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Der ursprüngliche Grundgedanke eines Mediums ist es, dem Rezipienten eine Botschaft zu übermitteln. Diese Annahme beruht auf dem berühmten Zitat von Marshall McLuhan: „The medium is the massage!“ Je nach Botschaft gelingt es dem einen Autor manchmal besser als dem anderen. Interaktive Medien, insbesondere natürlich Videospiele, haben mit der Zeit eine nicht lineare Art der Narration entwickelt, die so im klassischem Theater oder Film nicht möglich wäre, da der Spieler frei entscheiden kann, in welcher Reihenfolge er die Geschichte rezipieren will. Diese Freiheit des Spielers führt allerdings oft zu Abstrusitäten, welche negative Auswirkungen auf das Spielerlebnis haben können.

Narrationsstrukturen in Videospielen

Um diese Nebeneffekte zu untersuchen, muss zuerst erläutert werden, welche Arten von Narration es überhaupt in Spielen gibt. Nach Henry Jenkins (einem bekannten Medienwissenschaftler aus den USA) gibt es vier spezialisierte Narrationstheorien. Ich werde diese Erzähltypen jetzt allerdings nicht im Detail erklären, sondern nur kurz in Stichpunkten wiedergeben:

1. Environmental storytelling: Umgebung und Raum des Spiels werden effektiv mit der Narration verwoben.

2. Evocative storytelling: Das Hervorrufen von Gedanken im Kopf des Spielers. Assoziationen werden als Leitmittel verwendet.

3. Emergent storytelling: Keine vorgefertige Geschichte des Autors. Der Spieler schafft sich seine eigene Story durch das Spielen selbst. (z.B. Die Sims, Minecraft)

4. Embedded storytelling: Eingebettet in die Narration. Brotkrumen werden dem Spieler hinterlassen. Der Spieler konsumiert eher kreuz und quer anstatt linear.

Open-World-Spiele sind deshalb so erfolgreich, weil sie aus all diesen Arten etwas verwenden und damit extrem langen Spielspaß hervorrufen. Nahezu jeder Spielertyp wird so angesprochen. Beispiele hierfür wären die Assassins Creed-Reihe, Mordors Schatten oder Grand Theft Auto.

Simulierte Spielerfreiheit

In den letzten Jahren wurde das „Missionsprinzip“ in der Spielergemeinde sehr beliebt, welches auch in diesen Titeln verwendet wird. Der Spieler hat hier die Möglichkeit, den Handlungsstrang zu unterbrechen und selbst zu entscheiden, wann er diesen fortsetzt. Dadurch wird dem Spieler ein Gefühl von Freiheit und Selbstständigkeit vorgetäuscht. Diese Freiheit ist der Grund, warum der Spieler in der Lage ist, die Story bzw. die Spielwelt bewusst oder unbewusst zu zerstören. Das ist auf drei unterschiedliche Arten möglich: 1. Die Zerstörung der Spielwelt 2. Das Töten des eigenen Charakters 3. Das Auflösen der Handlung.

Unabhängig davon, ob es sich hierbei nur um Glitches handelt, welche vom Spieler ausgenutzt werden, oder um schlichtes Fehlverhalten seinerseits, die Narration wird dadurch wesentlich negativ beeinflusst. Entscheidet sich der Spieler in GTA dafür, einer alten Oma über die Straße zu helfen, dann macht das im dramatischen Kontext keinen Sinn. Man spielt ja immerhin einen Gangster und niemanden von der Caritas.

 „Why do I have to give the player verbs, that are completely unrelated to the dramatic context?“ (M. Mateas)

Um dem entgegenzuwirken, verwenden Entwickler Methoden, welche oft den Spielspaß trüben. Spielt man z.B. Superman und entscheidet sich dagegen, ein Kleinkind aus einem brennenden Haus zu retten, dann ist das Spiel sofort zu Ende. GAME OVER! Es ist einem also nicht erlaubt alles zu tun, besonders wenn es den dramatischen Kontext sprengt. In älteren Rollenspielen (z.B. Morrowind) war es möglich, Gegenstände aus dem Inventar zu entfernen oder Personen zu töten, welche für das Weiterkommen in der Geschichte verantwortlich sind. Ein Questgeber, welchen man zehn Spielstunden vorher getötet hatte, tauchte aus heiterem Himmel wieder auf, oder man hatte einen Fehler, welcher den kompletten Spielfluß zerstört. Auch Levelbegrenzungen werden oft so implementiert, dass diese aus der Diegese herausstechen und somit einen Bruch beim Spielfluß erzeugen.

Symbiose von Entwickler und Spieler

Woher kommt der Drang nach maximaler Freiheit, wenn es ohnehin nicht richtig funktioniert und diese nur eine utopische Vorstellung ist?  Die Annahme, dass maximale Entscheidungsfreiheit von Vorteil ist, ist nicht nur unrealistisch, sondern auch vollkommen unnötig. An heutige Entwickler werden unmögliche Erwartungen gestellt. Ein Gamedesigner ist nicht allein für eine positive Spielerfahrung zuständig, sondern auch der Spieler selbst. Der Ursprung dieses Gedankenguts hat sich aus anderen Medien, mit einer linearen Erzählung herauskristallisiert. Es ist vollkommen logisch, dass man nach einem schlechten Buch oder Film, den Autor des Werkes die Schuld zuweist, da dieser allein für die Umsetzung zuständig ist. In Videospielen ist der Rezipient aber ein Teil der Umsetzung selbst. Nach der Logik eines Spielers, muss der Designer des Spiels garantieren, dass JEDER Spieler eine gut durchdachte Geschichte vorgelegt bekommt, unabhängig davon, was der Spieler tut. So etwas zu verlangen ist utopisch, da man als Entwickler nicht erahnen kann, was der Spieler wirklich machen wird. Dieses Phänomen erkennt man auch an der sogenannten Metaebene, die sich hauptsächlich in Multiplayerspielen nach einiger Zeit herauskristallisiert. Natürlich möchte ich schlechtes Gamedesign nicht entschuldigen und alles auf den Spieler schieben, aber gönnen wir den Entwicklern doch einmal eine Verschnaufspause. Manche Probleme lassen sich ganz einfach mit bewussterem Spielen lösen, anstatt die Schuld immer auf andere zu schieben. Eine Lösung des Problems: automatisiertes storytelling! Der heilige Gral jedes Gamedesigners, bei dem die Story und das Gameplay perfekt harmonieren und responsiv auf die Interaktionen des Spieler eingehen. Ich bezweifle jedoch, dass es dazu jemals kommen wird. Wir Gamer sollten uns eher realistischere Erwartungen setzen und allgemein bewusster Spiele konsumieren, anstatt nach der Bundeslade zu suchen.