Fassen wir die Ereignisse der letzten Tage noch einmal kurz zusammen:

Der erfolgreiche Youtuber Simon Unge beschließt seine beiden Hauptkanäle „Ungespielt“ (Lets Play-Videos) und „Ungefilmt“ (Video-Tagebuch à la :“Wir coolen Youtuber mit schrägen Mützen filmen uns, wie wir wildlifemässig durch Deutschland fahren und schlafen abends trotzdem in Hotels“) dichtzumachen. Nein er will nicht mit Youtube aufhören. Millionen Teenies atmen deutschlandweit vor ihren Bildschirmen auf. Sein Content soll nur auf einem anderem Kanal laufen. Der Grund: Er will weg von Mediakraft. Die Firma Mediakraftwir berichteten bereits über Mediakraft– bietet erfolgreichen Youtubern Partnerverträge an, damit diese noch erfolgreicher werden. Die Youtuber im Netzwerk werden von Mediakraft promotet, dürfen in Köln auf den „Videodays“ auftreten und die Longboards von 12-Jährigen signieren. Sollte es in einem Video mal mit Coyprights ein rechtliches Problem geben – Mediakraft hilft. Soweit die Theorie. Klingt natürlich super, wenn man aufstrebender, 17-jähriger Youtuber mit einem eigenem Longboard ist. Man spielt mit den großen Jungs. Groß ist Mediakraft jedoch nur durch erfolgreiche Youtuber, die mittlerweile aber Stück für Stück abwandern. LeFloid tat dies bereits im Oktober. Allerdings etwas bedachter als Simon Unge. Der Vertrag läuft geregelt aus. Unge hat mit seiner Aktion eine Notbremse gezogen, indem er wie kein anderer Youtuber das Netzwerk Mediakraft direkt angegriffen hat.

Seit seiner Aktion und seinem Video wird Unge von der Youtube-Internet-Welt frenetisch gefeiert. Sein Hashtag #Freiheit ist über einen Tag in den Top Trendings bei Twitter. Tausende Teenies disliken Videos von Christoph Krachten. Revolution! Szenegrößen wie Gronkh geben virtuelle High-Fives. Es weht ein Hauch von Freiheit durch das Internet. Fast so wie beim Longboardfahren durch Deutschland.

Gronk_Faust

Doch ist das alles wirklich so einfach? Lösen wir das abstruse Puzzle von Anschuldigen und Firmen mal der Reihe nach auf:

Mediakraft

Da wären zum einen die in Köln ansässige Firma Mediakraft. Bekannte Anteilseigner unter anderem Christoph Krachten, (Gründungsmitglied und selbst aktiver Youtuber, vorallem bekannt aus Clixoom, dessen Kanal in der Vergangenheit vor allem mit reißerischen Titeln sowie Interviews mit bekannten deutschen Rappern massig Klicks zog) und Philipp Laude (Phil von Y-Titty). Mediakraft vermarktet große Youtuber und will einzelne Youtuber, die bei ihnen unter Vertrag stehen, groß machen. Nicht etwa aus Nächstenliebe und weil morgen Weihnachten ist, sondern aus klar ökonomischen Gründen. Klicks bringen Werbeeinnahmen, der Vertrgspartner (der Youtuber) gibt die Hälfte an Mediakraft ab. Es ist also nicht verwunderlich, dass Mediakraft auf ihrer Internetpräsenz fast schon etwas zu offensichtlich damit prahlt, welcher „ihrer“ Youtuber gerade einen neuen Meilenstein hinsichtlich der Abonnenten-Zahlen hingelegt hat. Ist aber nicht weiter tragisch. Die wollen schließlich mit Youtube Geld verdienen. Das Problem von Mediakraft: Sie sind abhängig von bekannten Youtubern. Die Namen bringen Sponsoren und Klicks. Denn auch, wenn gerade Leute wie ich über viele Videos nur lächeln können, und vieles Content-mässig der letzte Blödsinn ist (ich schrieb bereits darüber) ziehen die Jungs (und Mädels) Abonnenten und Zuschauer ohne Ende. Unge hatte bis heute noch kein Video auf seinem Kanal hochgeladen und bereits 400.000 neue/alte Abonnenten. Davon kann der Social Media-Beauftrage von der ARD  nur träumen.

Die Youtuber

Jetzt wird es interessant: Wie bereits geschrieben gaben viele bekannte Youtuber (Gronk, LeFloid, Dner) ihre virtuellen High-Fives heraus an Unge. Natürlich nicht alle. Warum sollte auch jemand wie Phil von Y-Titty oder ein OG und TC von Y-Titty sagen: Hey Unge, toller Move. Phil hält zwar Anteile an der Firma, die du gerade als „Scheißhaufen“ betitelt hast, aber super Sache, dass du deine Meinung ganz Deutschland und Millionen Abonnenten preisgibst.“

Nein. Die Jungs sind sauer, wie auch der folgende Screenshot aus einer internen Mediakraft-Gruppe beweist:

inttern

Die Echtheit dieses Dokuments bestätigte übrigens OG später auf Twitter mit diesem Tweet an Unge:

B5Z7sttCYAINL6f

Es brennt etwas in Youtube-Deutschland. Und jetzt haben wir ein Problem: Die Youtuber, die bei Mediakraft sind, stehen vor der schweren Aufgabe, Unge (der von der Youtube-Community für seine Aktion als Held gefeiert wird) NICHT öffentlich für seine Aktion herunterzuputzen, weil sich der Hate der Community dann auf ihre eigenen Kanäle überträgt. Sie müssen also den Schein einer „Alles ist cool bei uns coolen Kids mit den Longboardern“– Mentalität bewahren, anderseits müssen sie immer noch zu Mediakraft halten. Schwierig für Konfliktscheue 18-Jährige, die Videos von sich aufnehmen, wie sie Telefonscherze machen.  Ein sperriger, formulierter Tweet von den unglaublich untalentierten DieLochis beweist es:

lochis

Da hat es LeFloid schon einfacher: In seinem neuen Video spricht er das Thema kurz an, gibt die obligatorische Bro-Fist, sagt aber auch gleichzeitig, er stehe ja selber noch mit Mediakraft im Vertrag und kann da nicht mehr viel zu sagen. Jedem das seine. Die „ach so tolle loyale“ Youtuber-Community: Erstmalig gespalten. Die Youtuber selbst dagegen: Geschlossen hinter Unge. Und die Teenager wissen nicht mehr, ob sie den süßen Dner jetzt entliken sollen, weil er ja auch bei Mediakraft ist oder nicht. Ein Stück Konflikt in einer konfliktscheuen Youtube-Welt.

Die Medien

Fast jede große Online-Zeitung hat über den Streit berichtet. Das ist einmalig. Auf einmal wird Youtube als Format und Fernsehalternative ernst genommen. Gut, schon vorher war wenigstens Brainpool TV so klug und hat Dner zur Stock Car Crash Challenge eingeladen, um dem Quotensterben durch „coole Internetstars“ entgegenzuwirken. Aber auch das war nur eine Randerscheinung. Youtube wird oft immer noch ignoriert, weil es nicht relevant ist. Scheinbar. Die Inhalte und Comedy-Formate sind oft zugeschnitten auf eine bestimmte Zielgruppe. Gehört man dieser nicht an, findet man das Video nicht lustig, sondern einfach nur langweilig und viel zu hektisch geschnitten. Und bei den Lets Plays steige ich auch nicht mehr durch und finde es auch null unterhaltsam. Das ganze ist eine Generationen- und Interessens-Frage. Wie aber bereits geschrieben: Die Youtuber haben Follower und somit potentielle Zuschauer. Und das wollen die Sender auch. Deshalb beschäftigen sie sich mit Youtube und drängeln sich ins Digitale. Das Neomagazin macht das hervorragend, indem sie Contentmässig interessante Inhalte analog sowie online anbieten und als einziges deutsches Fernsehformat Twitter verstanden haben (Verdammt, jetzt hab ich die schon wieder positiv erwähnt).

Lieber Unge: Willkomen in der Wirklichkeit

Bei allen #Freiheit „Toll das du das machst“ „Du schaffst das“-Bekundungen von zumeist jüngeren Youtube-Guckern: (die diesen Text eh nicht bis hierhin gelesen haben, weil er zulange ist, weswegen ich sie jetzt auch etwas dissen darf): Willkommen in der Wirklichkeit! Die genauen Vertragsbedingungen kennen nur interne. Wie es aber bisher aussieht hat ungespielt mit dem Einstellen seines Contents auf seine von Mediakraft betreuten Kanäle einen Vertragsbruch begangen. Auch wenn es für ihn der letzte Ausweg gewesen ist, war dies sicherlich reichlich unklug aber immerhin sehr medienwirksam. Mediakraft ist der Buhmann, Ungespielt der Internetheld. Trotzdem: Wie es bisher aussieht, ist es ein Vertragsbruch. Liebe Youtuber: Mediakraft geht es um Klicks und Geld und nicht um coole Longboard-Touren von euch.

Eine kleine Ankedote: Im Jahr 2012, kurz bevor ich nach Bayreuth zog, wurde ich von OG, JA DEM OG von Y-Titty OMG ITS AMAZING nach einem Poetry Slam in Köln gefragt, ob ich nicht mal für sie schreiben wolle. Ich wusste zwar, dass ich wegziehe, wollte mir das ganze aber mal angucken. Es ging damals um die Entwicklung des Formats Ponk. Ich saß also da mit Phil, JA DEM PHIL VON Y-TITTY, OMG ICH GLAUB ICH MUSS DAS FILMEN, sowie zwei anderen Autoren, irgendeinem Kreativhempel von Mediakraft in einem Gebäude in Köln, das mit kreativen Sprüchen aus Filmen tapeziert war („Willkommen in der Wüste der Wirklichkeit“ – Matrix) und wir pitchten Ideen für „Wahnsinns- Werbung“ ein Format von Y-Titty. Und natürlich ging es nur um Klicks. Die Jungs machen das professionell. Die wollen mit ihren Videos nicht die Welt verändern. Da wurde nicht gesagt: „Die Idee finde ich am tollsten“, sondern  gefragt: „Versteht unsere Zielgruppe diesen Witz? Wie verpacken wir das für die?“ Ja die haben ein paar Autoren im Team. Ja, die wollen Klicks. Das sollte man gerade als Youtuber verstehen. Phil hat das verstanden. Er hält ja auch Anteile an der Firma. Diesem Sachverhalt, dass Mediakraft immer noch eine Firma ist (erwähnte ich das bereits?) sollte man sich bewusst sein, wenn man einen Vertrag mit ihnen unterschreibt. Und genau das ist das Problem vieler Youtuber: Sie sind jung, halbwegs erfolgreich und woll(t)en unbedingt in ein Netzwerk, um noch mehr User zu erreichen und überlesen oft das Kleingedruckte im Vertrag. So gesehen: Selber Schuld, lieber Unge. Es bleibt nun abzuwarten, was noch so passieren wird: Mediakraft hat mittlerweile auch ein Statement abgegeben, indem sie mitteilen, sie werden gerichtlich gegen Unge vorgehen, weil sie es müssen. Das war anzunehmen. Halten wir fest:

Hinter einer glitzernden konfliktfreien Youtube-Welt in der alle in WGs wohnen, Sketche machen und miteinander LetsPlays aufnehmen steht eine große Industrie, die Geld verdient. Mediakraft ist nur ein Teil davon und hat jetzt gerade etwas Pech gehabt, weil Millionen Teenager sie verteufeln.Vielleicht werden durch Unges Statement einigen jungen Youtube-Zuschauen nun etwas die Augen geöffnet, dass es der Erwachsenenwelt vorrangig um Klicks und Geld geht. Oder sie werden einfach Mediakraft „total scheiße“ und Unge „total supi“ finden und sich selber beim Longboard fahren filmen. Letzteres ist jedoch wahrscheinlicher.