Es gibt nicht viele Regisseure, die es schaffen, ein eigenes Genre zu entwickeln. Baz Luhrmann gehört jedoch zu dieser kleinen Gruppe. „Red Curtain“ steht deskriptiv für Luhrmanns Stil: das Theatralische im Film hervorheben. Farbenvolle Szenen, eine entfesselte Kamera, schnelle Schnitte, absurde Situationen oder Dialoge, Tanzszenen oder Musikeinlagen: Diese gewaltige Mischung lässt den Zuschauer schnell in einen Rausch fallen. Luhrmann gelingt es, komplexe Handlungen vereinfacht filmisch darszustellen, ohne billig  zu wirken. Bezeichnend ist auch die Steigerung in Luhrmanns Filmen: Am Anfang wird der Stil überzeichnet, die eingeführte Welt flasht den Zuschauer regelrecht. Durch witzige, absurde Szenen soll Stimmung erzeugt werden. Fließend gelingt ihm ein Übergang von der Überstilisierung am Anfang zu gemäßigteren Szenen. Gegen Mitte beginnt Luhrmann das Theatralische immer mehr mit Dramatik zu verknüpfen, bis es zu einem Höhepunkt kommt, der den Zuschauer auf eine unbeschreibliche Weise einnimmt und einer Explosion gleicht. Seine Welt eröffnet eine überhöhte Realität, die Elemente von Theater, Oper, Kino und Popkultur vereint und den Zuschauer glauben lässt, in einer Live-Performance anstatt einem Film zu sitzen.

Die unter dem Namen „Red Curtain“-Trilogie veröffentlichten Filme Luhrmanns Strictly Ballroom, William Shakespeare’s Romeo + Juliet und Moulin Rouge, repräsentieren alle drei Luhrmanns Stil. So wird im Musical Moulin Rouge das Theatralische durch intensive, aussschweifende Tanzeinlagen und natürlich durch die Interpretation von bekannten Musikstücken überspitzt. In Romeo + Juliet wurde Shakespeares Theaterstück in einen modernen Schauplatz verlegt. Anstatt mit Degen bekämpft man sich mit Waffen, während man aber an der Shakespearschen Sprache festhält.

Luhrmanns neustes Werk, die Verfilmung vom Literaturklassiker Der große Gatsby, ist derweil in den Kinos zu betrachten. In Der große Gatsby treffen wir auf den jungen Nick Carraway, der in ein gemütliches Landhaus zieht. Sein Nachbar ist der ominöse Jay Gatsby, über den jeder tratscht, aber niemand kennt ihn eigentlich. Immer wieder feiert Gatsby ausschweifende Partys. Die High Society strömt zahlreich zu ihm ins Haus, ohne überhaupt zu wissen, wer der Gastgeber ist. Die Geschichten über Gatsby kursieren und wecken Carraways Interesse. Bis er eines Tages eine persönliche Einladung von Gatsby bekommt und schließlich nach und nach in dessen Geheimnisse und Leben mit hineingezogen wird.

Ab der ersten Minute des Filmes wird der aufmerksame Baz-Luhrmann-Zuschauer mit altbekannten Strukturen konfrontiert, die mich persönlich schwer an Moulin Rouge erinnert haben. Um der Geschichte liegt ein Rahmen, aus welchem der Ich-Erzähler über das Erlebte erzählt. Diese Rolle nimmt in Moulin Rouge der mittellose Schriftsteller Christian ein. Auch die Story weist einige Parallelen auf: Der „arme Sitarspieler“ liebt die unerreichbare Frau und muss gegen einen omnipräsenten und auf eine realistische und einfache Art unbesiegbar erscheinenden Antagonisten ankämpfen. Luhrmann hält also nicht nur an seinem Stil fest, sondern auch an der Form, wie er Geschichten erzählt: Zukunftsrahmen, das Ende wird vorweg genommen. Wobei ich generell nichts gegen Regisseure habe, die in ein Muster verfallen, so kann man sich wenigstens immer darauf verlassen, dass man immer was Gutes serviert bekommt.

Doch auch Abweichungen gibt es. So fehlte mir persönlich der Baz-Luhrmann-typische Anfang, das „Oh-mein-Gott,-was-geht-ab?“- Erlebnis, welches man bei Romeo + Juliet z.B. bei der Tankstellenszene gleich am Anfang hat. Dementgegen wirkt der Anfang von Gatsby ziemlich klassisch, ruhig und auch beinahe etwas lang, bis man sich in die Geschichte eingefunden hat (Dies mag aber auch an der 3D-Technik gelegen haben, denn zu Beginn des Filmes war ich eigentlich mehr damit beschäftigt, mich auf die ungewohnten 3D-Bilder als auf die Handlung zu konzentrieren).

Auch die dramatische Zuspitzung gegen Ende des Filmes war nicht so intensiv, wie in anderen Filmen Luhrmanns. Gerade zum Höhepunkt der Geschichte hin, hätte ich mir mehr Dramatik gewünscht. Aber ich neige immer dazu, Moulin Rouge als Messwert zu nehmen und in diesem Film war die unbeschreibliche dramatische Zuspitzung wahrscheinlich mehr an der Musik gelegen (Ich erinnere hier nur an das Stück Roxanne – einfach mitreissend).

Was vielleicht eine intensivere Dramatik verhinderte, war, dass Gatsby und seine wahre Geschichte für meinen Geschmack zu früh enthüllt wurden. Wären er und seine Absichten länger ungezeichnet geblieben, hätte dies die dramatische Wendung mehr verstärkt. So war man zwar am Anfang mit seiner Lebenslüge konfrontiert, jedoch wurde dem Zuschauer sehr schnell Gatsbys wahres Leben erzählt, an welchem außerdem überhaupt nichts Schlimmes oder Verwerfliches war. Auch wusste man sehr schnell über Gatsbys Absichten gegenüber Daisy Bescheid. Das einzige, was erst gegen Schluss enthüllt wurde, war sein Beruf bzw. seine ominösen Geschäfte, aber auch diese waren eigentlich nicht weiter relevant. So wartete man während des ganzen Films auf eine plötzliche Wandlung Gatsbys oder auf eine schockierende Enthüllung, doch es kam nichts.

Auch wenn etwas Dramatik fehlte, war das Theatralische in Der Große Gatsby jedoch zu finden. Einmal in den großen Partyszenen, die einer Live-Performance glichen. Außerdem eröffnet Luhrmann eine Art Kammerspielcharakter: Es gibt wenige Schauplätze, die sich immer wieder wiederholen. Auch umfasst die Handlung wenige Figuren (siehe Bild oben). Luhrmann inszeniert lange Szenen, die meist nur in einem geschlossenen Raum und oftmals mit allen sechs Figuren spielen. Man spürt förmlich die Enge der Schauplätze und wenn es dann in diesem Raum mehr und mehr zum Streitgespräch kommt, steckt der Zuschauer mittendrin. Die Anspannung der Szene schwappt förmlich in den Kinosaal über. Auch das Set Design vermittelt einen Bühnencharakter. Die Szene mit Gatsby und Daisy in Carraways Landhaus zwischen einer Fülle an Blumen und Torten könnte so auch auf einer Bühne spielen.

Neu im Stil Luhrmanns ist, dass er  in Der große Gatsby viel mit Symbolik spielt, z.B. das grüne Licht am anderen Ufer (hat es existiert oder stand es nur für Gatsbys Hoffnungsschimmer?).

Obwohl ich immer eine Gegenposition zur 3D-Technik  einnehme, muss ich sagen, dass der Film in 3D positiv gewirkt hat. Auch wenn immer wieder typische Bilder auftauchen, in welchen die 3D-Technik mehr schlecht als recht wirkt, führt die Technik den Zuschauer sicher durch die schnellen Schnitte eines typischen Baz-Luhrmann-Filmes. Das 3D gibt einem vor, wo man hinschauen soll, wo man ansonsten erst ewig den Fixpunkt suchen muss und das Bild vielleicht schon wieder längst vorbei ist. Man merkt, dass der Film für 3D gemacht wurde.

Der Film besticht außerdem mit schönen Bildern. Er hat ein einnehmendes Setting zwischen der Untergangsstimmung des Fin de Siècle und der kulturellen Blütezeit der Goldenen 20er Jahre. Wahrend in der Großstadt Carraway von der Enge und der Vielfalt an Menschen und Wohnsituationen auf so begrenztem Raum spricht, zeugen die Partyszenen und die Umgebung um Gatsby von der Dekadenz der 20er Jahre.

Auf jeden Fall hat sich Luhrmann wieder einen Stoff mit einer grandiosen Handlung ausgesucht, vor allem mit einer schönen Moral: Gatsby verändert die Zukunft, um sich eine gemeinsame Zukunft mit Daisy zu ermöglichen und will schließlich die Vergangenheit zurückholen, da er erkennt, dass es so nun doch keine gemeinsame Zukunft gibt.

Carraway:
„Man kann die Vergangenheit nicht wiederholen.“

Gatsby:
„Natürlich kann man!“