Mit Pandora’s Tower entwickelt Nintendo für die Wii ein morbides Beziehungsdrama und bestreitet neue Wege. Kann das funktionieren?

Das in jeder gesunden Beziehung auch mal Opfer gebracht werden müssen, dürfte mittlerweile gesamtgesellschaftlicher Konsens sein. Dass es sich dabei in der Regel aber mehr um aufgeschobene Fußballabende mit den Freunden als um das Erklimmen gewaltiger Türme oder das Erlegen von riesigen Monstern handelt, ist in dem äußerst labilen Beziehungsgeflecht der Protagonisten von Nintendos neuestem Wii-Titel wohl noch nicht ganz angekommen

Das Spiel erzählt von dem Soldaten Aeron und seiner Geliebten Helena, die mit einem Fluch belegt ist, der sie langsam in ein Monster verwandelt. Um sie davor zu retten, muss ihr Aeron das Fleisch der sogenannten Meister beschaffen. Wesen, die in riesigen Türme über einem Abgrund thronen, der „Narbe“, und im Rahmen des Spielverlaufes erklommen werden müssen. Obwohl die beiden Hauptcharaktere zuerst sehr stereotyp wirken, schafft es das Spiel doch einen emotional teilweise zu binden. Dies wird vor allem durch einen Aspekt erreicht. Während man in den Türmen Rätsel löst und kleinere Feinde bekämpft, steht man unter Zeitdruck.

Je länger der Spieler nämlich für die Rückkehr in das gemeinsame Zuhause braucht, desto mehr verschlechtert sich der Zustand Helenas. Dies wird durch ein kleines Symbol  am Bildschirmrand symbolisiert wird. Spätestens wenn die Anzeige einen kritischen Wert erreicht, muss man die Suche nach dem Meister abbrechen und sich auf den Rückweg machen, wenn man nicht sofort mit dem negativen Ausgang der Geschichte bestraft werden will. Die dortigen Szenen fallen je nach Helenas Zustand aufwühlender aus, da der Fluch sie immer grotesker verunstaltet und ihr deutlich bemerkbare Schmerzen zufügt. So tut man bereits nach kurzer Zeit sein Möglichstes, um sich und Helena dieses Leid zu ersparen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Verzehr von Fleisch in Helenas Religion verboten ist und ihr deswegen noch weniger zusagt. Wenn man die mutierte Geliebte nun das Fleisch von Monstern herunterwürgen sieht und ihr dabei auch noch fast die Tränen kommen, dann löst das vor allem ein starkes Unbehagen aus. Die Entwickler haben dabei ihr Möglichstes getan, um diese Szenen so unappetitlich wie möglich erscheinen zu lassen.
Das Spiel konfrontiert den Spieler im Kern mit dem Dilemma, ob man Helena länger alleine lässt, und ihr so Schmerzen garantiert oder sie öfters mit kleinerem Fleisch versorgt, was sie aber auch negativ beeinflusst. Im späteren Spielverlauf breitet sich schnell Panik aus, wenn man bei einem der „Meister“ verzweifelt nach der richtigen Taktik sucht, während die Zeit gnadenlos abläuft. Diese Kämpfe sind vor allem von der Zelda-Serie inspiriert, da auch hier im Angriffsmuster der Gegner ein bestimmter Schwachpunkt gefunden werden muss. Sie sind ihrer Struktur also sehr klassisch gehalten, werden aber durch einige nette Ideen aufgewertet.

Die Gestalt Helenas löst durch ihre pure, eigentlich schon übertriebene Unschuld vor allem Mitleid aus. Man möchte sich fast schon entschuldigen, wenn man verspätet aus den Türmen zurückkommt und Helena in einem schlechten Zustand vorfindet. Genauso sind aber auch einige optimistische Szenen zu finden, die Sympathie für sie wecken.
Letztendlich wünscht man sich aber, dass die Beziehung der beiden tiefgründiger wäre, dass es auch zu Streit und Konflikten zwischen den beiden kommt. Deshalb wirken die Charaktere recht eindimensional, was bei Helena weit weniger stört als bei Aeron. Gameplaymäßig fällt die Beziehung durch die Beeinflussung mit Geschenken oder bloßes Zuhören sowieso eher simpel aus. Das Dilemma mit dem Zeitdruck gleicht diese Tatsache aber sehr gut aus. Es ist ein schmaler Grat auf dem Pandoras Tower dabei wandert. Oft driften die Gespräche ins Kitschige und Pathetische ab, nur um einen wieder mit einer morbiden Szene zu überraschen. Positiv ist dabei anzumerken, dass euer Verhalten großen Einfluss auf die Endsequenz hat und diese je nach Beziehungsstatus der beiden düsterer oder optimistischer ausfällt. Parallel zur eigentlichen Geschichte erfährt man über Helenas Träume, die als wunderschön gezeichnete Sequenzen präsentiert werden und den Fund von alten Notizen, was es mit den Türmen und der „Narbe“ eigentlich auf sich hat.

Die Gestaltung der Türme orientiert sich an Elementen wie Wasser und Feuer. Das kann trotz Wiederholungen durchaus überzeugen, auch wenn die Verzweigungen nicht an die Ausmaße eines „Zelda“ heranreichen. Vor allem die letzten beiden Türme sind interessant geraten, da sie über Einsatz verschiedener Portale parallel gespielt werden müssen. Das Design der entsprechenden Gegner wirkt zwar wenig innovativ, besitzt aber auf jeden Fall seinen eigenen Charme. Das Gameplay in den Türmen legt den Fokus auf die Orakloskette, die Aeron von der rätselhaften Begleiterin des Paares, Mawda, erhält. Diese ist neben Helena euer einziger Ansprechpartner im Spiel und versorgt euch gegen ein gewisses Entgelt mit Items. Außerdem ermöglich sie es in einem Handwerkssystem verschiedene Ausrüstungsgegenstände herzustellen, die im späteren Spielverlauf essentiell werden. Leider lassen sie den Spieler aber auch schnell sehr stark werden. Aerons Kette ist nicht nur zentral für die Lösung aller Rätsel im Spiel, sondern erweitert die sonst einfach gehaltenen Kämpfe um wichtige Funktionen. Durch dezenten Einsatz der Bewegungssteuerung könnt ihr Gegner verketten, schleudern oder durch die Gegend ziehen. Am Anfang kommt man gut ohne diese Funktionen aus, aber im späteren Spielverlauf erleichtert einem dies die Auseinandersetzungen mit mehreren Gegnern ungemein. Beim Rätseldesign hingegen stört es nach einiger Zeit, dass es nur ein Item gibt. So ist die Kette zwar ein echtes Universalwerkzeug, aber eben auch nur begrenzt einsetzbar. Deswegen werden bestimmte Rätselstrukturen öfters verwendet, was auf Dauer deutlich am Spielspaß zehrt. Die feste Kamera hingegen liefert zwar einerseits schöne Aufnahmen, andererseits stört sie aber auch beim freien Erforschen der Tempel und bereitet manchmal Orientierungsprobleme. Nimmt man die ordentliche Grafik hinzu, erreicht Pandoras Tower damit weder den Bombast  noch die Qualität eines „God of War“ oder „Zelda“. Aber es schlägt auch eher leisere Töne an und weiß mit einer originellen Atmosphäre zu überzeugen.

Pandoras Tower ist eines der letzten großangelegten Wii-Spiele und ist ein würdiger Abschlusstitel. Es hat mit dem Fokus auf eine Beziehung und dem Zwang des Spielers, immer zwischen dieser und der Erforschung abzuwägen, auch einen großen Alleinstellungsfaktor. Die ersten Stunden wirken aber zäh, da das Gameplay in den ersten Türmen noch unter seinen Möglichkeiten bleibt und kaum fordert. Mit steigender Spieldauer nehmen nicht nur die Hintergrundstory und der Schwierigkeitsgrad an Fahrt auf, sondern auch die Sympathie für Helena nimmt langsam zu. Nicht nur das, sondern auch das Ziel der Entwickler den Spieler emotional anzusprechen, was dies auch bis zu einem gewissen Punkt schafft, machen es zu einem guten, wenn auch sonst eher traditionell gehaltenen Titel.

Professionell redigierte Fassung auf: www.abendblatt.de

Großer Dank an das Hamburger Abendblatt & Dennis Sand