Kölner Messegelände. Entertainment Area am Besuchertag. Reizüberflutung. Der Bass ist lauter und störender als in jeder Dorfdisko mit nicht vorhandener Akustik. Die Quellen sind die Stände der großen Spielefirmen in der Mitte der Halle – EA Games, Ubisoft oder Sony versuchen, sich so auffällig wie möglich zu präsentieren und den Konkurrenten unwichtiger erscheinen zu lassen. Die Spiele selbst werden auf den großen Leinwänden gezeigt, spielbar sind sie nur im abgetrennten Innenbereich vor dem Schlangen stehen, in denen man gut den halben Tag verbringen kann. Der Lohn ist eine fünfminütige, abgespeckte Version des bald erscheinenden, so heiß ersehnten Titels. Aber sind die neuen Resident Evil, Lost Planet, Need for Speed oder Dead Space die Torturen wert?

Nein – wenn man nicht ein Fan des Vorgängers war. Aber auch dann ist es fraglich, ob der Nachfolger die Marke sinnvoll weiterführt und das Spielprinzip zufriedenstellend weiterentwickelt. Nun sind wir an dem entscheidenden Punkt des Artikels angekommen: AAA-Titel gleichen sich immer mehr an! Dead Space 3 sieht aus wie Lost Planet, Tomb Raider wie Uncharted, Resident Evil 6 wird zur 08/15- Ballerei und sowieso spielt sich jedes Actionspiel wie Gears of War. Zu all der Gameplay-Angleichung heißt das neue Burnout nun jetzt Need for Speed.

Hier herrscht Erklärungsbedarf. Dead Space war bekannt und wurde berühmt durch seine Konzentration auf Horror. Dunkle Passagen wechseln sich ab mit Schrecksituationen. Die Stimmung saugt den Spieler förmlich in den Anzug von Isaac Clarke – eine einzigartige Spielerfahrung. Der große Negativpunkt aus der Sicht des Publishers: Der Otto-Normal-Spieler wird davon abgeschreckt. Also wird der Horror herausgenommen und noch zusätzlich ein Zwei-Spieler-Modus eingebaut. Zu guter Letzt spielt das geschehen im Trailer auch noch auf einem Eisplaneten – hat auch gut bei Lost Planet funktioniert, oder? Tomb Raider besteht schon seit Playstation 1-Zeiten und machte als erstes Spiel durch einen weiblichen Hauptcharakter auf sich aufmerksam. Die zuletzt schlechten Verkaufszahlen forderten einen Umbruch, also wird einfach vom direkten Konkurrenten Uncharted abgeschaut und nachgemacht. Kino-reifere Präsentation mit stärkerer Fokussierung auf den Hauptcharakter – prinzipiell keine schlechte Sache­­­, wenn doch der spielerische Anteil dadurch nicht abnehmen würde. Auf Resident Evil 6 lassen sich beide Entwicklungen anwenden. Weniger Horror und mehr Action. Wer ein vergleichbares Spiel des Genres gespielt hat, wird sofort wissen was er zu tun hat, welche Tasten er drücken muss und wann er das Gamepad weglegen kann, wenn er mit einer Action-Sequenz belohnt wird. Wieso Criterion nun aber ihr neues Burnout „Need for Speed“ nennen muss, kann ich auch nicht erklären. Wahrscheinlich war es für EA unauffälliger und leichter, den Namen zu ändern als zu kopieren.

Die Angleichung der AAA-Titel ist besorgniserregend und wäre fatal, hätte der Independent-Markt in den letzten Jahren nicht so einen hohen Stellenwert in der Szene eingenommen. Hier findet man spielerische Innovation – auch deshalb, weil die finanziellen Mittel für bahnbrechende Grafik und Präsentation ganz einfach fehlen. Hinzu kommt, dass es oft nur einen oder zwei Entwickler gibt. Daher entstehen oft sogenannte „Autorenspiele“, weil die Persönlichkeiten und Eigenheiten der Person selbst mit einfließen. Da kein Publisher Vorschriften macht, folglich die Absatzzahlen nicht im Fokus der Produktion liegen, können im Gameplay neue Mechanismen ausprobiert werden. Auf der Gamescom waren Titel wie Tink, Awesomenauts oder DayZ vertreten, die allesamt durch das Fehlen langer Warteschlangen auffielen. Nahm man das Pad in die Hand, wurde man auch nicht durch lange Zwischensequenzen auf die Folter gespannt, sondern man konnte sofort loslegen – mit dem Spielen – ein Aspekt der bei einem Spiel das wichtigste sein sollte. Überall wurde zu gewissem Grad experimentiert. In Tiny & Big, einem deutschen Spiel, kann beispielsweise oft die ganze Spielwelt zerschnitten werden – mit allen Konsequenzen. Eine solche Kompromisslosigkeit wäre in einem Massenprodukt unvorstellbar.

DayZ setzt noch einen drauf und verzichtet ganz auf Grenzen, Regeln und sogar Ziele. Das als Modifikation von Arma 2 entwickelte Spiel wird jetzt als eigenständiger Titel herausgebracht und setzt den Spieler an einer Inselküste aus. Im Rucksack befinden sich eine Taschenlampe und Bandagen, eine Karte oder eine Missionsbeschreibung sucht man vergebens. Das einzige Ziel wird schnell klar, wenn man auf die Zombies trifft: Überleben. So eine freie Spielgestaltung wäre ebenfalls undenkbar bei einem Assassin’s Creed, das den Spieler an die Hand nimmt und zur nächsten Aufgabe führt (am besten noch mit einer 20-minütigen Zwischensequenz).

Die großen Titel sind also nicht innovativ? Abgesehen von mehr Bildschirmen auf jeden Fall in der weltweiten Vernetzung der Spieler – ebenfalls nur möglich mit riesigem Budget. Es soll hier nicht alles schlecht geredet werden, natürlich kann man nicht verallgemeinern. Ein Dishonored oder ZombiU bilden die Ausnahme und zeigen, dass auch Produkte für die Masse innovativ sein können. Aber wenn man als Kenner der Szene und leidenschaftlicher Zocker von einem Spiel überrascht werden will, dann sollte man sich mal im Indie-Bereich umsehen, bevor für das neue Gears of Lost Space 50 Euro hingelegt werden.