Wenn in Shootern Menschen getötet werden, gehört das für Videospieler zum Standard des Genres. Anvisieren und Abdrücken ist der gute Ton und wer ein Spiel mit klassischem Flow erwischt hat, lässt ungebremst Köpfe durch Schroftflinten platzen, mäht mit MGs Heerschaaren nieder und zersplittert Feindgruppen in blutroten Explosionen. So weit, so bekannt; als Kaufreiz reicht das nicht mehr aus. Entwickler greifen dann gern auf etablierte Blaupausen aus Hollywood zurück, wenn ihnen spielmechanische Innovationen partout nicht einfallen wollen. Also muss die typische Heldenreise mit marketingfreundlichem Muskelmann her. Doch wie erzählt man die Geschichte eines sympathischen Massenmörders?

Die Uncharted-Reihe versucht es mit Ignoranz. Nathan Drake mimt in Zwischensequenzen den gutherzigen Abenteurer, der im Ernstfall höchstens seine Fäuste schwingt. Unter der Kontrolle des Spielers darf er dann allerdings Morde im Tausenderbereich begehen. Am Ende von Uncharted 2 wird er deswegen dann tatsächlich mal vom Antagonisten darauf angesprochen: „You think I am a monster. But YOU are no different from me, Drake! How many men have you killed?? How many… just today?!“ In der Endsequenz wird Nathan Drake den Bösewicht nicht selbst umbringen. Er wirft ihn übernatürlichen Yeti-Monstern zum Fraße vor. Töten? Das machen die anderen – meistens nur der Spieler, aber auf keinen Fall Nathan Drake.

Drei Jahre später, 2012, erschienen mit Yagers Spec Ops: The Line und Ubisofts Far Cry 3 gleich zwei Spiele, die diese Widersprüche zwischen Erzähltem und Spielgeschehen vermeiden bzw. vermitteln wollen. Wieso töten die Protagonisten und was stellt es mit ihnen an? Dabei verfallen sie keinem fatalistischen Kulturpessimismus, nach dem es keine Shooter mehr geben dürfe (so wie es beispielsweise Michael Haneke mit Funny Games vom Horrorfilmgenre zu fordern schien). Sie geben auch keine Antworten, wie Shooter künftig zu funktionieren haben und was man von ihnen halten solle. Wie die folgende Analyse zeigt, wird hingegen auf zwei unterschiedliche Weisen darauf aufmerksam gemacht, wie Shooter wirken und welche moralischen Fragen man sich stellen kann, selbst wenn es sich nur ums Töten virtueller Menschen handelt.

Far Cry 3 – Psychotest

Far Cry 3 ist ein First-Person Shooter mit Rollenspielelementen, in dem der Spieler auf einer größtenteils frei begehbaren Tropeninselkette gegen Piraten kämpft, um die gekidnappten Freunde der Hauptfigur Jason aus den Händen des Geiselnehmers Vaas zu befreien. Bevor man die Einzelspieler-Kampagne beginnt, weisen bereits der erste Startbildschirm und das Hauptmenü visuell auf die Themen des Spiels hin. Die Hintergrund-Animation ist hier als Rorschach-Test gestaltet, wobei ein Objekt oder eine Person zur Hälfte auf einer Seite abgebildet und dann an der Vertikalachse gespiegelt wird, was zusammengesetzt ein neues Bild ergibt. So ergeben zwei Hälften einer verzierten Pistole zusammengesetzt in der Draufsicht einen Schmetterling. Auf die gleiche Weise alterniert im ersten Startbildschirm die Silhouette des Helden mit der des Antagonisten. Wie unterschiedlich sind sich die beiden wirklich? Dem Rorschach-Test wird der Spieler nicht nur zum Spielstart ausgesetzt, sondern jedes Mal, wenn er das Spielgeschehen pausiert und ins Hauptmenü wechselt, sei es um Gegenstände herzustellen oder im Level aufzusteigen. Der Einsatz dieses Tests suggeriert, dass die vom Spieler oder der Spielfigur erlebten Ereignisse durch subjektive Wahrnehmung beeinflusst werden, und die stetige Konfrontation fordert auf, das Erlebte und sich selbst zu hinterfragen. Sieht man einen Schmetterling oder zwei Pistolen? Will man die Schönheit der Natur sehen oder Objekte der Gewalt? Das Hauptmenü soll Skepsis wecken. Der verschwimmende Wechsel zwischen Jason und Vaas deutet bereits zu Spielbeginn an, dass es eine Verbindung, Gemeinsamkeiten und einen Rollentausch zwischen Held und Bösewicht geben wird.

Wird die Geschichte nun aus dem Hauptmenü heraus gestartet, folgt ein Ladebildschirm, in dem collagiert Begriffe wie Insanity, Wake, Game, Hunt, Girlfriend, Father, Head, Die, Fuck, Mom etc. aufblitzen. Mit steigendem Spielfortschritt werden neue Wörter hinzugefügt. Auf diese Weise wird regelmäßig das Unterbewusstsein des Protagonisten repräsentiert. Kontrastiert wird die chaotische Collage mit sachlichen, spieltypischen Infos wie „Shotguns are devastating close range weapons“ oder „The Chained Takedown skill lets you quickly kill multiple enemies in sequence.“ 71% der Tipps (ja, ich habe nachgezählt!) haben mit gewalthaltigen Aktivitäten zu tun. Die emotionslose Formulierung der Tipps stellt zwar einen Bruch zu den aggressiv aufblinkenden Bewusstseinsfetzen dar, doch genau diese Distanz und Entrückung zum gewaltvollen Inhalt ist eine der Ursachen der in Videospielen scheinbar natürlich akzeptierten Aggressivität.

Auf die Ladesequenz folgt das Zitat: „In another moment down went Alice after it, never once considering how in the world she was to get out again“, aus Alice’s Adventures in Wonderland, woraus im Spielverlauf noch häufiger in Text und Bild zitiert wird. Die mehrfachen Verweise auf Alice deuten erneut auf die Subjektivität der Erzählung hin, denn wie Alices traumhaftes Abenteuer erlebt der Spieler das Geschehen nur aus der subjektiven (Ego-)Perspektive Jasons, wobei Traumsequenzen und Realität oftmals fließend ineinander übergehen. Zudem beschäftigt sich auch Far Cry 3 mit Paradoxen und Wahnsinn. Das Zitat deutet ebenfalls an, dass der Spieler und die Hauptfigur in eine unbekannte Welt eintauchen werden, von der sie noch nichts verstehen.

Summer murder

Realitätsverlust und Eskapismus werden auch in der nächsten Zwischensequenz aufgegriffen. Diese ist noch nicht interaktiv und als Musikvideo gestaltet. An einem Tropenstrand feiert Jason mit Familie und Freunden. Es ist eine Gruppe junger weißer Amerikaner in ihren Zwanzigern (Ubisofts Zielgruppe?), die die exotisch-natürliche Umgebung für Aktivitäten wie Jet-Ski, Tauchen, Gleitschirmfliegen, Partys, Skydiving und Fallschirmspringen missbrauchen. Für den Spieler ist es ein Supercut der Aktionen, denen er in der offenen Spielwelt später selbst nachgehen kann. Unterlegt ist die Montage mit dem Song Paper Planes von M.I.A., einer Sängerin, die im Vergleich zu den Protagonisten genau die gegenteilige Reise gemacht hat – sie wuchs in den Tropen von Sri Lanka auf und machte dann im Industriestaat Großbritannien Karriere.

Paper Planes, in seiner ursprünglichen Fassung eine ironische Kritik am kapitalistischen Gangster-Image, setzt im Spiel allerdings erst mit dem letzten Drittel des Liedes ein und überspringt somit den Großteil der subversiven Strophen wie: „No one on the corner has swag like us / Hit me on my burner prepaid wireless / We pack and deliver like UPS trucks / Already going to hell, just pumping that gas“. Stattdessen beginnt es mit den Versen: „Some I murder / Some I let go“. Mit sonnigen Strand-Impressionen bebildert, klingt „Some I murder“ fast wie „Summer murder“ – eine weitere Aufzählung der lustigen Freizeitaktivitäten. Fraser McAlpine schrieb in der BBC Radio 1-Kritik zu Paper Planes:

One of the things that appeals to me about this song is the way in which the melody of the singing in the verses is discordant with the backing – there’s something very calm and serene about the music, and the slight mismatch in tone with the melody slaps you around the ears, demanding your attention, and forcing you to listen to the words. And when you do, and realise it’s a dead-eyed skit on ruthless business practices, it just multiplies the queasy power of the song.

Paper Planes nutzt Dissonanz, um den Hörer auf die unangenehmen Textpassagen aufmerksam zu machen. Dieselbe Methode nutzt Far Cry 3 später ebenfalls, um auf die Gewalt hinter den eingängigen Spielmechaniken aufmerksam zu machen. „Some I murder / Some I let go“ verweist zudem auf die Willkür des Mordens, die sich auch im Spielgeschehen widerspiegelt. Wie und ob der Spieler einen Gegner töten wird, ist nicht selten nur eine Frage der Reichweite und des Komforts. Der Refrain „All I wanna do is [Schussgeräusche] / And [Kassengeräusch] / And take your money“ steht im Kontext der weißen Amerikaner, die die fremde Kultur und Natur als Spielplatz ausnutzen, für die Exploitation ihrer Umgebung.

Was während dieses Musikvideos auch auffällt, ist die vergleichsweise niedrige Bildauflösung und tatsächlich zoomt die Kamera nach dem finalen Fallschirmsprung heraus und offenbart ein Smartphone, von dem das Video abgespielt wurde. Die fortan genutzte Perspektive ist nun in Spielgrafik Jasons Ego-Perspektive, der bei dunkler Nacht an einen Käfig gefesselt seinem ebenso gefangenem Bruder gegenüber sitzt, und vom einheimischen Sklaventreiber Vaas gezwungen wird, das Video anzusehen. Im folgenden Monolog tyrannisiert Vaas seine Gefangenen mit Erniedrigungen, denunziert ihre Männlichkeit („I’m the one with the fucking dick“, „You’re my bitch“) und droht, sie aufzuschlitzen („Do you want me to slice you open like I did your friend?“). Zum Ende hin wendet er sich an Jason, blickt also direkt in die Kamera und fragt: „Why aren’t you laughing now like you did up there? Is this not fun anymore, have I failed to entertain you?” Er spricht nicht nur Jason an und mokiert dessen hedonistisches Verhalten im Video, sondern adressiert auch den Spieler. Der Spieler wird somit aufgefordert, sich Gedanken über den Unterhaltungswert der Szene und des Spiels zu machen. Ist die verbale Folter noch so unterhaltsam wie das farbenfrohe Musikvideo? Sind nicht-interaktive Szenen überhaupt unterhaltsam, muss ein Spiel unterhalten und wie kann der Unterhaltungswert erhöht werden? Im späteren Spielverlauf werden Jason und der Spieler entscheiden müssen, was ihnen Unterhaltung Wert ist.

Post-Bioshock

Eine Stimme aus dem Hintergrund fordert Vaas auf, die Geiseln in Ruhe zu lassen und sich wichtigeren Dingen zuzuwenden. Dies zeigt zum einen, dass Vaas nur ein Handlanger einer höheren Autorität ist, und andererseits, dass Vaas sein Entertainment aus Erniedrigung und Folter zieht, weil es offensichtlich nicht seine Pflicht war. Der ältere Bruder Grant nutzt den Moment der Ruhe, um sich und Jason aus dem Käfig zu befreien und eine Wache auszuschalten. Entsetzt bemerkt Jason den Tod des Wächters, woraufhin sein Bruder antwortet: „That’s what they teach you in the army.“ In Far Cry 3 übernimmt der Spieler nicht die Rolle des kampferprobten Actionhelden, sondern ein in Gewalttaten noch unbeschriebenes Blatt. Der Spieler darf nun zum ersten Mal selbst Kontrolle über Jason übernehmen und bekommt bei der Flucht aus dem Lager die Grundlagen des Schleichens erklärt. Anhand von Grants Ausschaltmanövern wird vorgeführt, was die später selbst ausführbaren Takedown-Kills den Widersachern anrichten. Dies kommentiert Jason hier noch mit „Oh man“ oder „Shit“; für den Spieler ist es hier noch nicht möglich, Gegner selbst zu erledigen. Am Rand des Lagers angekommen, erwischt eine Kugel Grant am Hals und der Spieler muss mit gehaltenem Tastendruck die Blutung stoppen. Jasons Hände umschlingen den Hals des Bruders, während Vaas ihn aus dem Hintergrund verhöhnt. Die Animation lässt es dabei so aussehen, als ob er seinem Bruder die Luft abdrücke. Und durch das Quicktime-Event sind wir als Spieler beteiligt. Das gleiche QTE wiederholt sich zum Ende des Spiels, als sich Jason gezwungen sieht, seinen jüngeren Bruder zu foltern, indem er seine Hand in eine Schusswunde drückt. Aus rein mechanischer Sicht ändert sich dabei gar nichts; in beiden Fällen hält man nur eine Taste gedrückt, um voranzukommen – retten oder foltern, spielerisch gleichgültig. Grant, der in den ersten Spielszenen mit seinem stoischen Vorgehen und der Abgeklärtheit beim Meucheln noch den klassischen Ex-Militär-Videospielhelden verkörperte, ist nun tot. Far Cry 3 will nicht die typischen Shooter-Klischees bedienen.

Vaas gibt Jason einen Vorsprung zum Fliehen, doch während der Verfolgungsjagd wird Jason von einem Gegner überrascht, der ihm ein Messer an die Brust drückt. Der Kampf wird ebenfalls als QTE ausgefochten, in dem der Spieler durch wiederholtes Tastendrücken die Klinge zum Gegner wendet. In Selbstverteidigung begeht Jason seinen ersten Mord und ist erneut entsetzt. Dem Spieler hingegen wurde in dieser Szene die Kontrolle größtenteils genommen. Die einzige Entscheidung bestand darin, ob man für Jasons Überleben die Taste bedient oder ob man ihn sterben lässt und somit das Spiel beendet. Viele würden jetzt sagen, dass dies überhaupt keine echte Entscheidung sei. Videospielforscher Brendan Keogh sieht das jedoch anders. In seinem Buch Killing is Harmless definiert er das Konzept des „post-Bioshock game“ und bezieht sich dabei auf die Schlussfolgerung, die aus Bioshocks Meta-Kommentar über Entscheidungsfreiheit zu ziehen sei. Während des thematischen Höhepunkts offenbart Bioshock, dass in einem Spiel Entscheidungen nie aus freiem Willem heraus getroffen werden können, sondern lediglich das ausgeführt werden kann, was das Spiel dem Spieler erlaubt. Der Spieler wählt immer nur aus vorgegebenen Möglichkeiten, was schlussfolgern lässt, dass er keine Verantwortung für seine Taten übernehmen muss. Schließlich hat das Spiel bzw. der Gamedesigner die Entscheidung samt Folgen bereits vorprogrammiert, also längst vor der Beteiligung des Spielers getroffen. Per Post-Bioshock sei nun jedoch weiterführend zu argumentieren, dass die Verantwortung des Spielers in der Entscheidung liegt, zu spielen. Wer nicht die Verantwortung für virtuelle Morde übernehmen möchte, kann sich nicht darauf berufen, virtuell einer Alternative beraubt zu sein, sondern muss sich dafür verantworten, sich überhaupt in dieser virtuellen Welt zu beteiligen. Hilft also der Spieler Jason per Tastendruck, das Messer in den Feind zu rammen, ist er aufgrund seiner Beteiligung Komplize.

Suchtspirale

Die Verfolgungsjagd endet, als Jason von einer Brücke in die reißende Strömung stürzt. Seit dem anfänglichen Alice-Zitat „In another moment down went Alice […]“ ist dies bereits der zweite Sturz, der nun auch Jasons mentalen Niedergang symbolisiert, initiiert durch seinen ersten Mord. Unterwasser markieren die Credits das Ende des Prologs und den Beginn des ersten Aktes. Jason befindet sich nun tatsächlich in einer Situation, aus der er wie Alice keinen Ausweg weiß. Ins Wasser greift ein vollständig tätowierter Arm und rettet Jason vorm Ertrinken. Er gehört zum Inselbewohner Dennis, der Jason sein erstes Tattoo verpasst. Mit jedem Level-Aufstieg kann der Spieler aus den Spezialisierungen Heron, Shark oder Spider Fähigkeiten auswählen, die Fernkampf, Nahkampf oder Überleben verbessern, wobei mit jeder Auswahl ein neues Tattoo zu Jasons Arm hinzugefügt wird. Durch den rettenden Tattoo-Arm zuvor wurde die Assoziation zwischen Rettung und Tattoo geschaffen und zunächst als etwas Positives dargestellt. Spielmechanisch wird diese Symbolik jedoch gebrochen, da neue Tattoos (durch Level-Aufstiege) das Töten von Gegnern erfordern. Am Ende des Spiels wird Jason vor die Wahl gestellt, ob er seine Freunde retten möchte oder sein Tattoo vervollständigen will. Der Spieler wird somit vor die Wahl gestellt, ob ihm das ludische Ziel der Vervollständigung wichtiger ist als das narrativ begründete Ziel der Freundesrettung. Dies ist die einzige Entscheidung, die den Ausgang des Spiels beeinflusst.

Dennis will Jason davon überzeugen, dass er ein echter Krieger sei und sich dem Rakyat-Stamm anschließt. Jason solle erkennen, dass das Kämpfen zu seiner wahren Natur gehöre. Er gibt ihm 60 Dollar, womit er sich eine Pistole im Waffenladen kaufen muss. Im Spielverlauf verdient man Geld durch den Verkauf von Schätzen oder durchs Absolvieren von Haupt- und Nebenmissionen. Bessere Waffen werden entweder von erschossenen Gegnern aufgesammelt, im Shop gekauft oder durch das Reparieren von Funktürmen kostenlos freigeschaltet. Mit teuren Upgrades pimpt man die Schießesen mit Zielfernrohr, größeren Magazinen und Schalldämpfer, was die Kämpfe erleichert, oder streicht sie wahlweise mit hippen Farbmustern an, was dem Töten einen persönlichen Stil verleiht. Ein Symbol am Bildschirmrand weist darauf hin, dass neue Einträge zum virtuellen Survival Guide hinzugefügt wurden. Dies erfolgt immer dann, wenn neue Objekte, Orte oder Personen entdeckt wurden. Die gekaufte Pistole wird so beschrieben: „Talk about a classic as American as apple pie and immigration fences, this .45 caliber semi-automatic pistol has been in use worldwide for more than 100 years. Fortunately, the ones found on Rook Island aren’t cheap Chinese knock-offs.” Der Eintrag zu Jason Brody lautet: “When you first escaped from Vaas’s prison camp, I did my research. Jason Brody. From Los Angeles. […]” Dies sind keine neutralen, extradiegetischen Spielbeschreibungen, sondern Kommentare einer Person, die sich innerhalb der Spielwelt befindet. Mit der Formulierung aus der Ich-Perspektive wird dem Spieler erneut das Konzept von unterschiedlichen Perspektiven und Subjektivität innerhalb der Spielwelt vorgeführt. Der Spieler wird somit aufgefordert, zu hinterfragen, inwiefern Jason als verlässlicher Erzähler fungiert. Zusätzlich rufen die krass rassistischen Formulierungen ins Bewusstsein, dass man sich über Rassismus Gedanken machen muss, insbesondere wenn auch die Hauptfigur ein wohlhabender, weißer Amerikaner ist, der im Spielverlauf dunkelhäutige Inselbewohner erschießt. Zusammen mit dem Konzept des unzuverlässigen Erzählers liegt die Frage nahe, ob es nicht Jasons Wunschdenken ist, als Teil der Einheimischen aufgenommen zu werden und sein Morden durch eine mythologische Kämpfernatur zu rechtfertigen.

Dennis schickt Jason mit der Pistole zum ersten Funkturm, wobei Jason erwähnt, er habe noch nie mit einer Waffe gefeuert. Dennis kontert: „What do they say in America? There’s a first time for everything.“, was das Schießen mit der Natürlichkeit und Notwendigkeit einer Entjungferung gleichsetzt – zumindest für Amerikaner. Am Fuße des Funkturms befindet sich eine Schlange und zum ersten Mal ist der Spieler verlockt, aktiv ein Lebewesen zu töten, während er die volle Kontrolle über Jason hat. Nach dem vermeintlichen Brudermord im Prolog wird erneut Genesis referenziert (Bibel und so), nun durch die Verleitung durch die Schlange, was dem Erschießen eine sündhafte, negative Konnotation verleiht.

Das Erklimmen des Funkturms schaltet nicht nur neue Waffen frei, sondern deckt auch einen Teil der Karte mit spielrelevanten Informationen wie Pflanzen- und Tierarten auf. Dennis beauftragt Jason folglich Heilpflanzen zu sammeln und Wildschweine zu häuten, wodurch dem Spieler die Crafting-Mechanik gezeigt wird. Mit Kräutern lassen sich Heilspritzen füllen und aus Tierhäuten werden größere Waffengürtel, Tragetaschen, Munitionsbeutel oder Köcher hergestellt. Was als Häuten beschrieben wird, ist in der Animation allerdings als Ausschlachten dargestellt. Statt dem Tier nur die Haut abzuziehen, sticht die Spielfigur ins Fleisch und holt die Eingeweide heraus. Darstellung und spiellogische Crafting-Mechanik erzeugen hier eine Dissonanz, die den Sinn dieser Tätigkeit infrage stellt. Um noch größere Behältnisse herzustellen, werden zudem Felle und Häute von äußerst seltenen Tieren benötigt, wie beispielsweise vom Albino-Krokodil oder des vom Aussterben bedrohten Sumatra-Tigers . Für den Story-Fortschritt ist es nicht erforderlich, diese Tiere zu töten und obwohl höhere Munitionskapazität das Kämpfen besonders gegen gepanzerte Einheiten erleichtert, ist es nicht unmöglich, das Spiel auch ohne diese Upgrades zu bewältigen. Die jeweils bestmögliche Tasche erhält man zudem ausschließlich von einem einzigartigen Tier, das speziell aufgesucht und nur mit Pfeil und Bogen aus der Nähe getötet werden kann. Dies führt dem Spieler vor Augen, dass er für die Ausrottung einer Spezies verantwortlich war und die dissonante Animation der Ausschlachtung betont noch einmal mehr die Sinnlosigkeit der Aktion. Dem Spieler wird vorgeführt, dass die Spielmechanik nicht im Einklang mit der Spielwelt steht und die Dissonanz hat eine distanzierte Wirkung. Wieso verschwendet die Spielfigur Zeit mit der Ausrottung seltener Tierarten, wenn Jason doch ursprünglich seine Freunde retten sollte?

Nach der Crafting-Einführung erhält Jason den Tipp, dass es Hinweise auf den Verbleib seiner Freunde in einem naheliegenden Outpost gebe und Dennis erklärt ihm, dass das „Liberalisieren“ dieser Außenposten dem einheimischen Rakyat-Stamm helfe, die Insel von Vaas‘ Piraten zurückzuerobern. Abgesehen von dieser einleitenden Pflichtmission ist es für den Storyfortschritt aber ebenfalls nicht erforderlich, die in der Spielwelt verteilten Feindeslager einzunehmen. Unter der Kontrolle des Spielers bringt Jason nun kommentarlos fünf Menschen um, die sich im Aussehen allesamt gleichen. Später wird es verschiedene Gegnertypen geben, wie messertragende Charger oder schwergepanzerte Heavy Gunner, doch alle haben eine dunkle Hautfarbe und tragen ein markant rotes Tuch – die Signalfarbe für Gefahr. Innerhalb eines Kampftyps sind alle Gegner Klone und haben die gleiche Synchronstimme, was sie dehumanisiert und das Töten emotional erleichtert. Nähert sich die Spielfigur einem nichtsahnenden Gegner, kann per Knopfdruck ein Takedown ausgeführt werden, der den Feind lautlos und ohne Munitionsverbrauch ausschaltet. Mit später freigeschalteten Skills können Takedowns aneinander gereiht werden, wodurch es beispielsweise möglich ist, einem soeben erstochenen Gegner ein Wurfmesser zu entwenden und automatisch auf den nächststehenden Gegner zu werfen. Das Spiel belohnt kreatives Töten, wie Takedown-Kombinationen, Kopfschüsse und explosive Mehrfach-Kills, mit höheren Erfahrungspunkteboni als das simple Erschießen in die Brust. Wird ein Outpost ohne Alarm auszulösen eingenommen, gibt es einen weiteren Punktebonus. Mehr Erfahrungspunkte führen zu mehr Tötungsmöglichkeiten, die wiederum zu mehr Boni führen, die wiederum zu mehr Erfahrungspunkten führen. Durch diese Mechanikschleife wird ein Spielfluss erzeugt, der den Spieler zu einem kreativen Tötungsrausch motiviert.

Besetzen die Rakyat einen eroberten Außenposten, werden Nebenmissionen freigeschaltet, die Geld und Erfahrungspunkte einbringen. „Path of the Hunter“ erfordert das Töten von Tieren mit vorgegebenen Waffen und „Wanted Dead“ erfordert das Töten bestimmter Piraten mit vorgegebenen Waffen. Resultieren die Belohnungen in Levelaufstiegen, neuen Crafting- oder Waffen-Upgrades, ist der Spieler zum Ausprobieren verleitet. Die optionalen Beschäftigungen in der offenen Welt sind außerdem so positioniert, dass dem Spieler eine Verknüpfung suggeriert wird. Dies verläuft typischerweise so ab, dass zuerst ein Outpost eingenommen wird. Die dadurch freigeschalteten Nebenmissionen führen den Spieler wieder hinaus in die Wildnis, wo neue Outposts und Funktürme selten mehr als 300 Meter entfernt sind, die sich mit einem Fahrzeug schnell zurücklegen lassen. Von einem Funkturm kann sich der Spieler abseilen und am Fuße des Turms wartet stets eine „Supply Drop“-Nebenmission, bei der im Rennen gegen die Zeit Ware in ein naheliegendes Lager gefahren werden muss. Von diesem Lager aus können wiederum neue Nebenmissionen gestartet werden. Durch diese Verknüpfungen verbessert sich die Spielfigur und Jason erobert allmählich die Insel zurück. Achievements, die das Nutzerprofil schmücken, motivieren dazu, alle Aktivitäten auszuprobieren und Belohnen den Spieler für seinen Aufwand. „Bagged and Tagged“ erhält man für das Erfüllen einer „Path of the Hunter“-Quest, „Poacher“ für das Häuten eines seltenen Tieres, „Full Bars“ für das Aktivieren von neun Funktürmen. Unterbrochen wird der Open-World-Spielfluss und die Selbstverbesserung der Spielfigur dadurch, dass fortgeschrittene Skills erst zugänglich werden, wenn die daran geknüpften Story-Missionen erfüllt wurden. Spätestens dann wird der Spieler daran erinnert, dass der Zweck von Jasons Aufenthalt eigentlich im Befreien seiner Freunde besteht.

Feels like winning

Nach Dennis‘ Tutorial-Missionen lernt Jason Dr. Earnhardt kennen, der Grants Freundin Daisy beherbergt und künftig noch weitere Freunde unterbringen wird. Der von Pilzen begeisterte Chemiker ist für Jasons erste Halluzination verantwortlich, bei der durch das Einatmen von Sporen die Umwelt zu schrumpfen scheint. Dies verweist erneut auf Alice, speziell das erste Kapitel mit der vergifteten „Drink ME“-Flasche. Jason halluziniert, dass Dr. Earnhardts Haus vor ihm fliehe, was Jasons Distanzierung von Zivilisation und Freunden symbolisiert. In den folgenden Hauptmissionen erfüllt Jason Aufträge für diverse Nebencharaktere, die versprechen, bei der Freundesrettung zu helfen. Nach jedem befreiten Freund kehrt Jason zu Dr. Earnhardts Unterkunft zurück und unterhält sich mit den Überlebenden, was einen Kontrast zum Töten und eine Wiederverbindung zur Menschlichkeit darstellt. Zwischen Ende und Beginn einer neuen Hauptmission wird am Bildschirmrand regelmäßig der Hinweis eingeblendet: „Explore the island, or head to [Startpunkt der nächsten Hauptmission] when ready.“ Das Spiel macht explizit darauf aufmerksam, dass es auch andere Aktivitäten als die Pflichtmissionen gibt und verlockt den Spieler, von seinem Hauptziel abzusehen.

In der neunten Hauptmission „Island Port Hotel“ rettet Jason seine Freundin Liza aus einem brennenden Haus und flieht mit ihr in einem Jeep. Als das Gebäude einstürzt, ruft er in ekstatischer Begeisterung: „Wu-huu, did you see that explosion?“, während um sie herum die Verfolger auf sie schießen. Liza bedient das Fahrzeug und Jason findet im Kofferraum einen Granatwerfer, mit dem der Spieler nun in einer Rail-Shooter-Sequenz feindliche Fahrzeuge ausschalten muss. Ein gesprengtes Vehikel samt Passagieren wird als Multikill gewertet und bringt besonders viele Erfahrungspunkte, was spielerisch motiviert. Verstört vom Lärm fragt Liza: „What’s going on back there?“, woraufhin Jason den markigen One-Liner äußert: “Traffic control.” Jason hat sich ohne Zwischenschritte und Reflektion zum typischen Actionhelden gewandelt. Far Cry 3 leugnet nicht, dass diese Szene einen Unterhaltungswert hat, aber macht gleichzeitig durch Liza auf die Gewalt der Handlung aufmerksam. Während der Verfolgungsjagd bringt Liza noch mehrfach zum Ausdruck, dass sie Jasons Attitüde nicht nachvollziehen kann. Sie ruft entsetzt: „What are you doing; you’re shooting at them, Jason!“. Die Fahrt endet in Sicherheit und Jason erklärt stolz: „Oh yeah, those motherfuckers never knew what hit ‚em“. Liza reagiert bestürzt: „You think almost being killed or sold into slavery was fun? […] This is a nightmare.” Jason hinterfragt seine Taten nicht, aber dem Spieler werden genügend Hinweise gegeben, die Wandlung der Hauptfigur skeptisch zu betrachten. Dazu zählen das Vorhandensein unterschiedlicher Perspektiven, die Misstrauen weckenden Halluzinationen, die ständigen Konfrontationen mit dem Rorschach-Test in den Menüs, die Dissonanz zwischen narrativem Ziel und Open-World-Ablenkungen, die Dissonanz zwischen Ludition und Schlachten der Tiere und der regelmäßige Kontrast zwischen Jason und der Einstellung seiner Freunde zum Töten.

Einen Moment der Reflektion hat Jason erst nach der 15. Hauptmission „Saving Oliver“ in einem optionalen Dialog mit Daisy. Der Dialog startet nur, wenn der Spieler ein Gespräch mit Daisy initiiert, er muss also aktiv an einer Auseinandersetzung mit den Freunden interessiert sein. Dabei fragt Jason Daisy, wie es sich angefühlt habe, bei ihrer Schwimm-Meisterschaft zu gewinnen. Sie antwortet: „Like I was really present, like the whole world was me”. Jason sinniert: “I never thought I’d be able to kill someone. The first time it felt wrong. Which is good, right? And now – it feels like winning.” Außerhalb von Zwischensequenzen ist Jason zu solch Reflektion nicht in der Lage. Der Dialog bringt auch die Machtfantasie zum Ausdruck, die der Spieler fühlt, weil er beim Töten von Gegnern genauso gegen das Spiel „gewinnt“.

Am Ende der darauf folgenden Mission „Piece of the Past” berichtet Antagonist Buck wie Jasons Freund gefoltert wurde. Als Jason nach dem Grund fragt, antwortet Buck: „Entertainment, my dear, entertainment.” In Far Cry 3 geschieht alles Schlechte aus dem Wunsch nach Entertainment. Anfangs trieben es die spaßorientierten amerikanischen Touristen zu weit mit ihrer Ausnutzung der Umgebung, wodurch sie an Charaktere wie Vaas und Buck gerieten, die ihr Entertainment aus Folter beziehen und, wie man in der 14. Mission erfährt, für Hoyt arbeiten, der Drogen nach Amerika verkauft, die wiederum für Entertainment genutzt werden. Und in diese Welt begibt sich der Spieler, um Computergegner für sein eigenes Entertainment zu erschießen.

Zu Beginn der 24. Mission „Warrior Rescue Service“ paraphrasiert Vaas Einsteins Definition von Wahnsinn: “Insanity is doing the exact same fucking thing over and over again, expecting shit to change. That is crazy.” Dies funktioniert auch noch einmal als Kommentar darauf, dass das Erobern von Outposts nichts mit Jasons Ziel der Freundesrettung gemein hat. Als Jason den allerersten Outpost in der Tutorial-Mission einnahm, erwartete er, dort Liza vorzufinden, was nicht der Fall war. Hat der Spieler seitdem trotzdem weiterhin Zeit damit verbracht, Außenposten einzunehmen, ist er per Definition wahnsinnig, weil sich aufgrund der klaren Trennung von Hauptmissionen und Open-World-Aktivitäten so keine Freunde retten lassen.

In der letzten Zwischensequenz des Spiels, nachdem Jason alle Antagonisten umgebracht hat, wird er im Rakyat-Tempel von Stammesführerin Citra aufgefordert, seine Freunde umzubringen, um König des Stammes zu werden. Der Spieler wird hier zum ersten Mal im Spiel vor die Wahl gestellt. Soll Jason Citra beitreten oder soll er seine Freunde retten. Citra warnt ihn: „Complete the path or all you progress, your tatau, everything you have done on this island will be erased.” Damit richtet sie sich auch an den Spieler, der seinen Achievement-Fortschritt und alle Nebenaufträge verlieren könnte, wenn er ihr nicht gehorche. Sie warnt ihn vorm Ende des Entertainments: „Your friends will move on, have kids and boring lives“. Ohne seine Freunde würde er die Insel und den Spaß nie verlassen müssen. Der Spieler muss sich entscheiden, ob er die Kritik am Töten für Entertainment anerkennt oder ob er sich von den motivierenden Mechanik-Schleifen blenden lässt und sich gegen die Narration entscheidet, gegen Besserung entscheidet. Wählt er die Freunde, entfernt Jason die Klinge von Lizas Hals und erklärt: „This violence is over, I’m done. No more blood“. Kurz vor den Credits resümiert Jason im Voice-over: „I killed so many, I’ve lost count. I can’t come back from this, I’m a monster. I can feel the anger inside me. But I am still somewhere inside me more than that. Better than that.” Der Spieler hat seine Lektion selbstständig gelernt und kann künftig hinterfragen, wie er zum virtuellen Töten im Shooter-Genre steht.

Entscheidet sich der Spieler hingegen dazu, seine Freunde zu ermorden, um Citra beizutreten, erfolgt eine kurze Fick-Zeremonie. Am Ende dieser rammt ihm Citra ein Messer in die Brust und offenbart Jason und dem Spieler, dass er nur dazu genutzt wurde, dem Stamm durch das Ausschalten von Vaas‘ Piraten zur Macht zu verhelfen. Jason ist auf Citras Verführung reingefallen und der Spieler ist auf die Motivationsschleifen der Spielmechanik reingefallen. Die Aussage bleibt bei beiden Entscheidungen dieselbe, der Spieler soll sich Gedanken über das Töten für Entertainment machen. Far Cry 3 ist nur insofern inkonsequent, als dass es dem Spieler nach dem Abspann beider Enden doch noch erlaubt, die Insel vollständig zu erkunden, offene Aufträge zu erfüllen, das Tattoo zu vollenden und Achievements zu sammeln.

Spec Ops: The Line – Are you still into it?

Spec Ops: The Line ist ein Third-Person-Shooter, der den Spieler in die Rolle des US-Soldaten Captain Martin Walker versetzt, der mit seinen Kameraden Adams und Lugo nach Überlebenden im verwüsteten Dubai sucht. Im Gegensatz zu Far Cry 3 bewegt man sich durch eng abgesteckte Level ohne wiederholbare Nebenaufgaben. Dubai wurde zu großen Teilen von heftigen Sandstürmen begraben und in den Ruinen zwischen den verbliebenen Hochhäusern bekriegen sich Rebellen und CIA-Truppen mit desertierten US-Soldaten, genannt 33rd, unter der vermeintlichen Führung des Colonels John Konrad. Walkers Delta-Squad gerät zwischen die Fronten.

Wird das Spiel aus dem Hauptmenü, das mit einer zerrissenen, umgedrehten US-Flagge und Jimi Hendrix‘ disharmonischer US-Hymne bereits auf Werteverfall hinweist, heraus gestartet, eröffnet die Geschichte mit einer Helikopter-Flucht. Der Delta-Squad wird von den Kampfhubschraubern der 33rd verfolgt und Captain Walker wehrt sich mit dem Bordgeschütz. Die Sequenz funktioniert als Rail-Shooter mit unbegrenzter Munition, es wird automatisch ohne Einfluss des Spielers geflogen und der Fokus liegt auf dem Schießen. Zerstörte Hubschrauber krachen teils in umstehende Kräne und Hochhäuser, die daraufhin einstürzen. Beim Feuern mit dem stationären Maschinengewehr werden nicht nur Feinde getroffen, sondern auch Glasfronten und Büroräume zerlegt. Auch wenn es keine Flugzeuge sind, die die Wolkenkratzer demolieren, liegt die symbolische Verbindung zu den Anschlägen vom 11. September nicht fern, was der Szene sofort einen unangenehmen Unterton verleiht. Allerdings sind hier Amerikaner für den Schaden verantwortlich.

Die Sequenz endet mit Deltas Absturz und die Bildschirmeinblendung „Earlier…“ führt zurück zu den Ereignissen Stunden oder Tage vor der Verfolgungsjagd. Mit Walkers Voice-over unterlegt, sieht man in einem Appartement John Konrad, den Walker aus Dubai retten will. Er erzählt, Konrad habe ihn bei Gefechten in Kabul gerettet und sei „a fucking hero“. Wie man später herausfinden wird, sind Walker und er im doppelten Sinn „verdammte“ Helden. Während im Vorspann die Beteiligten eingeblendet werden, nähert sich der just angekommene Delta-Squad der Stadtgrenze Dubais. Der erste Hinweis auf die Komplizenschaft des Spielers erfolgt am Ende der Opening Credits: „with Special Guest: [Name des Spielerprofils]“. Durch die Teilnahme am Spiel ist der Spieler mitverantwortlich für das folgende Geschehen. Unterlegt ist die Szene mit Mogwais Post-Rock-Song R U Still In 2 It?. Reizt dich das noch? Keogh interpretiert dies in Killing is Harmless: „The Line doesn’t state that shooters are bad. […] What The Line does say is, ‘This is what shooters do,’ and then asks […] if you are okay with this. Are you still into it?‘”

Walker begrüßt seine Kollegen scherzhaft mit „Welcome to Dubai“, könnte sich aber genauso auch an der Spieler gerichtet haben. Als bei der folgenden Begegnung mit arabischen Rebellen die Verständigung scheitert, sieht sich Delta gezwungen, das Feuer zu eröffnen. Wie man eingangs erfahren hat, war Walker bereits an Gefechten in Kabul beteiligt. Im Gegensatz zum Protagonisten in Far Cry 3 hat er also schon Erfahrung im Töten gemacht, sodass es auch kein überdeutliches Entsetzen gibt, dass er jetzt wieder Personen im Nahen Osten erschießt.

Als während des Tutorials ein Gegner von einer aufgeschlagenen Tür zu Boden gerissen wird, fordert das Spiel auf, den Feind mit einer Nahkampf-Animation zu exekutieren. Ihn aus der Ferne zu erschießen, ist für diesen Moment deaktiviert. Wartet man, bis er wieder aufsteht, muss man ihn erst wieder umhauen und dann exekutieren, bevor man fortfahren kann. Obwohl diese Exekutionen im Rest des Spiels optional sind, ist man hier gezwungen, wenigstens einmal einen Gegner auf diese Weise auszuschalten. Zur Belohnung erhält der Spieler außergewöhnlich viel Munition, deutlich mehr als wenn er sie am Boden gelegenen Waffen entnommen hätte. Später erhält er somit auch Granaten und Munition für Waffen, die die Gegner gar nicht bei sich trugen. In fortgeschrittenen Kapiteln wird der Spieler mehrfach mit Munitionsknappheit zu kämpfen haben und auf den Schlachtfeldern gibt es oftmals noch kauernde Soldaten, die sich hinrichten ließen. Zu Spielbeginn sind die Exekutions-Animationen noch emotionslose Knock-Outs mit Faust oder Fuß, doch je mehr sich Walkers Psyche verschlechtert, desto brutaler werden die Animationen, bis er am Ende des Spiels seine Opfer verhöhnt und ihnen bspw. erst in die Kniescheibe und dann in den Kopf schießt, was dann auch für den Spieler die spielmechanische Rechtfertigung des Munitionssammelns negiert.

Das gewaltvolle Töten bereitet auch noch durch ein anderes Detail der Spielmechanik Unbehagen: Wann immer ein Gegner durch einen Kopfschuss stirbt, wird die Zeit für knapp eine Sekunde verlangsamt, der Kopf schnellt beim Eintreffen der Kugel zurück und es entströmt eine Blutfontäne. Dieselbe Verlangsamung tritt ein, wenn Körper der Angreifer von einer Granatexplosion in dunkelrote Einzelteile zerrissen werden, die in einer Wolke aus Blut und Sand verpuffen. Keogh beschreibt: „[…] what at first feels like stylish, romanticised ‘good‘ shots just becomes unsettling. It’s like I’m A Clockwork Orange’s Alex having my eyelids forced open to confront the ultraviolence I commit.” Die kurze Verlangsamung unterbricht zudem den Rhythmus des Spielflusses, weil für kurze Zeit auch das Zielen auf irritierende Weise verlangsamt wird. Besonders auffällig ist der Zeitlupeneffekt in Chapter 10 – Part 2, bei der in einer weiteren Rail-Shooter-Sequenz Feinde mit einem Granatwerfer gesprengt werden müssen und die Zeit bei jedem einzelnen Treffer verlangsamt, damit der Spieler auch wirklich jeden einzelnen Tod registriert. Im Gegensatz zu Far Cry 3 wird in The Line nicht nur in Zwischensequenzen sondern auch während des Spielgeschehens über die Taten der Spielfiguren reflektiert.

Falsches Dilemma

Nachdem die Kommunikation mit den Arabern am Anfang fehlschlug, hakt im dritten Kapitel Adams beim Spähen nach, ob sie nicht doch noch einmal versuchen sollten, friedlichen Kontakt aufzunehmen, was Lugo und Walker aber ablehnen. Am deutlichsten wird die Unstimmigkeit innerhalb der Truppe, wenn der Spieler vor Entscheidungen gestellt wird. Zum ersten Mal geschieht dies in Kapitel 4, als Delta Zeuge wird, wie ein 33rd-Soldat von einem CIA-Mitglied gefoltert wird, sich in einem Augenblick der Ablenkung aber befreien kann und den Agenten ohne Zögern erschießt. In der hektischen Situation muss der Spieler nun entscheiden, ob er den Soldaten entkommen lässt oder ausschaltet. Lässt er ihn am Leben, werden dessen Verbündete alarmiert, die Delta dann bekämpfen muss. Tötet man ihn, lässt sich der folgende Raum konfliktlos durchqueren, aber Lugo und Adams beschweren sich über den Mord an einem amerikanischen Soldaten. Wie sich der Spieler auch entscheidet, es werden Amerikaner sterben. Dies unterscheidet The Line deutlich von Genre-Vertretern (z.B. Call of Duty: Black Ops 2), in denen es oftmals Entscheidungen gibt, die bessere Konsequenzen haben als andere. The Line argumentiert, dass es keine guten Entscheidungen gibt, wenn dabei Personen sterben müssen.

Dass die Feinde nun amerikanische Soldaten und keine fremdsprachigen Rebellen sind, verweigert dem Spieler die Entmenschlichung seiner Gegner und gibt zusätzlich zu denken, was die Aufgabe des Delta-Squads überhaupt sein soll, wenn dabei eigene Landsleute zu Tode kommen. Adams erkennt: „They were soldiers. Our own guys.“ Wen will man in Dubai retten?

Die Ausführung der Entscheidungen ist zudem stets spiellogisch eingebunden. Es wird nicht auf abstrakte Weise zwischen Knopf A oder B, links oder rechts gewählt, sondern so wie der Spieler anfangs das Schießen gelernt hat, muss er als Walker entweder anvisieren und selbst abdrücken oder die Waffe senken. Dabei wird nicht pausiert, sodass auch ein zu langes Zögern zur Entscheidung wird. Auf diese Weise ist der Spieler noch einmal aktiver in den Entscheidungsprozess einbezogen.

Im siebten Kapitel sieht sich Delta mit einer gegenteiligen Situation konfrontiert. Nun wird ein CIA-Agent, Gould, von den 33rd gefoltert, um Lageinformationen preiszugeben. Zwei zuvor gefolterte Zivilisten werden abgeschleppt. Lugo will Gould retten, Adams argumentiert, sie sollten sich aufs Befreien der Zivilisten konzentrieren. Der Spieler trifft die Entscheidung, indem er entweder Adams folgt und an Goulds Peinigern vorbeischlecht oder indem er bei Lugo bleibt und das Feuer eröffnet. Letzteres führt zu einem großflächigen Gefecht, bei dem Delta zahlreiche anstürmende 33rd-Amerikaner erschießen muss. Am Ende stirbt Gould trotzdem an seinen Wunden. Folgt der Spieler hingegen Adams, muss er langsam an der Szene vorbeischleichen und wird im Hintergrund Zeuge der qualvollen Folterschreie. Das Spiel gibt jedoch noch bis zu einem gewissen Punkt die Möglichkeit umzudrehen und Gould zu retten. Es ist wieder keine abstrakte A-B-Entscheidung, sondern eine aus Spielsicht natürlich ablaufende Situation, in der der Spieler konsequent für seine Handlung einstehen muss.

Die Stealth-Sektion endet dann mit dem Belauschen zweier Soldaten, die diskutieren, wer von ihnen die Zivilisten exekutieren soll. Keiner von beiden will es tun. Sie wollen per Münzwurf entscheiden, doch sie haben keine Münze. Der Spieler kann jederzeit eingreifen, die beiden erschießen und somit die Zivilisten retten. Durch die Vermenschlichung der Soldaten, kann aber auch diese Entscheidung nicht als „gute“ oder „richtige“ Entscheidung gewertet werden. Zudem macht der Dialog der beiden darauf aufmerksam, wie schwerwiegend Entscheidungen in solchen Situationen sind. Einzig und allein der Spieler hat noch die (extradiegetische) Wahl, sich gar nicht erst in diese Situationen zu begeben, indem er das Spielen verweigert und The Line beendet.

Versandete Moral

Um ihre Suche nach Colonel Konrad fortzusetzen, muss Delta im achten Kapitel einen großen Platz überqueren, auf dem 33rd-Soldaten ihr Lager aufgeschlagen haben. Von einem Balkon überblickt der Spieler mehrere Militärzelte und Humvees; Scharfschützen und Gefechtstürme stehen bereit. Lugo bemerkt einen nebenstehenden Mörser, mit dem sich das Lager aus der Sicherheit der Anhöhe bombardieren ließe, doch Lugo protestiert, dass es sich dabei um Phosphorbomben handle. Im vierten Kapitel wurde deren Effekt von den Gegnern demonstriert: Getroffene Körper zerschmelzen unaufhaltsam, während die Opfer unter Todesschreien verenden. Für den Spieler gibt es keine Möglichkeit, den Mörser nicht nutzen. Der Balkon ist abgesperrt, man kann nicht ins Feindeslager laufen. Schießt man auf die Feinde am Boden mit Gewehren, wird man in Sekundenschnelle von Scharfschützen unschädlich gemacht. Das Spiel lässt einem keine Wahl und die Entscheidungssituationen zuvor haben den Spieler gelehrt, dass eine Wahl ohnehin unbedeutend wäre, weil so oder so Leid verursacht wird. Es wird resignierte Ergebenheit erwartet. Lugo beharrt: „There’s always a choice!“ Für den Spieler mag dies ein Zeichen sein, das Spiel zu beenden, doch für Walker gibt es keine Wahl: „No, there’s really not“. Keogh erweitert seine post-Bioshock-Erkenntnis: „The Line doesn’t really want players to stop playing at this point. It simply wants us to accept responsibility for the situations we allow ourselves to be in.”

Um den Mörser zu steuern, muss Walker die Eingaben an einem Monitor durchführen. Als er sich davor setzt, schaltet das Spiel in seine Ego-Perspektive und man sieht den Monitor wie Walker ihn sieht. Wenn man ein Videospiel spielt, findet sonst immer eine Abstraktion statt. Man verkörpert nicht sich selbst, sondern erlebt es aus der Rolle eines Anderen. In einem Shooter schießt man auf virtuelle Menschen, die nur im Spiel existieren. Für Walker findet nun ebendiese Abstraktion statt. Das, worauf er in dieser Szene zielt, sind weiße Umrisse von Menschen auf einem Bildschirm, was den grauenvollen Einsatz der Phosphorbomben für ihn verkraftbar macht. Dem Spieler hingegen wird eine Abstraktionsebene genommen: Er sieht nun exakt das, was Walker sieht. Das Bildschirm-Interface ist für Walker und den Spieler aufgrund des Monitors dasselbe. Es gibt keinen Unterschied mehr, beispielsweise zu einem realen Hubschrauber-Piloten, der durch sein Display auf Feinde feuert. Dem Spieler wird die Distanz genommen und man erfährt in dem Moment Mitschuld durch völlige Immersion.

Nach dem Angriff marschiert Delta unter Entsetzen durch das angerichtete Unheil. Am Ende des Platzes wird man damit konfrontiert, ein Flüchtlingslager angegriffen zu haben, das eigentlich von den 33rd beschützt wurde. Dutzende verkohlte Unschuldige blicken einen an. Insbesondere das Bild einer verbrannten Mutter mit Kind wird Walker im Gedächtnis bleiben. Um nicht psychisch zusammen zu brechen, redet sich Walker ein, er sei reingelegt worden und müsse sich nun für diese Szene rächen. Die Soldaten, denen Delta als nächstes begegnet, rufen ihnen „Murderers!“ entgegen und eröffnen das Feuer. Delta erwidert mit Schüssen, getroffene Gegner werden nun mit „Got the fucker!“ oder „And stay down!“ verhöhnt. Die Exekutionen sind auch deutlich brutaler geworden und das Kämpfen ist von Emotionen geprägt. Über Funk schaltet sich jetzt regelmäßig der Radioman ein, der mit den 33rd zusammenarbeitet und Delta immer wieder auf ihre Gräueltaten hinweist. „Is that burnt baby I smell?“, ruft besonderen Unmut hervor.

Feel like a hero yet?

Der Radioman bricht auch mehrfach die vierte Wand, zum Beispiel als er nach einem „Fuck you!“ von Walker mit: „Whoa! Language! After all, this is an E-rated program. For EVERYBODY’S THIRSTY”, antwortet, somit den Spieler an Alterseinstufungen von Videospielen erinnert und die Videospielhaftigkeit ins Gedächtnis ruft. Im zwölften Kapitel wird er noch direkter, als er fragt: „Where’s all this violence coming from? Is it the video games? I bet it’s the video games.“ Dabei hat er sogar Recht, weil in diesem Fall „this violence“ tatsächlich nur aus einem Videospielshooter kommt. Ob Gewalt in realen militärischen Konflikten aus Videospielen kommt, ist hingegen fraglich. So wie der Radioman die Deltas mokiert, haben die Interfaceeinblendungen ebenfalls ihre Arten, den Spieler zu provozieren. So sind die Beschreibungen der Objectives aufs höhnischste reduziert. Es heißt nicht „Reach the water supply“, sondern einfach nur noch „Keep moving“. An anderer Stelle wird das Objective „Obey“ ironisch grün abgehakt. Mal heißt es nur „Survive“ oder in sarkastischer Doppeldeutigkeit „Press forward“, was zwar auch Vorrücken bedeutet, aber genauso gut nur die zu bedienende Taste beschreibt. Es unterstreicht einmal mehr, dass Delta kein festes Ziel hat, das sie in Dubai verfolgen, sondern lediglich von einer Situation zur nächsten stolpern und Unheil anrichten. Der Spieler sieht sich stets der Frage ausgesetzt, wieso er sich beteiligt. Expliziter werden die Hinweise des Ladebildschirms, je weiter das Spiel voranschreitet. Im 13. Kapitel fragt das Spiel: “Do you feel like a hero yet?” Genießt du noch die Machtfantasie, macht es dir Spaß, virtuelle Menschen zu töten? „Can you even remember why you came here?“

Die Frage, ob man sich wie ein Held fühle, wiederholt Colonel Konrad im letzten Kapitel des Spiels gegenüber Walker. Am Ende des Spiels hat er alle Hindernisse beseitigt, seine Kameraden verloren und Konrad gefunden, der nun in seinem Appartement vor einem Gemälde des Phosphorangriffs steht und Walker seine Gräueltaten aufzählt. 47 Zivilisten seien wegen Walker gestorben und jemand müsse dafür bezahlen. Jemand müsse Verantwortung übernehmen. Als Walker auf den Balkon hinaus tritt, sieht er in einem Stuhl Konrads Leiche. Das Endziel, Konrads Rettung als Rechtfertigung aller Geschehnisse, war nichts als eine Einbildung Walkers. Zwischen Flashbacks, die Walkers Entscheidungen der vergangenen Tage wiederholen, resümiert Walkers Halluzination von Konrad: „The truth is, Walker, you are here because you wanted to feel like something you’re not: a hero“. Er gibt somit auch eine Erklärung ab, wieso der Spieler Shooter spielt. Man wolle sich wie ein Held fühlen. Dabei verurteilt er zu keiner Zeit Walker oder den Spieler. Stattdessen versucht das Spiel zu reflektieren, was das Morden den Opfern und den Protagonisten antut – wie sie langsam am psychischen Stress zu Grunde gehen. Keogh schlussfolgert: „[The Line] is simply trying to make us acknowledge our own complicity and responsibility when we choose to play [military shooters]. What that ‘enjoyment’ entails is a hard trugh we often avoid.”

Zum Schluss steht Konrad mit vorgehaltener Waffe vor einem spiegelnden Fenster. Der Spieler muss letztlich entscheiden, ob er Konrad erschießen will, ob er Walkers Spiegelung und somit sich selbst erschießt oder ob er Walker von Konrad erschießen lässt. Wie er sich auch entscheidet, wählt er Mord. Bei Selbstmord verschwindet die Halluzination, Walker akzeptiert seine Taten, sieht ein, dass er ein Monster geworden ist, kann damit aber nicht weiterleben und tötet mit sich den letzten Bösewicht. Damit endet das Spiel. Beschließt der Spieler hingegen, Konrad zu erschießen, spricht Konrad noch: „It takes a strong man to deny what’s right in front of him“, bevor er stirbt. Walker und der Spieler haben ihre Schuld noch nicht eingestanden. Es folgt eine letzte Sequenz, in der neues US-Militär in Dubai ankommt. Walker trägt nun Konrads Jacke und wartet mit einer automatischen Schrotflinte auf der Straße. Die letzte Entscheidung besteht daraus, ob er seine Waffe niederlegt und abtransportiert wird, ob er anfängt zu schießen, sich dabei aber töten lässt, oder ob er alle Ankömmlinge ausschaltet. Bei Letzterem spricht Walker noch ein unbelehrtes „Welcome to Dubai“.

Fazit

Far Cry 3 und Spec Ops: The Line schaffen es, auf die Machtfantasien des virtuellen Tötens hinzuweisen und sie zu hinterfragen. Far Cry 3 erreicht dies größtenteils durch Übertreibung und Überfluss in einer kunterbunten Inselwelt, in der jeder auf rücksichtsloses Entertainment aus ist. Der Spieler wird erst durch motivierende Mechanik-Schleifen von seinem Hauptziel abgelenkt, bevor durch Dialoge, Kontrastierung und Halluzinationen auf immer mehr Lücken aufmerksam gemacht wird, die ihn an seinem Protagonisten zweifeln lassen. Wenn die Antagonisten so viel Unheil in ihrem Drang nach Entertainment anrichten, was ist dann der Spieler, wenn er nichts außer Entertainment sucht und dafür bereit ist, (virtuell) zu töten? Am Ende gibt einem das Spiel die Möglichkeit zu entscheiden, was für ein Spielertyp man im Zuge dieser offen gelegten Dissonanz sein möchte.

Spec Ops: The Line teilt sich das Thema, geht aber einen beinahe gegensätzlichen Weg. Wo Far Cry 3 offen und verlockend ist, ist The Line beengend und zweckorientiert. Far Cry 3 bietet bis zum Ende keine Möglichkeit der Entscheidung, The Line inkludiert viele Entscheidungen, um hinterher ihre Bedeutungslosigkeit vorzuführen. Im Gegensatz zu Uncharted 2 kann man beiden Spielen keine ludo-narrative Dissonanz vorwerfen, weil sie sich ebendiese Dissonanz explizit zum Thema gemacht haben und sie durch ihre Spielmechaniken und Erzählung offen ergründen.