Ein Film an dem sich die Geister scheiden. Es scheint so, als könne man dieser Tage, wenn man ins Kino geht und 170 Minuten ohne Pause mit Popcorn und Cola auf einem Kinositz Platz nimmt, entweder mit einer Enttäuschung, die schon an ein Sich-persönlich-beleidigt-Fühlen grenzt, oder aber mit vor Begeisterung leuchtenden Augen den Saal wieder verlassen. Ein Zwischending ist wohl nicht möglich, wenn man den Kritiken glaubt. Wir (Jannik und Ursula) wollten uns davon ein eigenes Bild machen und möchten nun im Nachhinein unsere persönliche Meinung zum Film, die gelegentlich auch mal auseinander geht, festhalten.

Zur Handlung: Eigentlich ist es nicht wichtig, die komplette Handlung des Films zusammenzufassen; dadurch würde 1. zu viel gespoilert und 2. wäre man danach wegen all der Namen eher völlig verwirrt anstatt informiert. Wir werden uns hier also darauf beschränken, die Namen der wichtigsten Personen und die Zeit, in der sie leben, anzugeben:

1. Hauptperson der ersten Epoche:  Adam Ewing, ein Anwalt um 1849.

2. Robert Frobisher: ein (homosexueller) hochbegabter Komponist um 1936.

3. Luisa Rey: Journalistin, die in einem AKW-Fall ermittelt, um 1973.

4. Timothy Cavendish: ältlicher Verleger eines Bestsellerromans in unserer Zeit 2012.

5. Sonmi-451: ein weiblicher Bediener-Klon einer Fastfood-Kette mit einem eigenen Bewusstsein um 2144.

6. Zackry: Ein Ziegenhirt um 2346, einer Zeit, die im Film „nach dem großen Fall“ genannt wird.

Diese sechs Schicksale sind über die Zeit  hinweg miteinander verknüpft, was durch ein Muttermal in Form eines Kometen, das jede der Hauptpersonen trägt, veranschaulicht wird. Wer noch etwas mehr über die einzelnen Handlungsstränge erfahren will, kann sich hier noch den Extended Trailer zu „Cloud Atlas“ ansehen.

Der Film ist eine Co-Produktion der Geschwister Lana und Andy Wachowski (Matrix) und Tom Tykwer (Lola rennt, Das Parfum). Er wurde Ende 2011 weitgehend in Deutschland im Studio Babelsberg gedreht und gilt mit 100 Mio. Dollar Produktionskosten aktuell als der teuerste deutsche Film. Man sollte meinen, dass bei einer solch prominenten Zusammenarbeit inklusive eines ordentlichen Budgets ein gigantischer Film rauskommt, umso mehr es eine Romanverfilmung des gleichnamigen Bestsellers von David Mitchell ist, der offensichtlich mit dem Ergebnis des Films sehr zufrieden war (hier ein kleines Interview dazu). Die Kritiker sehen das anders und zerreißen den Film gerne mal in der Luft, wie etwa geschehen in der „Zeit„. Wir haben uns mit den häufigsten Kritikpunkten dieser und anderer Kritiken auseinandergesetzt und möchten euch nun das Ergebnis präsentieren:

Kritikpunkt Nummer 1: Der Film ist zu lang.

Ursula: Sicherlich ist „Cloud Atlas“ mit 172 Minuten kein Kurzfilm, allerdings sind Filme mit Überlänge schon lange keine Seltenheit mehr. Alle drei Teile von Herr der Ringe sind zum Beispiel länger als „Cloud Atlas“ („Die Gefährten“ 187 Minuten, „Die zwei Türme“ 197 Minuten, „Die Rückkehr des Königs“ 201 Minuten). Ich gebe zu, dass eine Pause in der Mitte des Films sicher geholfen hätte, die einzelnen Handlungsstränge gedanklich zu ordnen, aber sonderlich vermisst habe ich sie nicht. Der Film wirkt wesentlich kürzer als er eigentlich ist, man hat an keiner Stelle das „Hier hätte man den Film eigentlich enden lassen können“-Gefühl und ich persönlich konnte es kaum glauben, als ich nach der Spätvorstellung aus dem Kino kam und feststellte, dass es schon halb 2 Uhr nachts war!

Jannik: Das Besondere an „Cloud Atlas“ ist, dass man hinterher das Gefühl hat, sechs vollständige Spielfilme gesehen zu haben. Der Kern der einzelnen Stories wird gezeigt, während man sich im fliegenden Wechsel erst in der Gegenwart, dann in der Vergangenheit, dann plötzlich wieder in der postapokalyptischen Zukunft befindet. So eine Struktur braucht ihre Zeit. Drei Stunden sind dringend nötig, sonst würde sich der Film in Belanglosigkeit verlieren oder noch mehr verwirren, als er es eh schon tut. Tom Tykwer und die Wachowski-Geschwister haben „Cloud Atlas“ diese Zeit gegeben und es geschafft, dass mir keine der Hauptpersonen egal war. Im Gegenteil, mich hat der Film gefesselt.

Kritikpunkt Nummer 2: Die Handlung ist zu kompliziert.

Jannik: Es dauert, bis man sich in allen Zeitebenen zurechtfindet, doch das ist bei einem solchen Konzept nicht vermeidbar. Der Zuschauer wird allerdings nicht ratlos im Wald stehen gelassen: Durch eine herausragende Kameraarbeit, die die verschiedenen Welten in beeindruckenden Aufnahmen präsentiert und durch die inneren Monologe mancher Hauptfiguren ist man etwa nach einer halben Stunde mit dem Ablauf des Films vertraut. „Cloud Atlas“ bleibt aber mysteriös, springt zu einer anderen Zeit, wenn man ihn gerade zu fassen glaubte und gibt keine klaren Antworten auf die Fragen, die er aufwirft. Wer sich nach einer hollywoodtypischen Auflösung sehnt, wird bitter enttäuscht werden. Dies kann man mögen oder verdammen, doch finde ich es persönlich gut, da man so dem zentralen Thema, dem Schicksal, seine Rätselhaftigkeit lässt.

Ursula: Ich glaube die Schwierigkeit bei der Handlung von „Cloud Atlas“ ist nicht, die Plots der einzelnen Zeiten zu begreifen. Pro Zeit sind es nämlich maximal vier wichtige Charaktere und 4-Personen-Konstellationen zu verstehen, ist wirklich keine Herausforderung. Die Komplexität entsteht, sobald man versucht, die Verbindungen zu ziehen, und überlegt, welche Wandlung welcher Schauspieler innerhalb der unterschiedlichen Zeiten durchmacht. Diese Grübelei ist während des Films aber eher hinderlich und sollte auf einen späteren Zeitpunkt verlegt werden (für Interessenten hier eine kleine Grafik). Die Verbindung der Hauptpersonen zu verstehen, wird einem allerdings dank dem kometenförmigen Muttermal abgenommen, das jede der sechs Hauptpersonen trägt.

Kritikpunkt Nummer 3: Die Genres im Film passen nicht zusammen und machen ihn uneinheitlich.

Ursula: Was viele Kritiker versäumen, ist an dieser Stelle, die Romanvorlage zu berücksichtigen, denn Kritik an den Genres bedeutet  gleichzeitig „Kritik am Buch“. Schlägt man David Mitchells „Cloud Atlas“ auf verschiedenen Seiten auf, so merkt man schnell, dass auch hier die einzelnen Epochen durch unterschiedliche Genres charakterisiert sind: Als da wären Tagebucheinträge, (Liebes-)Briefe, Olympischer Erzähler im Präsens (der Stil erinnert an eine Zeitungs-Reportage), ein zynischer Ich-Erzähler, ein Verhör-Protokoll und eine Geschichtenerzählung (mit seltsamer Grammatik). Der Film greift diese Genres ziemlich werkgetreu auf (man sieht z.B. Sonmi-451 im Verhör oder Adam Ewing beim Tagebuch schreiben) und setzt sie in das dem Stil und der Zeit angemessene Filmgenre, aber – und das ist der große Unterschied – er springt flexibel zwischen den Epochen hin und her, während David Mitchell erst in chronologischer Reihenfolge alle Epochen bis zur Hälfte und dann wieder von vorne beginnend bis zum Ende erzählt. Sicher einfacher zu verstehen, aber spannungstechnisch fragwürdig.

Jannik: „Cloud Atlas“ ist also genauso vielseitig in seinen Genres wie in seinen Zeitebenen. Ist dies ein Minuspunkt? Das kommt voll und ganz auf den Zuschauer an, denn der Film verlangt es von ihm, flexibel zu sein. Wer wie ich begeistert ist, wenn sich etwas vom vorhersehbaren Einerlei der meisten Spielfilme abhebt, der wird sich freuen, wenn sich Thriller, Science-Fiction und Komödie im rasend schnellen Tempo abwechseln. Doch habe ich es zugleich vermisst, mich wirklich in ein Genre „fallen lassen“ zu können. In einem Zombiefilm wird uns die Szenerie kurz erklärt und wir wissen, was die Figuren in etwa erwartet. In einer Komödie sind wir völlig entspannt und bereit, zu lachen. Wenn aber zuerst Kehlen durchgeschnitten werden und kurz danach die Komik der Gegenwartshandlung ins Spiel kommt, bleibt auch mir das Lachen im Halse stecken.

Persönliches Fazit:

Jannik: Ein Film, der besonders durch seine beeindruckende Visualität heraussticht. Das Konzept der verschiedenen Zeitebenen ist ein gewagtes Experiment, doch hat es meiner Meinung nach gut funktioniert. Sehenswert!

Ursula: Das Thema Seelenwanderung ist ein Steckenpferd von mir, daher hat mich der Film vollends vereinnahmt. Wen dieses Thema nicht interessiert, wird auch der Film nicht begeistern. Zudem kann „Cloud Atlas“ aber mit einer eindrucksvollen Filmmusik (ebenfalls von Tom Tykwer) und einem beeindruckenden (wenn auch heftig diskutierten) Make-up aufwarten.

Und was waren nun unsere Lieblingsepochen?

Ursula: Schwierige Entscheidung, aber am Ende hat mich die Zukunfts-Epoche mit Sonmi-451 am meisten gepackt. Vielleicht weil es die einzige Love Story im Film war, aber auch wegen der Action dieser Episode und Sonmis „Offenbarung“ der Seelenwanderung, die quasi das Thema des Films ist. Meine Schwierigkeiten hatte ich mit der Gegenwart um Verleger Timothy Cavendish, die ein ernstes Thema in eine Pseudo-Komödie verpackte und teilweise mit dem Ziegenhirten Zackry und seiner seltsamen postapokalyptischen Sprache.

Jannik: Bei mir ist es genau andersherum. Während mich die Story in New Seoul zu sehr an Matrix erinnerte, für das sich ja auch die Wachowski-Geschwister verantwortlich zeichneten, fand ich das postapokalyptische Setting faszinierend. Besonders die Idee, die Sprache abzuändern (natürlich nur so leicht, dass man dennoch alles verstehen konnte) wurde originell umgesetzt. Zudem vermittelt das brutale Volk der Kona, das Zackry und seine Stammesgenossen terrorisiert, ein bedrückendes Gefühl der ständigen Bedrohung. Das Gute an dem Film ist, dass sich die Zeitebenen so stark voneinander unterscheiden, dass für jeden etwas dabei ist.

Es gibt bei diesem Film wohl keinen Konsens. Auf YouTube geht der Diskurs um pro und contra in den comments weiter: so findet man dort unter dem oben angegebenen Trailer einerseits Kommentare wie „Just came back home from the movie…shivers everywhere…what an ambitious, intelligent and heartfelt film…“ neben einem einfachen aber aussagekräftigen „Sucks“.

Wir können jedem nur empfehlen, sich den Film selbst anzusehen und sich eine eigene Meinung davon zu bilden. Egal ob sie am Ende positiv oder negativ ausfällt, „Meinung“ scheint bei diesem Film verdammt wichtig zu sein.

Und denkt daran: Everything is connected!