Jeder Filmfan sucht sie: Die perfekte Kritik, die ihm alles verrät, was er wissen muss. Seien wir ehrlich: Es gibt sie nicht. Es gibt sie allein deshalb nicht, weil Objektivität ein Mythos ist und selbst wenn wir etwas finden, das wir für ideal halten, ist das immer noch eine Frage des persönlichen Geschmacks. Trotzdem hat es irgendwie jeder: sein Ideal. Diesem sehr nahe kommen für mich die Kritiken des Schweizer Filmrezensenten Marco Spiess, dessen Website molodezhnaja.ch eine kaum fassbare Menge an Filmkritiken enthält. Für das „Dispositiv“ gelang mir ein Interview mit ihm, das neben der Charakterisierung des Kritikers auch als Einblick in die Arbeit eines Rezensenten dient.

Das Internet bietet eine Vielzahl an Filmkritikern und solchen, die sich dafür halten. Meist ist es schwierig einen Titel einfach zu googeln und unter zig Angeboten genau das heraus zu picken, das alle Ansprüche deckt – also was ausreichend informiert, eine ungefähre Ahnung von dem vermittelt, was der Film rüberbringen wird und sich – nebenbei – auch angenehm lesen lässt. Wer es sich einfacher machen will, kann z. B. die Website www.molodezhnaja.ch besuchen. Nach dem ABC geordnet scheint sich hier jeder Film zu finden, der je gedreht wurde. Nun ja, das ist natürlich übertrieben, aber es kommt einem so vor. Der Stil schwankt zwischen stark subjektiv und von präzisem Hintergrundwissen geprägt, so oder so ist er unterhaltsam, ob man sich von der manchmal sehr einfach dargelegten Meinung beeinflussen lässt, bleibt jedem selbst überlassen.

In jedem Fall bietet molodezhnaja.ch einen reichen Schatz an Filmen jedes Genres, in Form von Kurzrezensionen oder auch längeren Kritiken kann sich also jeder, der des Weiterklickens mächtig ist, darüber informieren, was man zu welchem Film wissen sollte. Für die Fans bietet die Website darüber hinaus einen ausführlichen Teil über die größten Stars des Bollywood-Himmels sowie ihre neuen und alten Filme. Wer sich darüber austauschen möchte, kann dies im angekoppelten Forum tun. Der Rest kann sich an den Beiträgen zu Hollywood, Japan etc. schadlos halten, die sicherlich den Hauptteil ausmachen.

Erfinder des Ganzen: Der 34jährige Schweizer Rezensent Marco Spiess, der es – nach eigener Aussage – geschafft hat, sein Hobby zum Beruf zu machen und inzwischen für drei Schweizer TV-Magazine als Filmkritiker tätig ist. Trotz eines engen Zeitfensters erklärte er sich bereit dem Dispositiv Rede und Antwort zu stehen und spricht über seine Seite, Film im Allgemeinen und Filmrezensionen im Besonderen, nimmt Stellung zu Hollywood und 3D und erklärt, was gut ist an Bollywood:

Molodezhnaja.ch. Ich bin anfangs ständig über diesen Titel gestolpert. Was bedeutet er?

Molodezhnaja ist benannt nach einer russischen Forschungsstation in der Antarktis. Gerade in der Zeit, in der Internet und Email für mich aktuell wurden, war ich im Gymnasium besonders interessiert an der Antarktis, schrieb Kurzgeschichten und frönte meiner typischen Neugier als Geograf. Und als es drum ging, mich im Internet breit zu machen, blieb der Name im Hinterkopf. Seither wurde ich ihn nicht mehr los, wohl auch, weil er mittlerweile fix mit meinem Internetleben verbunden ist.

Wie kam dir die Idee zu molodezhnaja.ch und, diese Frage liegt mir am Herzen, WIE ZUR HÖLLE hast du es geschafft derart viele Filme zu sehen? Hast du als Baby angefangen?

Ich bin mit Filmen aufgewachsen, aber wirklich exzessiv schaue ich seit Ende der 90er. Manche kann ich während der Arbeit gucken, da dies Teil des Jobs ist, andere dann am Wochenende und nach Feierabend. Das Schauen an sich ist weniger das Problem – eher schon, dass ich zu jedem noch was schreiben muss. Daher habe ich mir angewöhnt, sehr schnell zu schreiben, ich habe schlicht nicht die Zeit, zwei Stunden über einem Text zu brüten. Plan (zu molodezhnaja.ch Anmerkung der Redaktion) gab es keinen, daher ist die Website so schlecht strukturiert. Die allererste Motivation war eine primitive: Ich wollte meine Kritiken für mich persönlich sammeln und immer abrufbar haben – man wird ja nicht jünger, das Gehirn lässt nach. Die Website war also eine Gedankenstütze (daher auch die vielen Kurzkritiken, die primär noch immer jenen Zweck erfüllen). Und irgendwie ist daraus langsam mehr geworden.

Die Website wirkt auf den ersten Blick eher Bollywood-lastig, vermittelt aber auch tiefe Einblicke ins Hollywoodkino, sowie Japan und die meisten europäischen Filmproduktionen. Wo lag der Anfang?

Ich bin mit Hollywood aufgewachsen, all meine Lieblingsfilme kommen von dort. Auf das asiatische Kino bin ich Schritt für Schritt gekommen – Hongkong, Japan, Indien. Letzteres angefangen mit „Lagaan“. Ich wollte den eigentlich gar nicht anschauen, wurde aber verknurrt, die Kritik zu schreiben. Und war dann von Anfang an begeistert. Derart Schritt-für-Schritt-mäßig hat sich auch die Website entwickelt.

Angenommen du hättest die Möglichkeit den perfekten Film zu gestalten, welche Elemente würdest du wählen?

Er sollte die Worte „empire“, „strikes“ und „back“ drinnen haben? Im Ernst, ich mag Sci-Fi und Fantasy. Der perfekte Film für mich sollte daher für mich unterhaltsam sein, mich in eine Welt (emotional oder physisch) bringen, die ich noch nie so sah, und dramaturgisch so aufgebaut sein, dass ich von Minute zu Minute mehr mitfiebere.

Was bedeutet Film für dich und, im Zusammenhang damit, was willst du mit deinen Rezensionen erreichen?

Ich trenne da Job und Freizeit. Bei der Arbeit geht es darum, zahlende Leser mit Informationen und Unterhaltung zu bedienen, da bin ich neben Layoutern und Textchef ein Rädchen von vielen, um ein qualitativ hochwertiges Produkt zu machen. Motivation dafür ist, die Leute für das ins Kino zu locken, was sich lohnt. Privat schaue ich gerne das Außergewöhnliche – es ist immer sehr reizvoll, einen Film zu beschreiben, zu dem es noch keine Kritik gibt. Vom kitschigen Bollywood-Musical zum Hardcore-Japan-Splatter an einem Abend: Diese Abwechslung motiviert mich. Vielleicht bin ich da am ehesten etwas wie ein Entdecker. Für mich selbst – und in der Folge für meine Leser.

Worauf kommt es dir allgemein an, wenn du einen Film rezensierst?

Ich will informieren und unterhalten und dies stets mit einem subjektiven Touch. Ich sag mir immer, dass im Idealfall die Leute meinen Geschmack einschätzen können und anhand dessen vergleichen und entscheiden, ob ein Film wirklich gut ist oder nicht. Information alleine finde ich dröge, Unterhaltung alleine etwas zu seicht. Wenn ich beides verpacken kann, dann trage ich vielleicht auch etwas zur cineastischen Bildung bei. Aber das gelingt letztendlich nie in allen Reviews. Wie erwähnt: Ich muss extrem schnell schreiben, ohne Korrektoren, ohne Hilfe. Der Vorteil: Es ist alles ganz meines.

Hollywood, Europa, Asien… wo werden für dich die besten Filme gemacht?

„Beste“ ist extrem schwierig, aber ich bleibe da bei Hollywood. Meine Lieblingsfilme sind schließlich Werke wie „Star Wars“, „Raiders of the Lost Ark“, „Aliens“, „Fight Club“, „2001“ – das ist alles traditionell westliches Filmgut. Doch ich finde den Ausgleich reizvoll. Da auch mein Tag nur 24 Stunden hat, muss ich gewisse Filmregionen auslassen – Afrika, Lateinamerika, der arabische Raum. Bei denen kann ich mich nur selektiv einklinken.

Wie stehst du zu kleineren Independent-Produktionen? Oder doch lieber teure Hollywood-Blockbuster?

Das Budget an sich spielt bei mir nie eine Rolle. No-Budget wie „Dark Star“ kann köstlich sein. Ich hab nur ein Problem mit der Indie-Szene, wenn die Filme verkrampft auf visuelle oder inhaltliche Enthaltsamkeit pochen. Statische Inszenierung, Distanz und Langeweile alleine macht für mich keinen kunstvollen Film, gerade im Indie-Kino Asiens und Europas wird aber dieses forcierte Einschläfern des Publikums oft mit Anspruch verwechselt. Dabei sind diese Regisseure in meinen Augen schlicht unfähig ihr Thema interessant zu vermitteln und berufen sich dann auf Worthülsen wie Kunst oder Independent.

Nach wie vor zeigt Hollywood klare Dominanz in den Kinosälen, auch wenn sich z. B. dieses Jahr mit den Stieg Larson Thrillern ein Schwede einmischt, worin liegt für dich die Stärke des traditionellen Hollywoods?

Geschichten auf mitreißende Art zu erzählen. Mich an Orte zu bringen, an denen ich nie war – emotional wie visuell wie psychologisch. Kurz: Unterhaltung, manchmal seicht, manchmal hochwertig.

Wie stehst du zum neuen Phänomen 3D?

3D ist ein Stilmittel, das helfen kann, aber es nicht pauschal tut. Die ganzen Post-Production-3D-Konvertierungen wie „Clash of the Titans“ oder „The Last Airbender“ die sind Schrott. Da wird mit dem Begriff 3D Geld gemacht. Aber wenn ein Regisseur die Tiefe eines Bildes in die Gestaltung und die Erzählung einbindet, dann ergibt sich eine neue Möglichkeit. Wie damals beim Tonfilm. Wie damals beim Farbfilm. Aber es braucht Regisseure, die die Technik verstehen – James Cameron kommt als erstes in den Sinn. Und letztendlich kann dann auch eine ganz kleine Produktion 3D sein. Ich fand zum Beispiel, (nicht lachen) den Miley-Cyrus-Konzertfilm in 3D ziemlich cool, weil man dem Mädel noch nie so nah war. Da ist Potential drin. Nachteile gibt es zuhauf: Regisseure, die die Technik nicht verstehen. Zu dunkles Bild, Gegenstände, die aus der Leinwand ragen. Und die doofe Brille. Aber wer weiß, vielleicht ist dies ja nur ein Schritt zum nächsten Quantensprung an dessen Ende wir im Kino Hologramm-Projektionen sehen ohne Brille. Das ist Zukunftsmusik und man darf dabei nie vergessen, dass vieles an 3D ja nicht neu ist: Auch für 2D spielen die Kameraleute mit Tiefenschärfe, mit Dimensionen. Wenn wir einen Film schauen, dann wandeln wir die 2D-Bilder im Kopf in 3D um. Neu macht das halt die Technik für uns.

Der indische Film nimmt bei dir klar einen hohen Stellenwert ein. Was macht Bollywood für dich so besonders?

Der Exzess. Wer aufgewachsen ist mit dem Mantra „subtil ist gut“, für den ist diese Art des lustvollen, extrovertierten Kinos eine Offenbarung. Und wenn man mal drin ist, dann ist das Star-System einfach ein Suchtfaktor. Man will mehr von Person XY sehen, man will Frühwerke sehen, die Geschichte dieser Kinonation ausloten. Das ist so spannend, dass man kaum mehr davon loskommt.

Zum Schluss noch ein kleines Statement: welchen neueren Kinofilm sollten unsere Leser keinesfalls verpassen und warum?

„Kick-Ass“ ist Fun pur. Aber der läuft kaum mehr irgendwo, also sag ich „Inception“ und ganz besonders „Toy Story 3“. Eine vorhersehbare Wahl, weil Pixar immer Qualität liefert – aber was die Damen und Herren dort narrativ, technisch, emotional und dramaturgisch auftischen, das ist unglaublich. Für solche Filme geh ich ins Kino.

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