Mit bekannten Namen (meist sehr langen mit unendlichen Titelfolgen) wollte es Zuhörer locken, das 6. Bayreuther Forum für Wirtschafts- und Medienrecht zum Thema Jugendmedienschutz: Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger; Jens Seipenbusch, Gründer und Vorsitzender der Piratenpartei; Stephanie Freifrau von und zu Guttenberg, Ministergattin und Aushängeschild der fragwürdigen RTL II-Sendung „Tatort Internet“. Letztere glänzte letztlich – nein, nicht in einem tief dekolletierten, roten Satinkleid – sondern ganz bescheiden durch ihre Abwesenheit.

„Jugendmedienschutz im Informationszeitalter“ lautete das Thema, das die verschiedenen Referenten in ihren Vorträgen beschäftigte. Der Jugend(medien)schutz (JMS) hat in der deutschen Gesetzgebung einen sehr hohen Stellenwert. Das sieht man allein schon daran, dass er im Grundgesetz verankert ist. Erzieherische Aufgabe – in erster Linie der Eltern, aber auch des Staates – ist es, Gefährdungen von Kindern und Jugendlichen vorzubeugen, entgegenzuwirken und positive Bedingungen für die Erziehung zu schaffen. JMS setzt nicht erst bei akuter Gefährdung an, sondern bei der Entwicklung und Entfaltung der Kinder und Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.

Vielen bekannte Mittel des JMSs sind die Freiwillige Selbstkontrolle (FSK) beim Film und die FSF und damit verbundene Sendezeitbeschränkung beim Fernsehen. Mit dem Internet haben diese Schutzschranken aber ihre Grenzen gefunden. Inhalte aller Art, ob nun „entwicklungsbeeinträchtigend“ oder nicht, sind für Kinder und Jugendliche zugänglich. Deshalb hat sich 2005 der Verein FSM gegründet, Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter. Viele Internetprovider und -anbieter und Rundfunkunternehmen sind Mitglied. Da Sendezeitbeschränkung im Fall des Internets irrelevant ist, kam die Idee auf, Internetseiten mit Altersfreigaben zu versehen. Kombiniert mit einer Software auf den heimischen Rechnern soll der Zugriff auf ungeeignete Inhalte für Kinder und Jugendliche idealerweise unmöglich gemacht werden.

Zu einem großen Teil waren die Redner Rechtswissenschaftler aller Art, die zumeist mit manischer Präzision einzelne erneuerte Paragraphen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) zerpflückten, bis es manchen Laien (viele waren es nicht) aus den Ohren rauchte. Die Standpunkte der Forumsgäste sind in den folgenden Absätzen zusammengefasst:

„Politiker wissen nicht immer ganz genau, wovon sie sprechen.“ Das waren zwar nicht die einleitenden Worte, aber dennoch eine sehr weise Aussage unserer Bundesjustizministerin. Aus diesem Grund hat die Regierung eine IT-Enquête-Komission gegründet, damit auch die Unwissenden der Bundespolitik ein leises Verständnis für die unzugänglich scheinende Welt der Informatik und des Internets entwickeln können. Gleichzeitig wiederholte die FDP-Politikerin die Idee einer „Stiftung Datenschutz“ vom Juni 2010. Das Ziel: Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen stärken. Und da war es ausgesprochen, das M-Wort. Das seltenst genutzte Schlagwort des Wochenendes, das die übrigen Rednerinnen und Redner aufgrund seiner Schwammigkeit bewusst umgingen und das auch die Teilnehmer der Podiumsdiskussion umschifften.

In ihrer Rede kam Leutheusser-Schnarrenberger zwangsläufig auf die „Löschen oder Sperren“-Debatte des Bundestags zu sprechen. Ihre Präferenz für Internetseiten mit „entwicklungsbeeinträchtigenden“ (schwammiges Schlagwort Nr.2) Inhalten war ganz klar das sofortige Löschen. Sperren seien oft zu leicht zu umgehen. Zuvor hatte sie dem Publikum noch eine Anekdote erzählt, laut der die Themenseite der FDP zu Kinderpornographie für einen kurzen Zeitraum gesperrt war, da sie einschlägige Begriffe zur Diskussion enthielt. Unweigerlich kommt da die Frage auf, wie viele solcher „unschuldigen“ Seiten noch aus Versehen gesperrt werden, und wie es wäre, wenn der Internetauftritt der FDP gleich ganz aus dem Netz verschwindet. Aber das Netz vergisst nichts. Macht diese Sisyphusarbeit, und damit die ganze Diskussion, überhaupt einen Sinn? Dr. Reinhard Brandl der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Mitglied der Enquête-Kommission Internet war bei der Podiumsdiskussion der Meinung, dass die Netzsperren-Diskussion am eigentlichen Thema vorbeigehe. Als Informatiker sehe auch er weder Sinn im Löschen noch im Sperren, die eigentliche Aufgabe sei es, die Anbieter zu ermitteln. Der Sperraufwand stehe in einem fragwürdigen Verhältnis zum Nutzen.

Das Wort Zensur war in den Gedanken einiger Zuhörer während dieses Vortrags nicht fern. Auf diesen Aspekt ging der Kölner Professor Dr. Christian von Coelln ein mit dem Vortrag „Jugendmedienschutz zwischen staatlichem Schutzauftrag und Zensurverbot“. Für Nichtjuristen ein etwas härterer Brocken, was aber nicht am Inhaltlichen lag, sondern am eher unfreien Vortragsstil, der mit Verweisen auf Paragraphen und Absätze aus dem erneuerten JMStV gespickt war (tritt Januar 2011 in Kraft). Kein noch so wichtiges Ziel (in diesem Fall der Jugendschutz) könne das Zensurverbot brechen, war der Schlusslaut. Es sei zwar ein staatlicher Auftrag, die Jugend vor bestimmten Medieninhalten zu schützen, dennoch sei Freiheit (in diesem Fall Kommunikations-, Presse- und Medienfreiheit) grundsätzlich mit einem gewissen Risiko verbunden.

In die Geheimnisse der „Das darfst du nicht! – Jetzt erst Recht!“-Mentalität von Kindern und Jugendlichen weihte Prof. Dr. Jochen Koubek von der Universität Bayreuth ein. „Warum das Verbotene so anzieht“ war ein Einblick in die Psychologie von Heranwachsenden (und sicher einigen Erwachsenen). Koubek erläuterte dazu die fünf Quellen der Motivation nach Barbuto und Scholl und untermauerte den Vortrag mit unterhaltsamen Beispielen.

„Prävention statt Regression“, darauf setzt der Rechtsberater des SWR, Dr. Hermann Eicher. Viel Sinn im Sperren oder Löschen sieht er nicht. Als gutes Beispiel gibt er dafür die rund 270.000 Videos, die ab Juni letzten Jahres von Tagesschau.de heruntergelöscht werden mussten: „Die Netzgemeinde hat alles kopiert und hintenrum wieder reingestellt.“ Nach wie vor hält er die Zeitsteuerung (Filme mit Alterskennzeichnung ab 16 und 18 Jahren im Fernsehen ab späteren Uhrzeiten) für ein probates Mittel und hofft, dass sich Jugendschutzprogramme in Softwareform auf dem familiären Rechner etablieren. Diese sollen Seiten blockieren, die ähnlich den FSK-Kennzeichnungen nicht für Jugendliche oder Kinder bestimmt sind. Das setzt aber voraus, dass Betreiber einer Homepage sich eine solche Kennzeichnung zulegen. Kritik kam aus dem Publikum, dass ein soziales Problem – der Jugendschutz als Aufgabe der Eltern – auf ein technisches Hilfsmittel abgeschoben würde. Bei der Podiumsdiskussion am Abend warf Seipenbusch ein, dass es Aufgabe des Staates sei, die Eltern zu dieser Schutzaufgabe zu befähigen.

„Regulated selfregulation? What’s that?“ zitierte Dr. Arnd Haller, Jugendschutzbeauftragter von Google Deutschland, seine amerikanischen Kollegen. Regulierte Selbstregulierung, ein Wortkonstrukt, das an diesem Wochenende noch häufig fiel. Die Unternehmen im Verein FSM (Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Deinsteanbieter) unterstützten durch Eigenkontrolle ihrer Inhalte zusammen mit Kontrolle durch die Landesmedienanstalten den Staat in Sachen Jugendmedienschutz und entlasten ihn, so der Gedanke. Gerade beim Medium Internet, das sich so schnell verändert, ist eine flexible und fixe Selbstkontrolle effektiver als die schwerfällige Gesetzgebung.

Viele der Vortragenden machten deutlich, dass Deutschland hinsichtlich des Jugendschutzes eines der am strengsten regulierenden Länder ist. Eine negative Konsequenz daraus ist, dass Anbieter, die sich den Vorgaben nicht beugen wollen, ins Ausland abwandern und ihre Inhalte weiterhin ohne Einschränkung zugänglich machen. Der Jugendmedienschutz, so Eicher, sei eben nie am Ziel.