Es war der Sprung ins kalte Wasser. Ein spontanes Abenteuer. Ohne größere Vorbereitung studierte ich im vergangenen Semester Medienwissenschaft im südkoreanischen Gwangju – ein unberührter Ort, der sogar von den Koreanern als „Dorf“ bezeichnet wird, obwohl dort weit über eine Millionen Menschen leben. Wenn man in Gwangju als Ausländer durch die Straßen geht, noch dazu als zwei Meter großer Ausländer, dann stolpern die Leute über ihre eigenen Füße oder weichen gar zurück. Dort hält man noch stark an die hunderte Jahre alten Traditionen und Wertvorstellungen fest, doch wenn man das Radio einschaltet, erklingt „Gentleman“ oder der „Gangnam Style“. Die südkoreanische Medienwelt wird fast ausschließlich von der aufstrebenden Metropole Seoul bestimmt, die inzwischen über 25 Millionen Einwohner zählt und sich weitaus schneller entwickelt als die Provinzstädte. Die Menschen in Gwangju haben sich mittlerweile an den gewaltigen Kontrast zwischen ihrer traditionellen Lebensweise und der modernen Medienwelt gewöhnt. Mich traf es aber direkt doppelt: Nach dem ersten Kulturschock in Gwangju wartete schon der zweite auf mich, sobald ich den Fernseher einschaltete. Das koreanische TV war ein Fenster in eine völlig andere Welt. Vielleicht auch ein Blick in die Zukunft?

Koreanische Soaps wie „Secret Garden“ (siehe Werbeplakat links) werden auch bei uns langsam populärer. Ihr Erfolgsrezept: Romantik und Herzschmerz im Überfluss, kindlicher Humor, attraktive und perfekt gestylte Darsteller und der Einsatz hochmoderner Technologie. Die Soaps sind außerdem, anders als in Europa, mit 16 bis 20 Folgen nur sehr kurz. In anderen asiatischen Ländern wie China und den Philippinen könnte sich mittlerweile kaum ein Hauptdarsteller mehr frei bewegen, ohne von einer Horde Teenager belagert zu werden.

Parallelen zu Hollywood sind an jeder Ecke erkennbar, natürlich mit gewissen kulturellen Unterschieden. Leidet ein Mädchen etwa an Liebeskummer, isst sie nicht Eiskrem aus dem Eimer, sondern chinesische Nudeln. Ein aufreizendes Dekolleté wird man jedoch fast nie zu Gesicht bekommen, denn auch in Seoul gilt das als zu aufreizend. Stattdessen setzt man auf knappe Miniröcke.
Was in einer Soap zu sehen und zu hören ist, das ist angesagt, auch in Gwangju. Besonders Mädchen richten ihre Mode, ihren Musikgeschmack und sogar ihre Smartphone-Apps nach ihrer Lieblings-Soap aus. Es ist daher nichts Besonderes, sogar im tiefsten Winter Studentinnen mit dünner Kleidung und knappen Miniröcken umherlaufen zu sehen, denn in den Soaps schneit es selten.

Das Fernsehen ist sich seiner Stellung als Lifestyle-Ratgeber bewusst und widmet sich daher auch ausgiebig Themen wie Diäten, Mode und Schönheitsoperationen, welche  weit über die Hälfte aller jungen Koreanerinnen über sich ergehen lassen. Die Werbung tut ihr übriges. In recht bizarren TV-Spots wird zusätzlicher Druck aufgebaut und mit Slogans wie: „Jeder außer dir hat es schon getan!“ das kosmetische Kieferbrechen für ein V-förmiges Gesicht beworben.

„Dad! Where are we going?“ heißt das koreanische Pendant zu Dschungel-Camp oder DSDS. Es ist die erfolgreichste Sendung im koreanischen Fernsehen und in den Medien omnipräsent. Das Konzept: Prominente Väter verbringen mit ihren Kindern einen Campingurlaub und müssen dabei im Teamwork bestimmte Aufgaben meistern. In der traditionellen und recht armen koreanischen Gesellschaft vor dem Wirtschaftsboom der 80er hatten die Väter nur sehr wenig Kontakt zu ihren Kindern, da sie für den Broterwerb hart arbeiten mussten. Auch heute ist der Alltag von der Arbeitswelt bestimmt und daher ist das Verhältnis zum Nachwuchs oftmals unterkühlt und distanziert. Die Sendung möchte nach eigener Aussage die Gesellschaft positiv beeinflussen und Werbung machen für eine engere Vater-Kind-Beziehung.

Daneben gibt es im TV auch zahlreiche Fernsehshows, die gewaltige Einschaltquoten erzielen. Dabei werden gerne Ausländer im Umgang mit der koreanischen Kultur gezeigt. Ganz egal, ob es nun Austauschstudenten, Einwanderer oder koreanisch-amerikanische Ehepaare mit Kindern sind – derzeit laufen gut vier Formate mit dieser Thematik, allesamt erfolgreich. Mit anderen Ländern und Kulturen beschäftigen sich die koreanischen Medien jedoch nur rudimentär, das überlässt man lieber der  BBC oder CNN. Die Nachrichten bringen daher fast ausschließlich nationale Meldungen wie zum Beispiel: „Kimchi-Export nach China extrem gestiegen“. Die eingeschränkte Sichtweise ist mit dafür verantwortlich, dass kein großes Interesse an fremden Ländern besteht und Koreaner, die zum Beispiel nach Japan ausgewandert sind, automatisch als Nicht-Koreaner gelten. Ein weiterer Grund ist sicher auch die traumatische Geschichte des Landes, denn Korea hat fast ausschließlich schlechte Erfahrungen mit seinen Nachbarn machen müssen. Dennoch, was die Vermittlung von Wissen über andere Kulturen angeht, ist die koreanische Medienlandschaft noch längst nicht so weit wie bei ihren Aushängeschildern, dem K-Pop und den Soaps.

In Sachen Kulturaustausch glänzt hingegen das deutsche Privatfernsehen: Wenn irgendein Karl-Heinz Krawuttke mit halbem Leberwurstbrot in der Backentasche unverständliche Weisheiten von sich gibt, dann erleben wir alle einen Hauch Korea: Untertitelung der Landessprache. Im Koreanischen werden unzählige Wörter identisch ausgesprochen, jedoch unterschiedlich geschrieben. In den Soaps kann man zwar noch auf Untertitel verzichten, doch je wissenschaftlicher es wird, desto mehr Missverständnisse sind beim bloßen Hören vorprogrammiert. Bei lustigen Formaten bemühen sich die Produzenten, mit Sprechblasen, umherfliegenden Kätzchen und dergleichen die Verschriftlichung aufzupeppen. Was Hollywood-Filme angeht, so setzt man aufgrund der gewaltigen sprachlichen Unterschiede ebenfalls auf Untertitel und verzichtet auf eine Synchronisation. Apropos Filme: Koreanische 4-D-Kinos, die es in jeder größeren Stadt gibt, sind ein besonderes Erlebnis. Ich denke bis heute an „Man of Steel“ zurück, bei dem die Kinosessel hoch in die Luft stiegen, Wasser ins Gesicht spritzte, Gerüche imitiert wurden, Druckwellen von Explosionen und Schüssen die Haare zu Berge stehen ließen und als der Vater von Superman feige von hinten erstochen wurde, da presste sich ein hartes Stahlteil aus dem Sitz in meinen Rücken – viel tiefer kann man den Zuschauer nicht mehr in den Film eintauchen lassen, jedenfalls solange man auf echte Klingen verzichtet. Ganz großes Kino! Koreas Filmindustrie hat in den letzten Jahren zudem einige internationale Erfolge feiern können. Der bekannteste Film dürfte der Thriller „Oldboy“ von 2003 sein, der mit dem Großen Preis der Jury in Cannes ausgezeichnet wurde.

Und wie steht es bei all dem Hightech um die koreanische Presse? Wieder ganz gut. Die Zeitungen hatten eine ähnliche Krise zu bewältigen wie in Deutschland, doch im Land von Samsung sattelte man schnell auf kompakte, kostenpflichtige Smartphone-Apps um, die mittlerweile häufiger gelesen werden als die Print-Ausgaben. Das Smartphone spielt generell eine gigantische Rolle im Leben der Südkoreaner, selbst bei den älteren Herrschaften über 80. Was sich bei uns noch immer in der Entwicklung befindet, sieht man dort voll entfaltet. Fast jeder Koreaner ist mit einem Smartphone im Internet aktiv, schreibt sich mit seinen Freunden bei KakaoTalk und durchsucht das Web nicht etwa mit Google, sondern mit Naver und Daun. Die Apps erweitern die Möglichkeiten zusätzlich und so ist es sogar möglich, sich die Videos der omnipräsenten Kameras anzuschauen. Dann heißt es also nicht nur „Big Brother is wachting you“, sondern zusätzlich „Big Eun-Hee, Su-Jeon and maybe Kim Jong-Un is watching, too“. Es ist in Korea natürlich auch üblich, alle Rechnungen per Smartphone zu bezahlen und die Partnersuche digital abzuwickeln, denn Zeit ist Geld im hektischen Alltag. Wer einmal mit einem Koreaner innerhalb von einer Viertelstunde im Restaurant essen war, der weiß, warum das Smartphone mittlerweile ein fest verwachsenes Körperteil zu sein scheint. Vielleicht sogar ein Organ, denn so mancher würde Arme und Beine geben, um sich nicht von seinem neuen Samsung Galaxy trennen zu müssen, selbstredend mit eingebauter Sprachsteuerung.

Während sich die koreanischen Zeitungen in Richtung Smartphones orientiert haben, konzentrieren sich die Radiosender auf den K-Pop. Es wird so gut wie nie moderiert und auch Nachrichten sind auf den meisten Sendern eine Seltenheit. Viele Koreaner scherzen daher, dass die Radiosender wohl von einem Roboter geleitet werden, der per Zufallsprinzip das nächste Lied auswählt.

Musikalisch und medial interessanter ist das Volkslied „Arirang“, das bei Sportveranstaltungen als gesamtkoreanische Hymne dient. Während ich in Korea war, spitzte sich die Krise zwischen Nord und Süd immer weiter zu. Die Menschen gingen besonders in Seoul auf die Straße und spielten und sangen „Arirang“, um für den Frieden zu demonstrieren. Videos davon verbreiteten sich auf Youtube wie ein Lauffeuer und zeigten deutlich den Willen der Südkoreaner, einen Krieg um jeden Preis zu verhindern.

Bleiben uns noch die Games. Es ist nichts Außergewöhnliches, im Fernsehen eine aufgeregt kommentierte Partie Starcraft zu verfolgen, denn Computerspiele haben sich zu einem echten Volkssport gemausert, der von allen Altersklassen betrieben wird. Das Daddeln ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen und ein willkommener Zeitvertreib nach einem harten Arbeitstag. In Korea genießt daher großes Prestige, wer es auf eine Cyber University schafft, um dort zum Spieleentwickler ausgebildet zu werden.

Mein spontaner Sprung ins Wasser hat sich gelohnt, auch wenn es anfangs tierisch kalt war. Je tiefer ich in die koreanische Medienwelt eingetaucht bin, desto besser habe ich mich zurechtgefunden. Ein leicht mulmiges Gefühl blieb trotzdem. Hier und da gibt es überraschende Gemeinsamkeiten und es werden statt Eiskrem eben chinesische Nudeln verputzt, an anderer Stelle tun sich jedoch gewaltige Unterschiede auf. Koreaner sind offen für jede mediale Innovation, jedoch eher unkritisch und ohne dabei großen Wert auf den Schutz der Privatsphäre zu legen. Inwiefern mein Auslandssemester ein Blick in die Zukunft oder eben nur in eine alternative mediale Gegenwart war, das bleibt abzuwarten.