsschichten und Gefängniswärter, was reichlich Konfliktpotenzial birgt. So muss sich die friedliche Piper, die es gewohnt ist, Konflikte in vernünftigen Gesprächen zu lösen, erst einmal an die neuen Spielregeln gewöhnen.

Die Prämisse und der Einstieg der Serie könnten stutzig machen: Die Figuren sind in den ersten Folgen noch sehr oberflächlich und stereotyp gezeichnet und allgemein fragt man sich: Wieso wählt man denn wieder einmal einen gutaussehenden, weißen Protagonisten aus gutem Hause? Die Erfahrungen einer eher typischen Insassin hätten doch einiges mehr über die Wirklichkeit des amerikanischen Frauengefängnisalltags offenbart. Hier scheint uns nur der anscheinende Höllentrip einer typischen WASP (=weiße angelsächsische Protestantin) gezeigt zu werden: Sie wird in diesen brodelnden Topf aus gewaltbereiten, farbigen Frauen aus der Unterschicht geschmissen, die wir durch ihre Brille auch nur als Stereotype – Lesben, Latinas, Religionsfanatiker – erleben. Piper macht das Angst, sie telefoniert weinerlich mit Larry. Das erscheint erst einmal nicht zu innovativ.

Doch erst im weiteren Verlauf entwickelt die Serie ihre wahre Größe. Denn ja, Piper ist überfordert von den Kräften innerhalb dieser neuen Gruppe und verhält sich wie bei einem New Yorker Dinner unter Paaren mit Rotwein und Rotbarschfilet. Sie hat tatsächlich von allen Insassen den höchsten Gesellschaftsstatus und die höchste Ausbildung inne, doch diese Privilegien bringen ihr hinter Gittern nicht viel. Sie verhält sich unpassend und stellenweise auch für den Zuschauer sehr nervig, sodass man sich schnell auf die andere Seite schlägt. Genau dies sehe ich als die Entschärfung der Klischee-Gefahr. Wir bleiben nicht bei Pipers Perspektive, sondern erkennen, dass sie sich naiv und ignorant gegenüber den anderen Insassen verhält. Und dieses große Ensemble aus Mitinsassen bringt zahlreiche, individuell geschriebene Figuren zum Vorschein. So begegnet man dem Offizier Healy (Michael Harney), den seine ukrainische Green-Card-Frau frustriert, der transsexuellen Friseuse Sophia (Laverne Cox), der Köchin und fädenziehenden Mutterfigur Red (Kate Mulgrew) oder der im Gefängnis so lebensfrohen Taystee (Danielle Brooks), die nach ihrer Entlassung freiwillig zurückkehrt. Viele der Figuren wachsen einem ans Herz und recht schnell zieht einen nicht hauptsächlich Pipers Geschichte, sondern das Zusammenspiel der anderen Frauen in den Bann. Und doch kann ich Entwarnung geben: Die Figur der Piper lernt mit der Zeit schon noch, sich anzupassen. Lebensgefahr lässt sich nämlich doch nicht immer nur mit Worten mildern…

Wie schon erwähnt, ist eine der (leider nur Neben-)Figuren die transsexuelle Sophia Burset. Gespielt von der ebenfalls transsexuellen Schauspielerin Laverne Cox (die übrigens letzte Woche das TIME Cover zierte, worüber auch viel in den USA gesprochen wird), ist sie für mich ein zusätzlicher großer Pluspunkt für die Serie. Dadurch erreicht die Serie das, worin viele große Produktionen versagten: Allen voran der 2013-Film Dallas Buyers Club, in dem eine transsexuelle Frau vom Biomann Jared Leto dargestellt wird, der für seine Darstellung einen Oscar und massenhaft Lob für seine berührende Rede voll Toleranz und Nächstenliebe bekam. Doch nicht ein Gedanke wurde darauf verwendet, diese Figur in erster Linie mit einer transsexuellen Schauspielerin, von denen es eine Menge gute gibt, zu besetzen. Denn leider verfehlt dadurch die Message, durch einen Transsexualität thematisierenden Film ein Zeichen für Toleranz und mediale Repräsentation zu setzen, ihr Ziel. Doch genau diese Message vermittelt OITNB durch Laverne Cox. Leider wird die Figur der Sophia Burset meist auf eben ihre Transsexualität begrenzt und man erfährt viel mehr über ihre Penisentfernung als über ihren Charakter an sich. Doch meines Erachtens zählt das Zeichen gegen Transphobie und ich hoffe auf einen Ausbau ihrer Figur in der zweiten Staffel, nun, da ihr Werdegang erzählt wurde.

Als „Netflix-Exclusive“ wurde die gesamte erste Staffel der Serie im Juli 2013 auf einmal zur Verfügung gestellt. Die 12 Folgen der zweiten Staffel gibt es seit vorgestern auf Netflix. Da wir in Deutschland leider noch ein wenig auf den Genuss des VoD-Anbieters warten müssen, wird man wohl ominöse Mittel der Internetmagie verwenden müssen, um in den Genuss der brandneuen Folgen zu kommen. Zum Glück ist auch eine dritte Staffel schon bestellt.

Viel Drama und Liebe, ein bisschen Gewalt, natürlich die Prise notwendigen Lesbensexes und hier und da popkulturelle Verweise (ja, auch Knastis kennen Harry Potter) machen eine gute und nicht zu klischeeüberladene Mischung aus je einstündigen Folgen, die nicht nur alte Weeds-Fans zum Binge-Watching einlädt. Mit dem folgenden, sehr überzeugenden Trailer der zweiten Staffel sollte das Letzte getan sein, um euch zu überzeugen. Denn ich verschwinde nun in meiner Höhle von Laptop und Müsli und tauche erst nach 12 Stunden Achterbahnfahrt in Litchfield Prison wieder auf. Verdammt sei Netflix!