PENIS!

Das ist einer der ersten Gedanken, die sich Aufdrängen, wenn man liest, dass irgendwo „Lysistrate“  gespielt wird. Dieses Stück, eine griechische Komödie von Aristophanes, das an sich eine kurzweilige Handlung mit sehr viel Witz verbindet, hat einen großen Knackpunkt: Seine Freizügigkeit. Es geht um Krieg und Frieden, Mann und Frau, und –  vor allem – um Penisse, die im Reclamheft immer verschämt als „Phaloi“ bezeichnet werden. Als ich las, dass „Lysistrate“ zur Zeit in meiner Heimatstadt Augsburg gespielt wird, konnte ich mir das natürlich nicht entgehen lassen!

Zudem war der Spielort für mich neu: Die Brechtbühne. Sie existiert erst seit knapp einem Jahr und ist eine Nebenspielstätte des Augsburger Theaters. Es gilt, sie nun mit Leben zu füllen und das Junge Theater Team Augsburg (kurz jtt) unter der Regie von Nicoletta Kindermann spielt dafür also nun Lysistrate.  Die Schauspieler sind im Alter zwischen 16 und 22 Jahren und damit im perfekten Alter: Ich war ebenfalls Teenager, als ich zum ersten Mal Lysistrate gelesen habe, vollkommen fasziniert von der Freizügigkeit des Textes und all den Phaloi.

Das Bühnenbild in Augsburg erinnert an die antike griechische Bühne: Im Hintergrund eine weiße Imitation der Akropolis, mit begehbarem Dach und durchscheinenden Türen zwischen den Säulen, davor ein großes viereckiges schwarzes Podest. Rechts und links davon befinden sich schwarze Treppen, ebenfalls aus Podesten. Darüber sieht man an beiden Seitenwänden jeweils eine projizierte Leinwand. Beide zeigen vor Stückbeginn Bilder von Kriegsszenarien und Nordkoreas Militärpropaganda.

Als sich der Saal verdunkelt, sieht man dort plötzlich links eine junge Frau in der Küche, rechts einen Mann im Wohnzimmer. Die Frau redet auf ihn ein, dass dieser Krieg nicht ausbrechen dürfe, dass er bei dem Meeting morgen dagegen apellieren solle. Der Mann entgegnet, keiner in diesem Meeting wolle den Krieg, aber die andere Seite provoziere nun mal so stark… Sie streiten. Der Bogen von Lysistrate zu unserer Zeit ist gespannt, wird aber leider im weiteren Verlauf des Stücks nicht mehr zur Sprache gebracht.

Nun betreten die Schauspieler die Bühne. Die jungen Frauen im Stück (1) tragen zartrosafarbene Kleider und goldene Handtäschchen, die Männer (2) passend dazu hellblaue Umhänge und silberne Waffen. Die Farbsymbolik der Kostüme von Susanne Hiller ist so simpel, dass sie sofort ins Auge fällt und es stellt sich die Frage, warum die Geschlechterfarben gerade in diesem Stück, das doch mit der Macht von Frauen über Männern spielt, nicht einmal vertauscht wurden. Man sieht am Schnitt der Kleidung, dass die Inszenierung dem antiken Ideal nahe bleiben will und die dazu erklingende Sirtakimusik, wie auch der klassische Sprechtext, verstärken diese Wirkung.

Das widerspricht meinen Erwartungen. Warum sucht sich das jtt nicht einen modernen Zugang zum Stück, der letztendlich auch dem Alter der Spieler entspricht? Die Geschichte von Lysistrate ist schließlich zeitlos: Die Frauen haben genug davon, dass ihre Männer pausenlos fort in den Krieg ziehen und beschließen, sich ihnen sexuell fortan zu enthalten. Um ihre Haltung zu untermauern, verschanzen sie sich in der Akropolis wo sich gleichzeitig die Staatskasse Athens befindet. Es ist ein Stück über den Bruch von Traditionen, Gleichberechtigung, die Libido des Menschen – und letztendlich auch über Frieden.

Wirklich unterhaltsam anzusehen ist die Szene mit Kinesias (Paul Lonnemann) und Myrhinne (Martha Hüttl). Letztere lässt sich scheinbar darauf ein, die Akropolis zu verlassen um mit ihm in der nahe gelegenen Pansgrotte ein Schäferstündchen zu wagen. Er kann sein Glück kaum fassen, aber sie turnt ihn nur an, entlockt ihm das Versprechen, im Rat der Männer für den Frieden zu stimmen und lässt ihn dann einfach sitzen.

Meine Abendbegleitung Jannik raunt mir daraufhin zu:

„Und das war der Moment, in dem alle Männer beschlossen, schwul zu werden…“

Er hat nicht unrecht. Man denke an den Comic „Lysistrata“ von Ralf König, der genau diese Alternative wählt. Vielleicht drängt sie sich auch geradezu auf, weil sie im Stück von Aristophanes so konsequent negiert wird. Die Frauen verweigern sich, also können die Männer keinen Sex haben. Punkt.

Hält man sich an das Original und lässt die Männer in ihrem sexuellen Notstand darben, hat der konservative Theatermacher aber irgendwann ein Problem, wenn es in der Regieanweisung heißt:

„Die Spartaner legen ihre Mäntel ab, so dass man ihre eregierten Phaloi sieht.“

Was tun? Das jtt steht vor einem Problem. Bis jetzt konnte die Sprache des Textes gezähmt werden. Sämtliche Schwänze wurden entfernt und durch brävere Formulierungen ersetzt. Mein Lieblings-Lysistrate-Satz: „Oh! Durch und durch verfickt ist unser Geschlecht!“ und sämtliche sexuellen Anspielungen in Orts- und Personennamen sind gestrichen – und jetzt erigierte Phaloi auf der Bühne? Seufzend und schmollend muss ich erkennen, dass es dazu nicht kommen wird.

Die jungen Männer versuchen nun also, sexuelle Erregung darzustellen, aber ihre Körperhaltung und ihre Mimik schwankt dabei zwischen Sehnsucht und Verlegenheit wild hin und her. Am Ende werden sie von Lysistrate erlöst: Sie schließt Frieden zwischen Athenern und Spartanern. Die Frauen sind die Sieger, Lysistrates Plan mit der Enthaltsamkeit geht auf und zum Schluss sind alle wieder glücklich vereint.

Das Ende kommt aber dann doch ein bisschen zu plötzlich. Beim Schluss-Black lässt der Applaus quälend lange auf sich warten – nicht unbedingt, weil man das Stück so schlecht fand, sondern weil man noch auf etwas wartet. Auf was wohl? Phaloi? Sex? Das ist vielleicht das grundlegende Problem von „Lysistrate“: Das Stück funktioniert unter anderem wie ein ca. 1 1/2 stündiges Vorspiel; die Frauen reizen die Männer, die Männer begehren die Frauen…. Am Ende liegt die Anziehung zwischen ihnen greifbar in der Luft (bzw. sie steht im Idealfall sichtbar auf der Bühne).
Im griechischen Original wird deswegen nach der Friedensschließung erstmal ordentlich gefeiert. Der Voyeurismus wird duch Lieder und Freundschaftsbekundung ein wenig entspannt – hier auf der Brechtbühne fallen sich Männer und Frauen in die Arme und gehen zusammen von der Bühne ab. Friede, Freude, Eierkuchen.
Insgesamt also ein Abend, der unterhaltsam war, aber leider auch nicht viel Neues brachte.